Mein erstes Mal „live“ oder kann man danach süchtig werden?
 
 
Vorgeschichte

Eigentlich kam ich zu Jonas Kaufmann „wie die Jungfrau zum Kind“!
Oper „live“ hat fast mein ganzes Leben lang eine Rolle gespielt, war immer – wie ich sage – mein Gegenpol zur Rockmusik (u.a. Bon-Jovi-Konzerte und Rock Open Airs). Allerdings „genoss“ ich bisher Klassik mal mehr mal weniger im heimischen Musentempel (einer Kleinstadt). Dort wurden die Vorstellungen, für die ich ein Abo hatte, in den letzten Jahren zunehmend schlechter, so dass ich es schließlich aufgab.
Im Februar 2008 war dann so ein Samstagabend, an dem ich nichts Besseres vor hatte als Fernseh zu schauen. Das Programmangebot der TV-Sender war dürftig... bis auf... einen „Fidelio“ in 3sat. Diese Oper und „Die Zauberflöte“ waren in jungen Jahren abwechselnd meine Lieblingsoper gewesen (wohl wegen des Happyends), auch wenn der Part des Florestan nach meinem Empfinden eigentlich nie typgerecht besetzt war. Irgendwie sahen die Tenöre doch mehr wie nach einem 2jährigen Aufenthalt in einer All-Inclusive-Ferienanlage aus, und konnten äußerlich nicht so sehr von ihrer Leidenszeit im Gefängnis überzeugen – auch wenn sie herzzerreißend sangen.
Was ich im 1. Akt sah (es war der Züricher Fidelio von 2004) ließ sich recht gut an: SängerInnen, Darstellung und selbst das karge Bühnenbild gefielen mir von Anfang an (schließlich spielt die Handlung ja in einem Gefängnis und nicht in einem Ferienclub!).
Dann begann an diesem denkwürdigen Samstagabend endlich der von mir mit Spannung erwartete 2. Akt. Bei „Gott, welch Dunkel hier...“ sah man zunächst nichts, dafür wurde ich sofort von dieser wohl- und voll-tönenden Stimme in den Bann gezogen. Sie berührte mich, verursachte mir fast Gänsehaut. Beim ersten Blick auf den Sänger war es dann – denke ich – um mich geschehen! Stimme, Aussehen und Darstellung vereinten sich für mich zum „perfekten Florestan“. Wer war dieser Mann? Der Name Jonas Kaufmann sagte mir ABSOLUT NICHTS!

Als ich am nächsten Morgen meiner Schwester (einer ehemals glühenden Fritz-Wunderlich-Verehrerin, die mich als Kind mit dessen Platten maßlos nervte!) davon erzählte und den Namen des Sängers nannte, bemerkte sie ganz lässig: „Ach, Jonas Kaufmann! Das ist der neue deutsche Star-Tenor!“ - WIE? - „Du kennst DEN???“ fragte ich entgeistert. Nun, sie hatte ihn ein paar Mal im Klassik-Radio gehört, - das war aber (damals) auch alles.

Noch am selben Tag ging ich im Internet auf Suche nach Informationen... und landete prompt bei Marions (phänomenal guter) Seite! Was gab es da für einen Neuling wie mich alles zu entdecken! Dazu fällt mir ein Spruch von Jonas ein: „Ich kam mir vor wie ein Kind im Süßwarenladen.“ Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst mit dem Lesen beginnen sollte.
Seitdem ist diese liebevoll geführte Seite für mich wie die Morgenzeitung; - immer schnell mal nachschauen, was es Neues gibt! Und erst dann geht’s ab ins Büro!

