Opernwelt, Mai 2015
Markus Thiel
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Handwerk, verklärt
Wie Christian Thielemann Salzburg um den kleinen Finger wickelt: «Cavalleria rusticana» und «Pagliacci» mit Jonas Kaufmann, Verdis Requiem mit Anita Rachvelishvili

Wenn das so weitergeht, dürfte er irgendwann die Gestik ganz einstellen. Ein aufmunternder Blick, ein Handgelenksschlenker, im Ernstfall eine hochgezogene Augenbraue, das könnte dann reichen. Immer sparsamer wirkt das, was Christian Thielemann auf dem Podium macht: Die Verklärung des Handwerks hat bei ihm schon jetzt eine sehr entscheidende, sehr sichtbare Stufe erreicht. Das Verdi-Requiem, bei den Salzburger Osterfestspielen gerade absolviert, ist ein Beispiel dafür. Minimalistische Bewegungen, keine Mätzchen, zügige Tempi, kaum genüssliche Verbreiterungen, eine große Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit im Umgang mit der Partitur. Kein Abend religiöser Bekenntnisse, sondern reflektierter Kapellmeistertechnik.

Diese sehr italienisch geratenen Osterfestspiele sind unter anderem Thielemanns Demonstration, welchen Plunder es alles nicht braucht am Pult. Was er bei Strauss, Wagner & Co. vollbringt, das steht auch Pietro Mascagnis «Cavalleria rusticana» ausnehmend gut. Kundig und behutsam dreht Thielemann an den Reglern seiner Sächsischen Staatskapelle. Der Klang ist zwar süffig grundiert, jedoch nie erdenschwer. Bleifreie Power gewissermaßen. Auch dürfen die Dresdner ein paarmal Muskeln zeigen. Doch wichtig ist anderes: die Detailzaubereien, die eleganten, logischen Übergänge, die Balance, besonders aber der enge Kontakt zur Bühne. Ruggero Leoncavallos «Pagliacci» nach der Pause fallen dagegen etwas ab, Thielemanns Filigranarbeit driftet da ins Geschmäcklerische.

Jetzt, im dritten Jahr seiner Regentschaft bei den Osterfestspielen, scheint der Berliner endlich angekommen an der Salzach. Einfach, weil nun alles stimmt. Die Sängerauswahl, die Regie, die musikalische Interpretation. Wer mag da schon vom vergangenen Knatsch reden: Peter Alward, letztmals Geschäftsführender Intendant, ist grüßend und lächelnd im Foyer des Großen Festspielhauses unterwegs. Er, der das nach dem Weggang der Berliner Philharmoniker orchesterlose Festival gerettet hat, will oder muss Peter Ruzicka Platz machen. Den Ex-Chef der Münchener Biennale, so wird kolportiert, hätte Thielemann übrigens auch gern auf dem Dresdner Intendantensessel gesehen.

Das neue Gespann setzt auch im kommenden Jahr auf phonstarke Eifersucht. Thielemann dirigiert Verdis «Otello» (den er zuletzt vor über zwei Jahrzehnten in Bologna aufgeführt hat) mit Johan Botha, Dorothea Röschmann und Dmitri Hvorostovsky. Zudem ist – wohl dank Ruzicka – die Familie der gemäßigten Neutöner wieder versammelt. Bei Hans Werner Henzes achter Symphonie lässt sich Thielemann von Vladimir Jurowski vertreten, Manfred Trojahn dirigiert Eigenes, der Chef behält sich unter anderem Beethovens Tripelkonzert in einer Blockbuster-Besetzung mit Anne-Sophie Mutter, Lynn Harrell und Yefim Bronfman sowie die Missa solemnis vor.

Über 90 Prozent Auslastung bei einer Eigenfinanzierungsquote von 88 Prozent, das ist die Bilanz dieses Jahres. Hinzu kommt der künstlerische Erfolg: Die Verpflichtung von Philipp Stölzl für «Cavalleria rusticana» und «Pagliacci» war ein Glücksgriff. Der Filmemacher, der 2007 beim Salzburger Sommerfestival Berlioz’ «Benvenuto Cellini» derart überfrachtete, dass einem vor Sehen das Hören verging, hat seine Spektakelsucht eingedämmt. Geblieben ist der Hang zum großen Aufriss. Sechsfach geteilt ist seine eigene «Cavalleria»-Bühne, einzelne oder mehrere Blenden werden aufgezogen. Synchronhandlungen in Schwarzweißoptik ermöglicht das, wie parallel laufende Filme, gelegentlich gibt es auch projizierte Close-ups: Fellini auf Expressionismus getrimmt.

Die Idee ist nicht unbedingt neu – und birgt eine Gefahr. Ob man Mascagnis Einakter durch solche Effekte nicht fragmentiert? Das Gegenteil ist der Fall. Zu einem Viertel ist die Partitur schließlich durch «Unterbrechungen» gekennzeichnet, man denke nur an Frühlings-, Maultreiber- oder Osterchor inklusive Trinklied. Jetzt, durch die Überblendung von Massenszene und Mikromoment, entfaltet «Cavalleria» eine stringente, virtuos choreografierte und bühnentechnisch perfekt realisierte Dramaturgie. Das «Ineinanderspiel von Ritus und persönlicher Handlung», wie es der Schriftsteller W. H. Auden genannt hat, in Salzburg wird’s zum Ereignis. Nach der Pause schlendert das «Cavalleria»-Personal zu «Pagliacci» herein. Alles nur gespielt, sagt das – und wird doch nicht mehr richtig fortgeführt. Wieder geteilte Bühne, wieder Parallelereignisse, doch das Konzept verfängt nicht mehr richtig. Auch, weil vieles wie durchgestellt wirkt, im vorösterlichen Salzburg ist die Probenzeit bekanntlich knapp und teuer.

Mutmaßlich hat das einen Gutteil der Gala-Gemeinde wenig interessiert, Hauptsache, der Tenorissimo ist dabei. Jonas Kaufmann gibt derzeit wie weiland Domingo den Rollenfresser. Eben noch Radames-Debüt in Rom, nun das für ihn neue Doppel Turiddu/Canio. Wieder staunt man über die Töne aus dem Vokalkraftwerk, über die nie erschlaffende Energie auch im Leisen, über die dominierende, andere aber nie wegdrückende Präsenz. Doch auch auf den anderen Positionen gibt es nur 1-A-Solisten: Liudmyla Monastyrska (Santuzza) ist der Musterfall einer Dramatischen, die ihren Sopran – im Gegensatz zu Kaufmann – ohne Verspannungen ins Piano dimmen kann, auch Ambrogio Maestri (Alfio) und Dimitri Platanias (Tonio) machen ihre Sache fabelhaft, Maria Agresta drängt zum Diventon, die Nedda ließe sich leichter besetzt denken. Das größte Stimmereignis geschah allerdings im Verdi-Requiem: Wer Anita Rachvelishvili in der Mezzo-Historie einordnen will, der muss schon hochgreifen und weit zurückdenken.

Zwei Spielzeiten, 2015 und 2016, mit Opern-Italianità also. Christian Thielemann wird dabei nicht müde zu betonen, dass er Verdi oder Puccini während seiner Galeerenjahre «rauf und runter» dirigiert hat. Unbefriedigte Wagnerianer brauchen da noch ein wenig Geduld. Zum 50. Geburtstag der Osterfestspiele soll angeblich eine neue «Walküre» herauskommen. Was für eine beziehungs- und anspielungsreiche Tradition, in die sich der künstlerische Leiter stellt: Es ist jenes Stück, mit dem Herbert von Karajan 1967 sein Privat-Event eröffnet hatte.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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