”Der ursprüngliche Plan war, für die beiden Opern zwei Tenöre zu
engagieren, und man hatte bei mir für den Canio in Pagliacci
angefragt. Daraufhin hatte ich gefragt, ob ich nicht auch den Prolog
übernehmen könnte”, läßt uns Jonas Kaufmann auf der Website der
Osterfestspiele wissen. — Welch krause Idee! Aber wie gut, daß kein
passender Turiddu zur Hand war und sich Jonas Kaufmann zum
zweifachen Rollen-Debut entschied, ohne Dimitri Platanias den Prolog
streitig zu machen.
Gestern abend also gab man Cavalleria
rusticana und Pagliacci im Großen Festspielhaus, erstmals mit dem
Münchner in den Tenorpartien. Viele waren wohl auch neugierig, wie
Maestro Christian Thielemann diese Herausforderung bewältigen werde.
(Seine Dirigate von Puccinis Manon Lescaut 2013 in Dresden wurden ja
von der breiten Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen.)
Philipp Stölzl, der in Wien zuletzt für seine Halskrausen und
schiefen Ebenen in Verdis Il trovatore auffiel, eine Inszenierung,
welche Monate später in Berlin mit Anna Netrebko, Plácido Domingo
und Daniel Barenboim sogar auf DVD gebannt wurde, agierte ähnlich
glücklos wie seine Vorgängerin Florentine Klepper 2014 bei der
Arabella. Zwei Satzkästen mit je zweimal drei Spielorten bilden das
Bühnenbild: holzschnittartig schwarz-weiß für Cavalleria rusticana,
farbig und mit mehr Details immerhin für Pagliacci (Kostüme: Ursula
Kudrna). Sizilianische Atmosphäre, die bedrückende, auf
gesellschaftliche Enge eines süditalienischen Dorfplatzes am
Ostermorgen hindeutende, oder die schwüle, unangenehme Augusthitze,
welche den Boden bereitet für das Drama um Canio, will da gar nicht
erst aufkommen. Stattdessen herrschen die Tristesse einer
Industriestadt (Cavalleria rusticana) und der 08/15-Buden eines
städtischen Jahrmarkts (Pagliacci) vor.
“Ich hatte beim Hören
den Wunsch, für dieses filigrane Netz von Sehnsucht und Betrug eine
Bühnenlösung zu schaffen, in der es möglich ist, simultan immer auch
die Figuren zu weiterzuerzählen, die gerade nicht ihre Szene haben.
Es wird also neben dem Dorfplatz noch eine Reihe anderer Orte geben,
zwischen denen man hin und her schneidet oder die man auch simultan
sieht, ganz wie im Film”, verriet Philipp Stölzl vorab. Also müssen
die Sänger immer wieder in Konkurrenz zu Hintergrundhandlungen
treten, wird ihnen und dem Publikum zweimal 75 Minuten lang die
Konzentration auf das, was Librettisten und Komponisten einst als
wichtig erachteten, erschwert.
Dimitri Platanias zum Beispiel
mußte den Prolog auf offener Bühne vor allen Chormitgliedern singen
— gestalterisch enttäuschend, aber mit dem in der Partitur
verzeichneten d anstelle des hohen g, mit welchem berühmtere
Kollegen ihren Auftritt zu krönen vermögen.
“[...] Während
des berühmten Intermezzos der Cavalleria beispielweise ist es sicher
spannender zu sehen, was die einzelnen Charaktere in diesem Moment
machen, als nur den leeren Dorfplatz zu zeigen.” — Nein, ist es
nicht. Vor allem dann nicht, wenn man das Intermezzo als Ruhe vor
dem Sturm zu begreifen vermag, als trügerisches Zeichen der
Geborgenheit, welche es in dieser dörflichen Gesellschaft doch
niemals geben kann. Philipp Stölzl tappt in die Falle des
Filmregisseurs des 21. Jahrhunderts, der Aktion über Ruhe stellt —
und verrät so sein Mißtrauen in die Kraft von Mascagnis Musik. Aber
auch in den Pagliacci gibt es Filmaufnahmen, damit alle im Großen
Festspielhaus sehen können, was in einem der sechs Abschnitte
vorgeht. Wer am Rang Platz genommen hatte, besaß diesmal die
besseren Karten.
