In "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci" kehren Thielemann und Kaufmann die leisen Töne hervor. Philipp Stölzls filmische Inszenierung hat Meriten und birgt Probleme.
Jonas Kaufmann erstmals in den siamesischen Opernzwillingen
„Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“, dazu Christian Thielemann
und die Staatskapelle Dresden: Mit Starglanz geizten die Salzburger
Osterfestspiele auch in diesem Jahr nicht – und sogar Regisseur
Philipp Stölzl wurde, ein paar einzelne Buhs auf oder ab, in den
enormen Jubel nach dieser Doppelpremiere eingeschlossen.
Uneingeschränkt zufrieden oder gar beglückt konnte man freilich
nicht sein: wegen Schwächen in der Besetzung sowie der Inszenierung.
Gewiss können unkonventionelle Sicht- und Erzählweisen gerade so
bekannte, scheinbar genau definierte Stücke in neuem Licht
erscheinen lassen, und ein intelligenter, schauspielerisch
herausragender Sänger wie Kaufmann ist dafür ideal. Mascagnis
„Cavalleria“ spielt also diesmal nicht unter sizilianischen Bauern,
Turiddu ist kein jugendlich-unbekümmerter Draufgänger. Vielmehr
erleben wir ein wie in Schwarz-Weiß abgefilmtes Sozialdrama in einem
industrialisierten Ort des 20. Jahrhunderts, in dem der brutale
Mafioso Alfio das Regiment führt, den Ambrogio Maestri etwas zu
gemütlich anlegt. Gefangen in der falschen Beziehung, hat Turiddu
nur wegen des gemeinsamen halbwüchsigen Sohnes Santuzza nicht schon
längst verlassen – und weil seine Geliebte, Lola, Alfios Frau ist.
Thielemann spürt den Details nach
Nicht
hinter dem Vorhang brüllend, sondern traumverloren beginnt Kaufmann,
nimmt Brüchigkeit in Kauf: Er sehnt sich fort von der Mansarde, in
der er mit seiner Familie wohnt. Später hat Kaufmann alle nötigen
stimmlichen Reserven zur Verfügung, kann jedoch auch die letzten
Melismen der Siciliana in einen Piano-Atem hineinnehmen – Finessen,
die ihr Pendant im bis auf unbedeutende Holperer sauberen, innigen
Spiel der Staatskapelle finden. Thielemann animiert sie beileibe
nicht nur im Intermezzo zu berückend ansetzenden, intensiv
erblühenden Bögen, sondern spürt in beiden Stücken auch mit
Vergnügen Details der plastisch hervortretenden Holzbläser nach –
und holt auch die Dynamik von der oftmals zu erlebenden
Überhitztheit auf die in der Partitur notierten Dimensionen
herunter. Deshalb herrscht oft eine Art Kammerton, zumal Stölzl die
großen Konfrontationen gern in Innenräume verlegt: So kann auch
Liudmyla Monastyrska als Santuzza mit ihrem an sich dramatisch
lodernden Sopran flehentliche Piani einsetzen und ihre emotionale
Ambivalenz verdeutlichen.
Der stärkste szenische Moment ist
ein filmischer Theatercoup, der Innen und Außen der Kirche wie
Schuss und Gegenschuss auf zwei Bühnensegmenten simultan
nebeneinanderstellt. Kein letztes Gebet vor dem Duell hat Turiddu
hergeführt, es ist schon geschehen: Blutend bricht er zusammen,
Alfio wischt sich draußen das Messer an der Hose ab... Möglich macht
das die in zwei Etagen zu je drei Segmenten geteilte
Cinemascope-Bühne des Großen Festspielhauses: ein Setzkastensystem,
in dem verschiedene Schauplätze szenisch ein- und wieder
ausgeblendet werden und mit live gefilmten und projizierten
Großaufnahmen wechseln, welche die Protagonisten aus der Menge der
guten Chöre aus Dresden und Salzburg hervorheben. Grautöne
dominieren und unterstreichen die allgemeine Tristesse. Filmisch
fragmentiert ist freilich auch Stölzls Erzählweise: Teils
hervorragende Personenführung kann nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die Einheit von Zeit und Ort zerbröckelt; es schleichen sich
vermeidbare wie unvermeidliche Ungereimtheiten zwischen Text und
Szene ein.
Canio: Ein eiskalter, strafender Prolo
Bei Leoncavallos „Pagliacci“ wird es dann bunt, sonst walten
dieselben Inszenierungsprinzipien, wobei sich die Bühnenmaschinerie
anfangs willig in die Eingeweide blicken lässt. Doch dann sinkt die
Spannung – vor allem, weil weder die eindimensionale, nicht mit der
nötigen Wendigkeit ausgestattete Maria Agresta (Nedda) noch der
stumpf klingende Dimitri Platanias (Tonio) über darstellerisches und
vokales Mittelmaß hinausragen. So konzentrierte sich die
Aufmerksamkeit auf Kaufmanns ersten Canio, der wie Turiddu abseits
vom Herkömmlichen gezeichnet ist: nicht als aufbrausender
Künstlertyp, dem auf der Bühne Theater und Leben vor Eifersucht
durcheinandergeraten, sondern als ungemein brutaler,
frauenverachtender Prolo.
Vor dem tödlich endenden Auftritt
wird dieser Canio immer ruhiger – bis hin zur eiskalten
Entschlossenheit. Er handelt nicht im Affekt, sondern aus strafendem
Kalkül. Merkwürdig, dass sich diese interessante und vom Tenor
schlüssig über die Rampe gebrachte Auffassung etwas mit der
musikalischen Richtung spießt, die Thielemann vorgibt: Singt
Kaufmann Canios zentrale Arie auf seiner Verismo-CD voller Zorn und
Abscheu, tut er es nun auf der Bühne verblüffenderweise
kontrollierter, nobler – genauso wie im Finale, in dem der Dirigent
sich zu Canios Phrasen ausbreitet und ihnen einen orchestralen
Samtteppich unterlegt, als wollte er den Gewalttäter ein Stück weit
als Liebenden rehabilitieren: Kaufmanns Fans haben es ihm wohl
gedankt.