Der Neue Merker, 29.3.2015
Thomas Prochazka
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
CAVALLERIA RUSTICANA/ PAGLIACCI. Solo für Kaufmann.
 
”Der ursprüngliche Plan war, für die beiden Opern zwei Tenöre zu engagieren, und man hatte bei mir für den Canio in Pagliacci angefragt. Daraufhin hatte ich gefragt, ob ich nicht auch den Prolog übernehmen könnte”, läßt uns Jonas Kaufmann auf der Website der Osterfestspiele wissen. — Welch krause Idee! Aber wie gut, daß kein passender Turiddu zur Hand war und sich Jonas Kaufmann zum zweifachen Rollen-Debut entschied, ohne Dimitri Platanias den Prolog streitig zu machen.

Gestern abend also gab man Cavalleria rusticana und Pagliacci im Großen Festspielhaus, erstmals mit dem Münchner in den Tenorpartien. Viele waren wohl auch neugierig, wie Maestro Christian Thielemann diese Herausforderung bewältigen werde. (Seine Dirigate von Puccinis Manon Lescaut 2013 in Dresden wurden ja von der breiten Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen.)

Philipp Stölzl, der in Wien zuletzt für seine Halskrausen und schiefen Ebenen in Verdis Il trovatore auffiel, eine Inszenierung, welche Monate später in Berlin mit Anna Netrebko, Plácido Domingo und Daniel Barenboim sogar auf DVD gebannt wurde, agierte ähnlich glücklos wie seine Vorgängerin Florentine Klepper 2014 bei der Arabella. Zwei Satzkästen mit je zweimal drei Spielorten bilden das Bühnenbild: holzschnittartig schwarz-weiß für Cavalleria rusticana, farbig und mit mehr Details immerhin für Pagliacci (Kostüme: Ursula Kudrna). Sizilianische Atmosphäre, die bedrückende, auf gesellschaftliche Enge eines süditalienischen Dorfplatzes am Ostermorgen hindeutende, oder die schwüle, unangenehme Augusthitze, welche den Boden bereitet für das Drama um Canio, will da gar nicht erst aufkommen. Stattdessen herrschen die Tristesse einer Industriestadt (Cavalleria rusticana) und der 08/15-Buden eines städtischen Jahrmarkts (Pagliacci) vor.

“Ich hatte beim Hören den Wunsch, für dieses filigrane Netz von Sehnsucht und Betrug eine Bühnenlösung zu schaffen, in der es möglich ist, simultan immer auch die Figuren zu weiterzuerzählen, die gerade nicht ihre Szene haben. Es wird also neben dem Dorfplatz noch eine Reihe anderer Orte geben, zwischen denen man hin und her schneidet oder die man auch simultan sieht, ganz wie im Film”, verriet Philipp Stölzl vorab. Also müssen die Sänger immer wieder in Konkurrenz zu Hintergrundhandlungen treten, wird ihnen und dem Publikum zweimal 75 Minuten lang die Konzentration auf das, was Librettisten und Komponisten einst als wichtig erachteten, erschwert.

Dimitri Platanias zum Beispiel mußte den Prolog auf offener Bühne vor allen Chormitgliedern singen — gestalterisch enttäuschend, aber mit dem in der Partitur verzeichneten d anstelle des hohen g, mit welchem berühmtere Kollegen ihren Auftritt zu krönen vermögen.

“[...] Während des berühmten Intermezzos der Cavalleria beispielweise ist es sicher spannender zu sehen, was die einzelnen Charaktere in diesem Moment machen, als nur den leeren Dorfplatz zu zeigen.” — Nein, ist es nicht. Vor allem dann nicht, wenn man das Intermezzo als Ruhe vor dem Sturm zu begreifen vermag, als trügerisches Zeichen der Geborgenheit, welche es in dieser dörflichen Gesellschaft doch niemals geben kann. Philipp Stölzl tappt in die Falle des Filmregisseurs des 21. Jahrhunderts, der Aktion über Ruhe stellt — und verrät so sein Mißtrauen in die Kraft von Mascagnis Musik. Aber auch in den Pagliacci gibt es Filmaufnahmen, damit alle im Großen Festspielhaus sehen können, was in einem der sechs Abschnitte vorgeht. Wer am Rang Platz genommen hatte, besaß diesmal die besseren Karten.

