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Augsburger Allgemeine, 28. Juni 2015 |
Von Rüdiger Heinze |
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Gipfeltreffen der Klassik, München, Königsplatz, 27. Juni 2015
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Netrebko, Kaufmann und Hampson begeistern in München |
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Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und Thomas Hampson waren die Sänger-Zugpferde auf dem Münchner Königsplatz. Musikalische Leidenschaft entfachte vor allem im zweiten Teil. |
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Es hielt das Wetter. Es hielten die Stars ihre hohen Töne. Es hielt
das Publikum, vor allem im zweiten Teil des Abends, den Atem an. Es
hielt auch das Drahtseil, an dem eine schwere Kamera immer mal
wieder diagonal über den Königsplatz sauste, auf dass sie für das
ZDF aus der Vogelperspektive dieses Gipfeltreffen allererster Namen
der Opernwelt einfange. Internationale Opernstars singen in
München vor 12.500 Menschen
Ob aber auch die Ohrenstöpsel,
die in der guten Stube Münchens zwischen Propyläen, Glyptothek und
Antikensammlungen für einen Euro verkauft wurden, die
Ertragserwartungen hielten, die in sie gesteckt worden waren, dies
möchten wir bezweifeln. So ein Arienabend ist ja recht eigentlich
kein Metal-Rock-Konzert.
Mehr wurde wohl von dem ganzen
Ochsen verkauft, der sich auf diesem gehobenen Münchner Volksfest am
Spieß drehte und schon vor 20.15 Uhr, dem musikalischen Auftakt,
recht stark abgenagt war.
20.15 Uhr also betraten die Stars
die Bühne, vorweg Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Thomas Hampson.
Dass sie es gemeinsam taten, war nicht ohne tragischen Hintergrund:
Sie wünschten Dmitri Hvorostovsky, für den Hampson einsprang, gute
Besserung. Hampson ließ dabei am ehesten aufmerken: „Do it, come
back, we need you!“, erklärte er. Da war zu ahnen, dass es sich
nicht um eine Grippe bei Hvorostovsky handeln würde. Und aus
Veranstalterkreisen war denn auch zu erfahren: Kurz vor seinem
geplanten Münchner Auftritt ist bei Hvorostovsky ein Gehirntumor
diagnostiziert worden. Denkt dann einer noch an den autistischen
Sohn Anna Netrebkos, dann wird vollends klar: Krankheit, Leid,
Stigma bleiben natürlich auch in Opernkreisen nicht dem Bühnenspiel
vorbehalten. Speziell Netrebkos Physiognomie glaubt man heute
Erfahrungen ablesen zu können, die sie vor zehn Jahren, bei ihrem
ersten Münchner Königsplatz-Open-Air, noch nicht gemacht hatte.
Damals huldigten ihr – und dem Tenor Ramon Vargas – 17.000 Menschen;
diesmal ließen sich 12.500 zu Standing Ovations nach den sechs
Zugaben hinreißen. Damals kosteten die Eintrittskarten bis 218 Euro,
diesmal bis zu 320 Euro – wobei in der letzten Woche vor dem
Gipfeltreffen noch deutliche Nachlässe u. a. über die
Internet-Plattform Groupon eingeräumt wurden. Musiker finden im
zweiten Teil ihren Willen zur Verausgabung
So viel zu den
trockenen Zahlen – kommen wir schnell zur saftigeren Musik. Der
erste Abendteil blieb Verdi reserviert. Die Janacek Philharmonie
Ostrava spielte unter Claudio Vandelli tüchtig, aber auch merkwürdig
verhalten, klanglich entrückt, wie aus weiterer Ferne. Und was Jonas
Kaufmann und Anna Netrebko dazu aus „Aida“ boten, dazu Thomas
Hampson solo aus „Don Carlos“ – es war schön und gut und
bemerkenswert kultiviert. Aber Leidenschaft und Feuer vermochte erst
kurz vor der Pause das Duett Carlo/Posa (Kaufmann/Hampson) aus „Don
Carlos“ zu versprühen, diese Hymne unverbrüchlicher Männer- und
Freiheitsliebe. Hier erst schaukelte sich auf, was dann den zweiten
Teil des Abends groß machte: Wille zur Verausgabung.
So
heimste der Bassist Ildar Abdrazakov als Rossini-Basilio die höchste
Abend-Begeisterung des Publikums ein – weit vor jener Anna Netrebko,
die gelegentlich als künstlerisch sakrosankt gehandelt zu sein
scheint. (Gleichwohl gelang ihr eine Adriana-Lecouvreur-Arie durch
strömenden, blühenden, glühenden Sopran berückend innig.) Zum
Abschluss ein Kuss und ein runder Geburtstag
Aber da war noch
ein anderer, einer mit Heimspiel-Vorteil in München, einer, der auch
noch unverschämt gut ausschaut, der ein großer Bub und
Herzensbrecher zugleich ist, der mit seiner Opernstimme nun wirklich
fast alles machen kann, was er will, der fürs Timbre nach Belieben
Kehle, Gaumen, Nase klanglich beimischt und auch den Schluchzer und
die Träne nicht vergisst (Puccinis „Nessun dorma“): Jonas Kaufmann.
Und wenn er dann als Rodolfo die Puccini-Mimi umwirbt und Anna
entflammt und umfängt und lange knutscht, ja dann gibt es kein
Halten mehr im Auditorium. Was doch ein Bühnen-Kuss alles anrichten
kann! Nach dem Stimmfest stieg das Geburtstagsfest: Der vokale
Grandseigneur Hampson wurde um Mitternacht 60.
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