Kastagnetten klackern. Spanisches Flair verbreitet sich im fast bis
auf den letzten Platz besetzten, hannoverschen Kuppelsaal: ausgelöst
von den feurigen Rhythmen des Münchner Rundfunkorchesters unter der
Leitung von Jochen Rieder. Aber was hat das bloß in Emmerich Kálmáns
Ouvertüre zu der ungarischen „Gräfin Mariza“ zu suchen? Es sind
viele ältere Besucher im Publikum, manche, die vermutlich einige
Stücke aus dem Operettenprogramm, mit dem Jonas Kaufmann an diesem
Abend in Hannover gastiert, noch aus Ernst Stankovskis „Erkennen Sie
die Melodie“ oder einem der vielen Formate mit Anneliese
Rothenberger kennen.
Viele von ihnen summen am Ende des
Konzertes leise mit, wiegen sich sichtlich gerührt im Takt, als der
Münchner Startenor nach begeistertem Applaus und Bravorufen
Gassenhauer wie Ralph Benatzkys „Es muss was Wunderbares sein“ als
Zugaben singt. Aber der Orchesterwalzer aus Franz Lehárs „Giuditta“
ist den meisten dann doch nicht präsent. Und so erschließt sich
manchem erst spät, dass Kaufmann sein Programm umgestellt hat - und
mit Giuditta und nicht, wie im Programmheft angegeben, mit der
Ouvertüre zu „Gräfin Mariza“ beginnt.
„Ein Lied geht um die
Welt“
Der 45-jährige Münchner, weltberühmt als Opern- und
Liedsänger, mischt an diesem Abend Operettenpreziosen mit Liedern
aus frühen Tonfilmen wie „Ein Lied geht um die Welt“ oder
„Liebeskommando“. Schon dass er sich diesem Genre überhaupt widmet,
überrascht, immerhin war die Operette jahrzehntelang eher verpönt.
Zu groß ist die Gefahr bei dieser Art von Musik, vom Sentiment ins
Seichte abzurutschen, zu sehr ist das Genre seit den 70er-,
80erjahren auch vom steifen Charme einer Anneliese Rothenberger und
dem Schmäh eines Peter Alexander geprägt.Dass sich an
österreichischen Operetten-Superstars wie Richard Tauber schon in
den goldenen Zwanzigern die Geister schieden, beweist überdies ein
Zitat, das Karl Kraus zugeschrieben wird. Er soll über Tauber,
dessen Welthit „Du bist die Welt für mich“ dem Kaufmann-Abend den
Namen gibt, nach einem Auftritt einmal den drastischen Satz gesagt
haben, dass es für ihn nichts „Kotzenswürdigeres“ als jenen Richard
Tauber gibt. Andererseits: Zu Zeiten Franz Lehárs, ein
Lieblingskomponist Hitlers, waren es noch nicht die Lieder aus
Amerika, sondern deutsche Schlager und Operettenhits, die
international Erfolgsgeschichte schrieben. Diese brach in der
NS-Zeit unter anderem deshalb ab, weil die meisten
Operettenkomponisten Juden waren.
Kitsch statt Gefühl
Kitsch statt Gefühl, Schmalz statt Schmelz in der Stimme: Es sind
solche Auswüchse, die Operettenverächter wie einst Kraus noch heute
auf die Palme bringen. Das Erstaunliche an Jonas Kaufmanns
Operettenprogramm ist aber, dass der erst 1969 Geborene dem Genre
tatsächlich alles Oberflächliche, Verlogene nimmt. Es ist kein
Retrokitsch, sondern Wehmut, die glaubhaft gestaltete Sehnsucht nach
einer verloren gegangenen Zeit, die bei ihm Lieder wie Kálmáns „Grüß
mir mein Wien“ durchziehen. Dramatik blitzt immer wieder in „Du bist
die Welt für mich“ auf, und es ist phänomenal zu hören, dass
Kaufmann selbst Spitzentöne noch so unter Kontrolle hat, dass er sie
kunstvoll gestaltet, dass er sich beispielsweise, um zentrale Silben
zu betonen, auch dann noch von leisestem Piano in kürzester Zeit bis
ins Forte steigert.
Die Lust an der Verführung, aber auch der
Anspielungsreichtum, die Koketterie, von der Stücke wie Robert
Stolz’ „Im Traum hast Du mir alles erlaubt“, leben, arbeitet
Kaufmann mit Charme, mit kunstvoller Leichtigkeit heraus. Er singt
diese Stücke, die nicht für große Konzerthäuser, sondern für den
Tonfilm geschrieben wurden, am Mikrofon, was der Sache aber keinen
Abbruch tut. Nichts ist an diesem Abend zu dick aufgetragen, auch im
Orchester nicht. Selbst wenn Kaufmanns Operettenmelodien im
Orchester von der Solovioline noch unterstrichen werden, halten die
Musiker die Balance. Die frischen Arrangements von Andreas N.
Tarkmann tun ein Übriges, um die Goldies von überflüssiger Patina zu
befreien. Und warum man in Richard Taubers Hochzeiten vom
„Vertaubern“ sprach, wenn man „Verzaubern“ meinte, ist spätestens
nach Kaufmanns herzergreifender Interpretation von Taubers größtem
Hit, „Dein ist mein ganzes Herz“, klar.
Auch Werner Richard
Heymanns „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“
ist am Ende eine Zugabe. An diesem Abend blitzt es - musikalisch -
immer wieder im Kuppelsaal auf.