Bei den Osterfestspielen dirigiert Christian Thielemann die beiden veristischen Opernzwillinge mit Jonas Kaufmann in den beiden Tenorrollen
Er macht sich rar. Christian Thielemann dirigiert nur zwei
Vorstellungen des unzertrennlichen Operndoppels „Cavalleria
rusticana“ und „Pagliacci“. Die Wiederaufnahme dieser Premiere der
Salzburger Osterfestspiele in der Semperoper überlässt er dem
Italiener Stefano Ranzani. Schade für die Dresdner!
Thielemann hat ein erstaunlich gutes Gespür für die uritalienische
Opernmusik der Verismo-Zwillinge. Vor allem Pietro Mascagnis
„Cavalleria rusticana“ verwandelt er in ein Orchesterfest. Nichts
ist laut oder vulgär. Das Intermezzo sinfonico singen die Streicher
der Staatskapelle Dresden schöner und sonorer, als es jede
menschliche Stimme vermöchte. Das Tempo nimmt der Deutschmeister
sehr flexibel. Aber nie verliert sich dieser Genussdirigent in der
Musik.
Leider begleitete Thielemann die flackrig und
selbstverliebt singende Santuzza der Liudmyla Monastyrska ein wenig
zu hingebungsvoll. Daher fehlte es dem Duett mit Turiddu ein wenig
an hitziger Leidenschaft. Auch Jonas Kaufmann, der die Serenade im
Zentrum der Ouvertüre sehr verschattet begonnen hatte, wirkte bei
aller Kraft noch etwas gebremst.
Italienische Oper als
existenzielles Ereignis
Das änderte sich nach der Pause in
Ruggiero Leoncavallos „Pagliacci“ („Der Bajazzo“). Kaufmann sang den
Auftritt Canios strahlend. In „Vesti la giubba“ sparte er sich
dankenswerterweise die billigen Schluchzer und das
Heldenjammergeschrei im Nachspiel. Wie Wozzeck stand er mit dem
Messer da – ein gebrochener Mann am Ende seiner Kraft: italienische
Oper als existenzielles Ereignis. Phänomenal!
Die Salzburger
Osterfestspielen sind seit Herbert von Karajan traditionell ein
Dirigentenspektakel, aber kein Theaterereignis. Doch dem gebürtigen
Münchner Philipp Stölzl gelang im eigenen Bühnenbild ein wahrer
Coup. Er teilte die Breitwandbühne des Großen Festspielhauses in
sechs Spielflächen-Fenster. Am Anfang saß Turridu allein in einer
Mansarde, dann wurde daneben in einem anderen Dachfenster Lola
sichtbar, der dieser Liebesgesang gilt. In den drei unteren Ebenen
sang später der Chor vor der Kirche.
Stölzl legte durch das
Aufblenden und Schließen der Fenster innere Beziehungen offen, die
sonst ein wenig diffus bleiben. Dass die Geschichte nicht auf
Sizilien stattfindet, sondern in eine graue Industriestadt verlegt
wurde, passte überraschenderweise genau so gut wie die Anlehnung der
Ausstattung an die Bleischnitte und Bildergeschichten des deutschen
Grafikers und Karikaturisten Otto Nückel.
Kino und Oper
In
den „Pagliacci“ wurde die zuvor schwarzweiße Bühne bunt. Im Prolog,
der von der Wahrheit im Theater handelt, zeigte Stölzl die
Maschinerie der Verwandlungen. Das Spiel im Spiel verlegte Stölzl
ins obere mittlere Feld, während die Chormitglieder als Zuschauer
unten aus einer anderen Perspektive der Commedia dell’arte das
Geschehen verfolgten. Noch nie wurde das Film-Prinzip von Schnitt
und Gegenschnitt aufregender in die Sprache des Musiktheaters
übersetzt als in dieser Inszenierung. Und kaum ein Regisseur kam mit
der Salzburger Riesenbühne besser zurecht.
In „Cavalleria
rusticana“ wirkten vereinzelte Großprojektionen noch als modische
Masche. Nach der Pause setzte Stölzl diesen Kunstgriff besser ein:
Zum lamentierenden Zwischenspiel nach „Ridi pagliaccio“ wurde auf
eine der sechs Flächen riesenhaft projiziert, wie sich Kaufmann
weiße Schminke ins Gesicht schmiert: ein wortloses Drama.
An den
fabelhaften Jonas Kaufmann kommt niemand so richtig ran
Die
übrige Besetzung konnte mit dem überragenden Münchner nicht immer
mithalten. Ambrogio Maestri war ein viel zu weicher Alfio, Dimitri
Platanias (Tonio) hatte ein paar schwache Höhen. Maria Agresta sang
das Vogellied Neddas leicht und mobilisierte am Ende doch
beträchtliche dramatische Reserven. Und die Mezzo-Veteranin Stefania
Toczyska sang mit überraschend wohlerhaltener Stimme die Mamma
Lucia.
Zum Schluss verblüffte Kaufmann ein letztes Mal:
Anders als tausend Tenöre vor ihm schrie er nach dem Doppelmord den
Satz „La commedia è finita“ nicht ins Publikum. Er flüsterte ihn,
als sei er überrascht von seiner Eifersuchtstat. Und eine Ahnung von
tragischem Schauer krönte diese faszinierende Aufführung.