Jonas Kaufmann, Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden sorgen für Glanz bei den Osterfestspielen in Salzburg. Der Regisseur Philipp Stölzl aber setzt dem Wohlklang einen klug reflektierten Realismus der Bilder entgegen.
Ungeschönt und wahrhaftig – so wollten die Komponisten des
italienischen Verismo die raue Wirklichkeit auf die Bühne bringen.
Denkt man diesen Radikalrealismus zu Ende, so gehörten die
Opernzwillinge «Cavalleria rusticana» und «I Pagliacci», die
Hauptvertreter der naturalistischen Strömung, eigentlich in
ungeheizte Zirkuszelte oder auf schlammige Marktplätze, irgendwo
zwischen Feiertagsprozession und Rummelbude. Nicht aber ins Programm
der – zumindest ihren Kartenpreisen nach – exklusivsten Festspiele
der Musikwelt. Der Regisseur Philipp Stölzl erkennt diese
Unstimmigkeit und errichtet bei seiner Salzburger Neuinszenierung
vorsorglich eine schützende Barriere zwischen den Zuschauern und dem
Geschehen. Und zwar im Wortsinne: Die Bühne des Grossen
Festspielhauses ist verschlossen. Verschlossen durch eine schwarze
Wand.
Eingekastelt
Nur zögerlich,
dann jedoch mit vorhersehbarer Regelmässigkeit, öffnet sich ein
rechteckiger Bildkasten im schwarzen Nichts, bald ein zweiter, ein
dritter, einmal unten links, einmal oben rechts, und unser Blick
fällt auf seltsam lebendig wirkende Fotografien. Stölzl, der sein
eigener Bühnenbildner ist, hat sich bei dieser Einkastelung der
Szenerie von Bleischnitten des Zeichners Otto Nückel anregen lassen,
eines Ahnherrn der Graphic Novel. Entsprechend comichaft sequenziert
und zu Genrebildern verdichtet präsentiert er die Szenenfolge der
«Cavalleria rusticana», obendrein streng in Schwarz-Weiss. Farbig
wird es erst im «Bajazzo».
Dabei ist in Stölzls Bildkästen
nicht bloss genügend Platz für die Schlüsselmomente des
Eifersuchtsdramas zwischen Santuzza, Alfio und Turiddu, sondern auch
noch für einige Parallelhandlungen. Etwa wenn Lola (Annalisa
Stroppa), die Auslöserin der Dreieckstragödie, eine eigene
Geschichte erhält. Oder wenn Stölzl sich sichtbar vor Francis Ford
Coppola verneigt (der seinerseits im «Paten» die «Cavalleria»
zitierte), indem er Turiddus Gegner Alfio als Mafiaboss entlarvt.
Ambrogio Maestri, weltweit der Falstaff vom Dienst, singt ihn mit
explosiver Selbstgefälligkeit.
Dass Stölzl selbst als
Filmregisseur («Der Medicus») arbeitet, zeigen unter anderem die
souverän eingebundenen Videosequenzen. Manchmal verdoppeln sie das
Geschehen bloss in einem zweiten Bühnenrechteck und werfen wie
beiläufig die Frage auf, welches denn nun die «eigentliche»
Wirklichkeit sei. Manchmal rückt die Kamera die Figuren per Close-up
so hautnah heran, dass man dem Bann der Bilder kaum entkommen kann –
besonders eindringlich während des Intermezzos in «I Pagliacci», zu
dem sich das in Wut erstarrte Gesicht Canios langsam in eine
Clownsgrimasse verwandelt. Das bewegte Bild und das inszenierte
Tableau erweisen sich als kongeniale Mittel, um den Verismus der
Handlung, der prinzipiell im Widerspruch steht zum schönen Schein
der Oper, mit bedrängender Unmittelbarkeit abzubilden und dennoch
künstlerisch zu überformen.
Kaufmann, der Fatalist
In diesem artifiziellen Konzept sorgt die Musik für die nötige
Blutzufuhr. Jonas Kaufmann, der erstmals die Tenorrollen in beiden
Opern singt, ist der Mittelpunkt der Aufführung, obwohl er sich nie
in den Vordergrund spielt. Ihm gelingt eine beeindruckend
differenzierte, im Einsatz der stimmlichen Mittel jederzeit
kontrollierte Darstellung der beiden Charaktere. Als Wiedergänger
des Veristen Giovanni Verga, der die Vorlage der «Cavalleria»
dichtete, träumt sich Kaufmanns Turiddu voller Sehnsucht hinaus aus
der Enge des sizilianischen Dorfes und will doch die Liebe
Santuzzas, die ihm einen Sohn geboren hat, nicht missen. Die
allerdings versteht den Freigeist nicht und wandelt sich,
stimmgewaltig verkörpert von Liudmyla Monastyrska, zur Rachefurie.
Christian Thielemann hüllt die beiden Beziehungsdramen mit der
Dresdner Staatskapelle in luxurierenden Klang. Das erinnert mitunter
an Karajan, den Festspielgründer, schwächt aber die musikalische
Wucht der Stücke. Erst als sich Thielemann am Schluss der
«Pagliacci» von Kaufmanns Fatalismus mitreissen lässt, entwickelt
sich eine Sogkraft, die zeigt, was veristische Opern sein können:
grosses Kino, mit besserer Musik.