Nach und nach deckte ich mich mit CDs und DVDs ein, brachte die Leute im Musikladen manchmal schier zur Verzweiflung (und auch schon mal an ihre Grenzen – leider), und dann wurde mir klar: Ich muss diesen Mann mal „live“ erleben. Aber das war gar nicht so einfach. Es gab diverse Hindernisse zu überwinden: einen altersschwachen PC mit dem man keine Karten online buchen konnte, einen Arbeitgeber, der mit der langfristigen Genehmigung von Urlauben geizt, (daraus resultierend) die Verfügbarkeit von Karten am Wochenende und möglichst „in der Nähe“ (was London, Zürich, München, Berlin, Wien und Paris einschloss)... und nicht zuletzt die ganze Planung drum herum (Marion wird nur milde lächeln, wenn sie das liest).

Dass aber nach dem „Florestan-Erlebnis“ ganze 15 Monate vergehen würden, bis ich Jonas Kaufmann endlich „live“ hören/sehen würde, das hätte ich mir nicht träumen lassen! Als ich – nach frustrierenden Wochen im Büro - am 6.8.2008 (um 23:40 Uhr!) eine Karte für „Tosca“ in Wien am 9.5.2009 ergattern konnte (Tosca in Berlin war bereits ausverkauft; - hätte „mein Geburtstagsgeschenk an mich werden“ sollen!), da war ich überglücklich und dachte gleichzeitig... „Der Tag kommt nie!“

Das erste Mal „live“

Doch dann flog ich tatsächlich am 8. Mai nach Wien, gönnte mir ein langes Wochenende.

DIE Vorstellung war am Samstagabend.
Ich hatte vor mich in aller Ruhe „aufzubrezeln“, stellte dann aber mit Schrecken fest, dass ich meinen silbernen Stift - fürs Autogramm auf einem recht dunklen Foto - vergessen hatte. So zog ich erst noch mal los um einen neuen zu kaufen... Dann zurück ins Hotel, duschen, anziehen und schminken (mit Kontaktlinsen schwierig, aber ich will ja auch was sehen, nicht nur hören!)... keine Zeit mehr zum Abendessen (geht aber sowieso nicht, sonst ist das Kleid zu eng – beim längeren Sitzen bleibt mir ohnehin schon die Luft weg!)

Kurz nach 19:00 Uhr komme ich noch rechtzeitig in der Wiener Staatsoper an, finde meinen Platz Nr. 6 in der 8. Reihe Parkett links (nachdem ich von dort einen Herren verscheucht habe, der auch Platz 6, Reihe 8 hat... allerdings auf der rechten Seite) und warte gespannt und aufgeregt... wahrscheinlich wesentlich nervöser als Herr Kaufmann in seiner Garderobe! Hoffentlich ist er nicht noch schnell krank geworden, oder sonst durch irgendein Ereignis verhindert. Den ganzen Tag hab ich schon die Besetzungsliste geprüft; jedes Mal, wenn ich an der Staatsoper vorbei ging, und war beruhigt noch immer ´Cavaradossi – Jonas Kaufmann´ zu lesen

19:30 Uhr – endlich geht es los. Kein Mensch tritt vor den Vorhang um Änderungen zu verkünden! Zum Glück dauert es nicht lange, bis Cavaradossi seinen ersten Auftritt hat... und dann... er beginnt zu singen... und ich zu zweifeln: ist ER das überhaupt? Er klingt so anders als von der „Konserve“. Aber schnell bin ich überzeugt: er ist es!!! Ein prüfender Blick durchs Opernglas bestätigt es zusätzlich. Doch von Entspannung bin ich weit entfernt. Mir bleibt schier die Luft weg... wegen ihm, dem Kleid, der Handlung, der Aufregung??? Ich kann es nicht sagen. Die Musik, das Orchester ist – meiner unprofessionellen Meinung nach – oft zu laut, aber Jonas singt und spielt souverän seinen Part. Mein Italienisch-Crash-Kurs im letzten Winter zur Auffrischung der spärlichen Kenntnisse und eine intensive Beschäftigung mit dem Libretto im Vorfeld des Ereignisses zahlen sich nun aus. Wer will jetzt deutsche Untertitel lesen, wenn er dabei den Blick vom Geschehen abwenden müsste??! Ich jedenfalls nicht!!! Nicht nur „Recondita Armonia“, auch das Duett von Tosca (Catherine Naglestad) und Cavaradossi reißen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Am Ende des ersten Aktes werden die 3 Hauptakteure durch frenetischen Applaus vor den Vorhang geholt.