Jonas Kaufmann liegt die Partie des Turiddu hörbar weniger als jene des Canio. Die “Siciliana”, mit dem Rücken zum Publikum an einem Küchentisch sitzend gesungen, bevor Santuzza und der gemeinsame Sohn zum Frühstück die kleine Dachkammer betreten, beginnt er mit der Kopfstimme. Später erst mischt er die Bruststimme dazu, singt mit viel Kraft und legt solcherart beredt Zeugnis ab darüber, welche Schwerarbeit Operngesang ist. In den Pagliacci wird ihn Regisseur Philipp Stölzl dafür um den verdienten Applaus nach “Recitar! … Vesti la giubba” bringen, wenn Herr Kaufmann eilig in seine Dachkammer zur filmischen Aufnahmesitzung und zum Schminken auf offener Bühne eilen muß, während man den unteren Teil des Bühnenbildes wieder in die Budenlandschaft verwandelt…

Zurück zur Cavalleria rusticana: Liudmyla Monastyrska ist eine helltimbrierte Santuzza mit zum Teil scharfen Höhen. Manchmal fragt man sich, wie sie noch vor zwei Monaten in London die vorgeschriebenen Linien der Lady Macbeth im Sinne Verdis bewältigt haben soll. Wie bei fast allen Sängern an diesem Abend fehlt es an der Phrasierung und stimmlichen Gestaltung, wie sie die Alten noch auf selbstverständlichem Niveau boten. Aber im Gegensatz zu Maria Agresta, die als Nedda nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch hinter den Ansprüchen an Festspiele zurückbleibt — ausgenommen, man gibt sich bei einer Colombina mit einem Gesichtsausdruck zufrieden — vermag uns Frau Monastyrska als Santuzza zu berühren.

Ob die Mama Lucia Stefania Toczyskas und sie je unter einem Dach leben werden können? Letztere muß in der Abschiedsszene von ihrem Sohn unbewegt bleiben, darf keine Regung zeigen und nur die Einnahmen ihrer Schenke zählen — als ob je eine Mutter so reagiert hätte. Aber Mama Lucia wird uns als eine Patin vorgestellt mit zwei Mafiosi, welche sie beim Geldzählen beschützen, wie ja auch der Fuhrmann Ambrogio Maestris ein Capo ist. Er entledigt sich der Aufgabe, während seines Auftrittsliedes einen Chorkollegen zu mißhandeln, mit jener Selbstverständlichkeit, welche nur jahrelange Erfahrung und die Einsicht in die Unsinnigkeit von Diskussionen mit Regisseuren mit sich bringen. Stimmlich benötigt auch er eine längere Anlaufzeit. So bleiben nur mehr die Szenen mit Santuzza und nach dem Intermezzo, um anzudeuten, weshalb man ihn engagiert hat. Annalisa Stroppa, als Lola seine Frau für zwei Salzburger Nächte, darf sich des öfteren filmisch mit Jonas Kaufmann dem Publikum präsentieren. Sie singt ihre Partie mit breiter geführter Stimme als notwendig und wünschenswert wäre.

Wo Jonas Kaufmann als Turiddu von einem Becher Wein singt, aber eine Flasche in der Hand hält, muß die Nedda Maria Agrestas für das Stelldichein mit Silvio (Alessio Arduini mit kräftigem Bariton, aber ebenfalls Einschränkungen in der gesangstechnischen Gestaltung) den Realismus ihrer Dachkammer und der Pawlatsche mit einer an den blauen Reiter Franz Marcs gemahnenden Landschaft tauschen. Wie das mit einem blauen Anzug, weißen Hemd, Krawatte und Brille ausstaffierte Muttersöhnchen Silvio Neddas Interesse zu wecken vermochte, wird wohl ewig des Regisseurs Geheimnis bleiben. Warum Nedda sich von Silvio für ein bevorstehendes Liebesspiel entkleiden läßt, während ihm ihr Text einen Korb gibt, ein weiteres. Immer wieder stellt man sich die Frage, ob Regisseur Philipp Stölzl die Texte gelesen hat, so unsinnig erscheinen die Handlungen, zu welchen er die Sänger zwingt.

Der Sächsische Staatsopernchor Dresden und der Salzburger Bachchor zählen zu den Stützen des Abends, auch wenn es zu Beginn des zweiten Aktes der Pagliacci einige Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Graben gab. Nicht immer waren auch die Solisten in der Lage, Maestro Thielemanns Intentionen exakt nachzukommen. Da klang so manche Phrase von den Sängern schlecht vorbereitet und daher zu spät.

Maestro Thielemann hatte hörbar mit der Staatskapelle Dresden gearbeitet: So manche Entdeckung war da zu machen, so manches Detail klang aus dem Graben, wie man es im Repertoire nicht alle Tage zu hören bekommt (den für Wiener Ohren ungewohnten Klang der französischen Oboe miteingeschlossen). Die Flüssigkeit und Leichtigkeit in den Übergängen, welche große italienische oder französische Kollegen zu liefern im Stande waren, vermißte man allerdings da und dort. Maestri wie Renato Cellini oder Tullio Serafin fehlen eben in der italienischen Oper von heute…

Beeindruckend und bewundernswert war Herrn Kaufmanns stimmliche und darstellerische Leistung: Dem zweiten Akt der Pagliacci wohnte nicht zuletzt deshalb, aber auch auf Grund der mit — an diesem Abend großteils vermißter — Italianità gesungenen Partie des Beppe/Arleccinos Tansel Akzeybeks eine Spannung inne, welche man nicht alle Tage erlebt. Die Besucher der Première der Salzburger Osterfestspiele 2015 haben jedenfalls ihren Canio für das 21. Jahrhundert gekürt: einen Münchner im (italienischen Opern-)Himmel.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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