Jonas Kaufmann liegt die Partie des Turiddu
hörbar weniger als jene des Canio. Die “Siciliana”, mit dem Rücken
zum Publikum an einem Küchentisch sitzend gesungen, bevor Santuzza
und der gemeinsame Sohn zum Frühstück die kleine Dachkammer
betreten, beginnt er mit der Kopfstimme. Später erst mischt er die
Bruststimme dazu, singt mit viel Kraft und legt solcherart beredt
Zeugnis ab darüber, welche Schwerarbeit Operngesang ist. In den
Pagliacci wird ihn Regisseur Philipp Stölzl dafür um den verdienten
Applaus nach “Recitar! … Vesti la giubba” bringen, wenn Herr
Kaufmann eilig in seine Dachkammer zur filmischen Aufnahmesitzung
und zum Schminken auf offener Bühne eilen muß, während man den
unteren Teil des Bühnenbildes wieder in die Budenlandschaft
verwandelt…
Zurück zur Cavalleria rusticana: Liudmyla
Monastyrska ist eine helltimbrierte Santuzza mit zum Teil scharfen
Höhen. Manchmal fragt man sich, wie sie noch vor zwei Monaten in
London die vorgeschriebenen Linien der Lady Macbeth im Sinne Verdis
bewältigt haben soll. Wie bei fast allen Sängern an diesem Abend
fehlt es an der Phrasierung und stimmlichen Gestaltung, wie sie die
Alten noch auf selbstverständlichem Niveau boten. Aber im Gegensatz
zu Maria Agresta, die als Nedda nicht nur stimmlich, sondern auch
darstellerisch hinter den Ansprüchen an Festspiele zurückbleibt —
ausgenommen, man gibt sich bei einer Colombina mit einem
Gesichtsausdruck zufrieden — vermag uns Frau Monastyrska als
Santuzza zu berühren.
Ob die Mama Lucia Stefania Toczyskas
und sie je unter einem Dach leben werden können? Letztere muß in der
Abschiedsszene von ihrem Sohn unbewegt bleiben, darf keine Regung
zeigen und nur die Einnahmen ihrer Schenke zählen — als ob je eine
Mutter so reagiert hätte. Aber Mama Lucia wird uns als eine Patin
vorgestellt mit zwei Mafiosi, welche sie beim Geldzählen beschützen,
wie ja auch der Fuhrmann Ambrogio Maestris ein Capo ist. Er
entledigt sich der Aufgabe, während seines Auftrittsliedes einen
Chorkollegen zu mißhandeln, mit jener Selbstverständlichkeit, welche
nur jahrelange Erfahrung und die Einsicht in die Unsinnigkeit von
Diskussionen mit Regisseuren mit sich bringen. Stimmlich benötigt
auch er eine längere Anlaufzeit. So bleiben nur mehr die Szenen mit
Santuzza und nach dem Intermezzo, um anzudeuten, weshalb man ihn
engagiert hat. Annalisa Stroppa, als Lola seine Frau für zwei
Salzburger Nächte, darf sich des öfteren filmisch mit Jonas Kaufmann
dem Publikum präsentieren. Sie singt ihre Partie mit breiter
geführter Stimme als notwendig und wünschenswert wäre.
Wo
Jonas Kaufmann als Turiddu von einem Becher Wein singt, aber eine
Flasche in der Hand hält, muß die Nedda Maria Agrestas für das
Stelldichein mit Silvio (Alessio Arduini mit kräftigem Bariton, aber
ebenfalls Einschränkungen in der gesangstechnischen Gestaltung) den
Realismus ihrer Dachkammer und der Pawlatsche mit einer an den
blauen Reiter Franz Marcs gemahnenden Landschaft tauschen. Wie das
mit einem blauen Anzug, weißen Hemd, Krawatte und Brille
ausstaffierte Muttersöhnchen Silvio Neddas Interesse zu wecken
vermochte, wird wohl ewig des Regisseurs Geheimnis bleiben. Warum
Nedda sich von Silvio für ein bevorstehendes Liebesspiel entkleiden
läßt, während ihm ihr Text einen Korb gibt, ein weiteres. Immer
wieder stellt man sich die Frage, ob Regisseur Philipp Stölzl die
Texte gelesen hat, so unsinnig erscheinen die Handlungen, zu welchen
er die Sänger zwingt.
Der Sächsische Staatsopernchor Dresden
und der Salzburger Bachchor zählen zu den Stützen des Abends, auch
wenn es zu Beginn des zweiten Aktes der Pagliacci einige
Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Graben gab. Nicht immer waren
auch die Solisten in der Lage, Maestro Thielemanns Intentionen exakt
nachzukommen. Da klang so manche Phrase von den Sängern schlecht
vorbereitet und daher zu spät.
Maestro Thielemann hatte
hörbar mit der Staatskapelle Dresden gearbeitet: So manche
Entdeckung war da zu machen, so manches Detail klang aus dem Graben,
wie man es im Repertoire nicht alle Tage zu hören bekommt (den für
Wiener Ohren ungewohnten Klang der französischen Oboe
miteingeschlossen). Die Flüssigkeit und Leichtigkeit in den
Übergängen, welche große italienische oder französische Kollegen zu
liefern im Stande waren, vermißte man allerdings da und dort.
Maestri wie Renato Cellini oder Tullio Serafin fehlen eben in der
italienischen Oper von heute…
Beeindruckend und
bewundernswert war Herrn Kaufmanns stimmliche und darstellerische
Leistung: Dem zweiten Akt der Pagliacci wohnte nicht zuletzt
deshalb, aber auch auf Grund der mit — an diesem Abend großteils
vermißter — Italianità gesungenen Partie des Beppe/Arleccinos Tansel
Akzeybeks eine Spannung inne, welche man nicht alle Tage erlebt. Die
Besucher der Première der Salzburger Osterfestspiele 2015 haben
jedenfalls ihren Canio für das 21. Jahrhundert gekürt: einen
Münchner im (italienischen Opern-)Himmel.