Salzburg/Baden-Baden - Zweimal Osterfestspiele, zweimal mit Stars im
Neuland: Während Simon Rattle in Baden-Baden den „Rosenkavalier“
wagte, unterstützt von Regisseurin Brigitte Fassbaender, dirigierte
Christian Thielemann in Salzburg „Cavalleria rusticana“ und
„Pagliacci". Ein Punktsieg für Österreich.
Stimmt ja alles
nicht, das mit der Verengung auf Deutschromantisches. Während seiner
Galeerenjahre, vornehmlich in Italien, so wird Christian Thielemann
nicht müde zu erwähnen, da hat er alles dirigiert. Verdi, Puccini,
später solches auch in Berlin. Ausgerechnet mit dem Schlager-Gespann
von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo ist nun auch seine
Regentschaft bei den Salzburger Osterfestspielen eingerastet – nach
dem Regie-Unfall „Parsifal“ und dem Treffen vokal Ergrauter bei
„Arabella“.
Was Thielemann bei Strauss, Wagner & Co.
vollbringt, steht auch Mascagnis „Cavalleria“ ausnehmend gut: die
Detailzaubereien, das lustvolle Regeln und Pegeln an den Schaltern
seiner Staatskapelle, der satt grundierte, nie erdenschwere Klang,
der extrem enge Kontakt zur Bühne. Ein paar Mal dürfen die Dresdner
ihre Muskeln auspacken. Hörenswert ist aber, wie sich das Drama um
Turiddu, der seine Santuzza verlässt, um mit Lola anzubandeln, und
von ihrem Gatten Alfio erstochen wird, wie sich diese sizilianische
Tragödie (auch) im Intimen, im Mikrokosmischen ereignet.
Bei
Leoncavallos „Pagliacci“ fremdelt Thielemann dagegen. Im Bemühen,
nur ja kein kostbares Detail zu überfahren, wird die Sache
geschmäcklerisch. Und das Buffoneske (dem Leoncavallo ja auch eine
zynische Ebene einzieht), das eigentlich Überrumpelnde der
Volksszenen wird gemächlich nachbuchstabiert statt atmosphärisch
eingefangen. Da bleibt es beim – dafür kundigen – Handwerk. Aber
vielleicht hat man sich zu dem Zeitpunkt auch etwas abgesehen am
Regie-Konzept. Philipp Stölzl, sonst gern der Mann fürs
Grobmotorische, spielt Kino im Großen Festspielhaus. Sechsfach
geteilt ist seine eigene „Cavalleria“-Bühne. Immer wieder werden
einzelne oder mehrere Blenden aufgezogen. Synchronhandlungen
ermöglicht das, mehrere parallel laufende Filme, ob live gespielt
oder projiziert, alles in Schwarzweißoptik. Fellini auf
Expressionismus getrimmt: Die dörfliche Enge dieses verzerrten
Fantasie-Siziliens ist fast körperlich erfahrbar, einziger
Farbtupfer ist am Ende die tödliche Wunde Turiddus.
Virtuos
ist das von Stölzl durchgearbeitet, hochpräzise, dicht,
staunenerregend in seiner Wirkung. Ein dunkles Feuerwerk an
optischen Reizen, das aber nie überfordert. Nach der Pause
schlendert das „Cavalleria“-Personal zu „Pagliacci“ herein. Ätsch,
alles nur gespielt, sagt das – und wird doch nicht mehr richtig
fortgeführt. Eifersuchtsdrama II um Weißclown Canio, der seine Nedda
mit Silvio erwischt und sie während einer Aufführung ersticht,
erreicht nicht mehr diese Intensität. Wieder geteilte Bühne, wieder
Parallelereignisse, die „Aufführung“ der Komödientruppe läuft oben,
während unten das Volk staunend und zunehmend entsetzt nach rechts
ins Off starrt. Manches wirkt nur durchgestellt – im vorösterlichen
Salzburg ist die Probenzeit naturgemäß knapp.
Dafür gibt es
immerhin minutenlange (und sehr versöhnliche) Nahaufnahmen von Jonas
Kaufmann, der hier einen seiner größten Triumphe einfährt. Eben noch
erstmals Radames in Rom, jetzt das für ihn neue Doppel
Turiddu/Canio, Angst und schwindlig wird es einem. Ein tenoraler
Nimmersatt? Wer Kaufmann in dieser Premiere erlebt, muss alle Waffen
strecken. Die Töne aus dem Vokalkraftwerk, die nie erschlaffende
Energie, ob im Singen oder im Spiel, die Klangkonzentration auch im
Leisen, die dominierende, andere nie wegdrückende Präsenz –
spätestens jetzt hat der Münchner jenen Thron erobert, der seit
Domingos Emeritierung ins Baritonale verwaist war.
Anders als
bei mancher Thielemann-Premiere stimmt nun die Solistenwahl auf
jeder Position. Liudmyla Monastyrska (Santuzza) ist der Musterfall
einer Hochdramatischen, die ihren Sopran ohne Verspannungen ins
Piano dimmen kann. Ambrogio Maestri (Alfio) und Dimitri Platanias
(Tonio) beweisen, dass man für die schwer zu castenden italienischen
Baritonpartien gleich zwei herausragende Stimmen finden kann.
Stefania Toczyska, früher als Carmen oder Amneris gefeiert, gibt im
Karriereherbst eine ungerührt kalte „Cavalleria“-Lucia. Maria
Agresta drängt zum Diventon, die Nedda ließe sich leichter besetzt
vorstellen. Der Semperopernchor singt mit der Präzision eines
Oratorienensembles. Am Ende klimpern Klunker und Reifen an Armen im
Klatschstress: Genau so bringt man Salzburg aus dem
Festspielhäuschen.