Rondo-Magazin, 4/2005
Michael Wersin
 
Weber: Oberon - Klassik-CD des Monats
Ausführende:
Steve Davislim, Tenor
Hillevi Martinpelto, Mezzosopran
Jonas Kaufmann, Tenor
Orchestre Revolutionnaire et Romantique
Ltg.: John Eliot Gardiner
Erschienen bei:
Philips
Wenn die ersten paar Takte der Ouvertüre erklungen sind, weiß der Hörer dieser CDs bereits, dass er es nicht nur mit einem Meisterwerk, sondern vor allem auch mit einer Aufnahme von kaum überbietbarer Brillanz zu tun bekommen wird: Die Delikatesse, mit der Gardiners Orchestre Révolutionnaire et Romantique diese zarte, mit einem Hornruf beginnende Musik gestaltet, die völlig schlackenfreie Tongebung aller Instrumentalisten, die perfekte klangliche Kongruenz, die Anmut in der Ausgestaltung jeder einzelnen Phrase - nur Superlative lassen sich für die Beschreibung dieser Interpretationsleistung kompilieren. Und das musizieren auf höchstem Niveau setzt sich fort: Gardiner schart ein Sängerensemble um sich, das ihm bei seiner klingenden Apologie von Webers problematischer Oper engagiert zuarbeitet: Der Tenor Jonas Kaufmann - der übrigens eine wahrhaft erstaunliche Entwicklung durchgemacht hat - meistert die schwierige Partie des Hüon mit einer Bravour, bei der nicht eine bloß souveräne, sondern auch und vor allem eine stimmlich höchst charakteristische, unverwechselbare Darbietung im Vordergrund steht. Kaufmann wagt in seiner mörderischen ersten Arie (“From boyhood triand“) Äußerstes - und reüssiert damit aufs Vortrefflichste. Gäbe es doch mehr Sänger mit so viel künstlerischer Persönlichkeit! Kaum minder begeisternd Hillevi Martinpelto als Reiza: Jugendfrisch, mit silbrigem, aber dennoch vollblütigem Timbre macht sie u. a. ihre große Arie im zweiten Akt (“Ocean! Thou mighty monster“) zum Erlebnis. Steve Davislim als Oberon, Marina Comparato und William Dazeley als niederes Paar Fatima und Sherasmin - keinerlei Ausreißer in der Sängerbesetzung trüben das Bild, man kann sich zurücklehnen und genießen. Wie selten ermöglicht eine Opernaufnahme das doch.

Gardiner, der Webers Oberon vor dieser Produktion, die 2002 im Pariser Théâtre du Châtelet über die Bühne gegangen ist (aber im englischen Watford aufgenommen wurde), schon zweimal dirigiert hatte, löste hier das Problem des englischen Halbopern-Genres - die fast episodisch zu nennende Musik illustriert ein ursprünglich mit vielfältigen Theatereffekten aufgepepptes Sprechtheaterstück, bei dem die Dialoge handlungstragend sind - durch die Streichung des originalen Sprechtextes, an dessen Stelle eine neue Erzählerpartie tritt. Die von Roger Allam vorgetragenen Worte stammen aus Gardiners Feder; geistreich und geschmackvoll bewältigte er auch diese Aufgabe. Ein dreifaches Bravo, Sir John: Der Oberon ist für die nächsten Generationen gerettet.
 






 
 
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