In der ersten Pause versuche ich Marion und eine Email-Bekannte aus UK zu finden. Nach 15 Minuten dämmert mir der Wahnsinn dieses Unternehmens – ich „kenne“ sie ja schließlich bis jetzt nur von Fotos ihrer JK-Website, und es sind doch „ein paar Leute mehr“ in der Oper. Dennoch, durch puren Zufall entdecke ich sie kurz vor Ende der Pause, spreche sie an, stelle mich vor. Unglaublich! Schön! Wir verabreden uns für hinterher am Bühnenausgang, - sollten wir uns nicht in der 2. Pause nochmals sehen. Ich will natürlich bei der Gelegenheit unbedingt ein Autogramm von Jonas haben!

Der 2. Akt bietet eigentlich viel zu wenig Cavaradossi, allerdings hinterlassen die raren Auftritte bleibende Eindrücke. Das „Vittoria, Vittoria!“ trifft mich regelrecht in der Magengegend (oder sollte am engen Mieder des Kleides liegen?). Catherine Naglestad und Ruggero Raimondi liefern sich ein packendes Psycho-Duell um Lüsternheit auf der einen, und Leben auf der anderen Seite. Nachdem Tosca wie eine Furie Scarpia mit mehreren Messerstichen getötet hat (hab´ ich so noch nie gesehen) belohnt abermals tosender Applaus den Einsatz der Akteure.

In der 2. Pause versichert mir die Email-Bekannte (Dank ihrer einschlägigen „Tosca-live-Erfahrung“), dass das Beste noch kommt. Ich bin jetzt schon völlig „geplättet“ von Jonas Präsenz auf der Bühne, von dieser Stimme, die scheinbar so problemlos variieren kann zwischen laut und leise, Höhe und Tiefe, Dramatik und Süße, die so unendlich viele Emotionen ausdrückt... und auslöst. Und die Vermutung drängt sich langsam in mein Bewusstsein, dass dies ein „süchtig-machendes Erlebnis“ sein könnte!
Der 3. Akt beschert uns dann ein traumhaft schönes, unvergessliches „E lucevan le stelle“, dessen Stimmung allerdings durch den begeisterten Ausbruch des Publikums noch vor dem Verklingen der letzten Note gestört wird (jedenfalls empfinde ich es so). Jonas lässt den Applaus wie in der Bewegung erstarrt über sich ergehen... Das dramatische Ende der Oper kommt schließlich viel zu früh. Eigentlich könnte ich noch ein, zwei Stunden gebannt lauschen, vor allem dieser ungewöhnlichen Stimme, die mich vor mehr als einem Jahr spontan berührt hat. Der minutenlange Schlussapplaus bedeutet leider (fast) schon das Ende des lang erwarteten Abends.

Beim Warten auf Jonas am Bühneneingang ist es mir dann eigentlich schon klar:
Damit bin ich nicht zufrieden! Dieses Erlebnis muss ich – möglichst bald – wiederholen! Was für ein Glück, dass ich auch für „La Traviata“ in München im Juni Karten bekommen konnte...

Ich denke, man wird süchtig... nicht nur weil die Stimme beeindruckt, berührt, die Kombination von Gesang, Darstellung, Gefühl stimmt, sondern auch weil sich Jonas Kaufmann hinterher am Ausgang als freundlicher, geduldiger, unheimlich lockerer Typ erweist, wenn er sein Publikum mit Autogrammen beglückt, zum „Anfasssen“ und Reden zur Verfügung steht... obwohl er sich doch nun eigentlich auf sein Abendessen freuen und vielleicht auch nach Ruhe sehnen muss...
 
 
 
 



 
 
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