Augsburger Zeitung, 30. März 2015
VON STEFAN DOSCH
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Doppelt spitze
In Salzburg kann man gerade hören, weshalb der Dirigent Christian Thielemann ein heißer Kandidat für die Berliner Philharmoniker ist. Oben auf der Bühne aber stiehlt ihm ein anderer die Show

So erfrischend klar der Wind in diesen Tagen aus den noch schneebedeckten Bergen durch Salzburg weht, ist auf dem Barometer der laufenden Osterfestspiele doch ein leichtes Zittern der normalerweise im Schönwetterbereich liegenden Atmosphärennadel zu bemerken. Nicht auszuschließen, dass da was aufzieht von Norden, aus Richtung Berlin. Am 11. Mai wollen die dortigen Philharmoniker ihren neuen Chefdirigenten benennen, ein Posten, der in der Branche als der renommierteste weltweit gilt. Und als Favorit hierfür fällt immer öfter ein Name: der von Christian Thiele-mann, künstlerischer Leiter der Salzburger Osterfestspiele und Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden, dem Stammorchester des Festivals. Favorit umso mehr, als der ebenfalls häufig genannte Gustavo Dudamel gerade in Los Angeles bis 2021 verlängert hat.

Die österliche Salzburg-Residenz aber haben Thielemann und die Dresdner erst seit 2013 inne, nachdem sich die Berliner Philharmoniker nach Jahrzehnten aus der Stadt an der Salzach verabschiedet haben und seither an Ostern in Baden-Baden ihre Zelte aufschlagen. Würde Thielemann 2018 die Berliner übernehmen, wäre es jedoch höchst unwahrscheinlich, dass das Orchester zurück nach Salzburg kehrt.

Was aber, fragt man sich hier, würde dann aus den Osterfestspielen? Die zwingende künstlerische Aura, kombiniert mit dem gerade für dieses Festival so wichtigen Star-Faktor, geht nun mal von Thiele-mann aus. Man hat es jetzt wieder erleben können beim Opern-Doppelabend mit Mascagnis "Cavalleria rusticana" und Leoncavallos „Bajazzo". Thielemann ist ein Musikbeschwörer wie kaum einer auf dem internationalen Parkett. Dirigieren ist für ihn geradezu kultischer Dienst, er zielt auf tiefinnere Überwältigung und hält kompromisslos Abstand zum billigen Effekt. Auch wenn er beide Verismo-Kurzopern eher breit anlegt auf Kosten der rhythmischen Spritzigkeit, so liegt bei ihm doch allezeit Spannung in der Luft, spürt man dieses latente Schwelen, das urplötzlich in lodernden Brand sich zu verwandeln vermag. Von so etwas lebt die italienische Oper, das macht auch diese Salzburger „Cavalleria", diesen „Bajazzo" zum Ereignis.

Der in zwei Tagen 56-Jährige hat für das szenische Arrangement diesmal Philipp Stölzl engagiert. Der ist zwar opernerfahren, hat in den vergangenen Jahren aber Film gemacht, zuletzt gar in großem Stil mit der Bestseller-Adaption „Der Medicus". Stölzls Rückkehr zur Oper merkt man das an. Der Regisseur hat die Riesenbühne des Festspielhauses sechsfach in einer Weise unterteilt, als wären zwei mal drei Flachbildschirme übereinandergestapelt. Faktisch sind so sechs kleine Spielflächen geschaffen, die per Verdunklung hinzu- oder weggeschaltet werden können, ganz so, wie wenn der Regisseur mit der 'Fernbedienung im Saal säße. Sind mehrere dieser Quasi-Screens geöffnet, sieht man das dramatische Personal simultan agieren. Video gibt's auch, vor allem Gesichter werden in Großaufnahme eingeblendet.

Visuell hat sich Stölzl, zusammen mit Heike Vollmer auch für das Bühnenbild verantwortlich, von den Bildfolgen des Illustrators Otto Nückel (1888-1955) inspirieren lassen. Und so erinnert das Salzburger Setting in seiner Holzschnitthaftigkeit, seinen schrägen Fluchten und scharfen Linien an den Expressionismus der 1920er Jahre. Die „Cavalleria" ist, auch bei den Kostümen (Ursula Kudrna), weit überwiegend in Schwarz, Weiß und Grau gehalten; beim „Bajazzo" hingegen hat Stölzl seinem Opernfernsehen Farbe verpasst. So oder so, alles ist opulent anzuschauen und routiniert und lebendig mit Figurenbewegung gefüllt — mehr aber auch nicht. Dazu kommt, dass die schematische Bühnenteilung das Geschehen gerade an entscheidenden Stellen in der Wirkmacht beschneidet. Der gesamte Amoklauf des Canio („Bajazzo") mitsamt Doppelmord, beispielsweise, ist eben nur in einem Sechstel-Ausschnitt zu sehen.

Aber Oper hat ja nicht nur Szene, sondern auch Gesang zu bieten. Und der kommt im Falle der männlichen Hauptpartien von „Cavalleria" und „Bajazzo" vom größten Operntenor unserer Tage, von Jonas Kaufmann. Wer meistert schon mit vergleichbarer Bravour die Helden Wagners ebenso wie die tragisch Scheiternden des französischen und italienischen Fachs? Im letzteren hat Kaufmann sein sowieso bereits enormes Repertoire jüngst noch einmal um zentrale Rollen wie Alvaro („Macht des Schicksals") und Radames („Aida") erweitert.

Und nun schon wieder ein Debüt, ein doppeltes gar, Turiddu („Cavalleria") und Canio („Bajazzo") an einem Abend. Ein Statement seiner überragenden Gestaltungskraft gibt Kaufmann gleich zu Beginn. „O Lola ch'ai di latti la cammisa", das Sehnsuchtslied an eine Frau, die einem anderen gehört, beginnt er mit zweifelnd-gehauchter Stimme, sodass man spürt: Hier singt kein dumpfer Macho, sondern ein Mensch mit wunder Seele, ein Familienvater (so will es die Regie), dem die Leidenschaft seines Lebens den Weg gekreuzt hat.

Nein, blanke Tenorkraft auszustellen, das wäre dem 45-jährigen Münchner, der mit seinem dunklen Lockenhaar auch ohne Maske unverschämt südländisch aussieht, zu billig. Seine großen Szenen, darunter natürlich „Vesti la giubba" („Bajazzo"), sind tief sondierende Psychogramme, voller dramaturgischer Intelligenz und Ökonomie, und in den intensivsten Momenten ergießt sich ein Füllhorn offener, strahlender, schmelzender Spitzentöne. So überragt Jonas Kaufmann ein Festspiel-Sängerensemble, das eh schon keine Wünsche offenlässt, mit der glänzenden Liudmyla Monastyrska (Santuzza), mit Ambrogio Meastri (Alfio), Dimiti Platanias (Tonio) und Maria Agresta (Nedda).

Wie immer die Berliner Sache am 11. Mai auch ausgeht: Erst mal wird in Salzburg an Ostern Kontinuität angesagt sein mit Thielemann und den Dresdnern. Auch insofern, als das Festivalprogramm 2016 bei der Oper italienisch bleibt. Verdis „Otello" steht auf dem Plan, nur nicht mit Jonas Kaufmann: Johan Botha wird die Titelrolle übernehmen.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top