Neue Zürcher Zeitung, 2.4.2015
Christian Wildhagen
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Was heisst hier Wirklichkeit?
Jonas Kaufmann, Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden sorgen für Glanz bei den Osterfestspielen in Salzburg. Der Regisseur Philipp Stölzl aber setzt dem Wohlklang einen klug reflektierten Realismus der Bilder entgegen.

Ungeschönt und wahrhaftig – so wollten die Komponisten des italienischen Verismo die raue Wirklichkeit auf die Bühne bringen. Denkt man diesen Radikalrealismus zu Ende, so gehörten die Opernzwillinge «Cavalleria rusticana» und «I Pagliacci», die Hauptvertreter der naturalistischen Strömung, eigentlich in ungeheizte Zirkuszelte oder auf schlammige Marktplätze, irgendwo zwischen Feiertagsprozession und Rummelbude. Nicht aber ins Programm der – zumindest ihren Kartenpreisen nach – exklusivsten Festspiele der Musikwelt. Der Regisseur Philipp Stölzl erkennt diese Unstimmigkeit und errichtet bei seiner Salzburger Neuinszenierung vorsorglich eine schützende Barriere zwischen den Zuschauern und dem Geschehen. Und zwar im Wortsinne: Die Bühne des Grossen Festspielhauses ist verschlossen. Verschlossen durch eine schwarze Wand.

Eingekastelt

Nur zögerlich, dann jedoch mit vorhersehbarer Regelmässigkeit, öffnet sich ein rechteckiger Bildkasten im schwarzen Nichts, bald ein zweiter, ein dritter, einmal unten links, einmal oben rechts, und unser Blick fällt auf seltsam lebendig wirkende Fotografien. Stölzl, der sein eigener Bühnenbildner ist, hat sich bei dieser Einkastelung der Szenerie von Bleischnitten des Zeichners Otto Nückel anregen lassen, eines Ahnherrn der Graphic Novel. Entsprechend comichaft sequenziert und zu Genrebildern verdichtet präsentiert er die Szenenfolge der «Cavalleria rusticana», obendrein streng in Schwarz-Weiss. Farbig wird es erst im «Bajazzo».

Dabei ist in Stölzls Bildkästen nicht bloss genügend Platz für die Schlüsselmomente des Eifersuchtsdramas zwischen Santuzza, Alfio und Turiddu, sondern auch noch für einige Parallelhandlungen. Etwa wenn Lola (Annalisa Stroppa), die Auslöserin der Dreieckstragödie, eine eigene Geschichte erhält. Oder wenn Stölzl sich sichtbar vor Francis Ford Coppola verneigt (der seinerseits im «Paten» die «Cavalleria» zitierte), indem er Turiddus Gegner Alfio als Mafiaboss entlarvt. Ambrogio Maestri, weltweit der Falstaff vom Dienst, singt ihn mit explosiver Selbstgefälligkeit.

Dass Stölzl selbst als Filmregisseur («Der Medicus») arbeitet, zeigen unter anderem die souverän eingebundenen Videosequenzen. Manchmal verdoppeln sie das Geschehen bloss in einem zweiten Bühnenrechteck und werfen wie beiläufig die Frage auf, welches denn nun die «eigentliche» Wirklichkeit sei. Manchmal rückt die Kamera die Figuren per Close-up so hautnah heran, dass man dem Bann der Bilder kaum entkommen kann – besonders eindringlich während des Intermezzos in «I Pagliacci», zu dem sich das in Wut erstarrte Gesicht Canios langsam in eine Clownsgrimasse verwandelt. Das bewegte Bild und das inszenierte Tableau erweisen sich als kongeniale Mittel, um den Verismus der Handlung, der prinzipiell im Widerspruch steht zum schönen Schein der Oper, mit bedrängender Unmittelbarkeit abzubilden und dennoch künstlerisch zu überformen.

Kaufmann, der Fatalist

In diesem artifiziellen Konzept sorgt die Musik für die nötige Blutzufuhr. Jonas Kaufmann, der erstmals die Tenorrollen in beiden Opern singt, ist der Mittelpunkt der Aufführung, obwohl er sich nie in den Vordergrund spielt. Ihm gelingt eine beeindruckend differenzierte, im Einsatz der stimmlichen Mittel jederzeit kontrollierte Darstellung der beiden Charaktere. Als Wiedergänger des Veristen Giovanni Verga, der die Vorlage der «Cavalleria» dichtete, träumt sich Kaufmanns Turiddu voller Sehnsucht hinaus aus der Enge des sizilianischen Dorfes und will doch die Liebe Santuzzas, die ihm einen Sohn geboren hat, nicht missen. Die allerdings versteht den Freigeist nicht und wandelt sich, stimmgewaltig verkörpert von Liudmyla Monastyrska, zur Rachefurie.

Christian Thielemann hüllt die beiden Beziehungsdramen mit der Dresdner Staatskapelle in luxurierenden Klang. Das erinnert mitunter an Karajan, den Festspielgründer, schwächt aber die musikalische Wucht der Stücke. Erst als sich Thielemann am Schluss der «Pagliacci» von Kaufmanns Fatalismus mitreissen lässt, entwickelt sich eine Sogkraft, die zeigt, was veristische Opern sein können: grosses Kino, mit besserer Musik.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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