Die Welt, 29.03.15
Von Manuel Brug
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Da rennt einer wissentlich ins offene Messer
 
"Bei den Osterfestspielen Salzburg stülpt der Star-Tenor Jonas Kaufmann seine Seele nach außen: Philipp Stölzl und Christian Thielemann bieten zwei Operndramen aus dem Geiste des italienischen Kinos.
 
Im Finale hat Jonas Kaufmann jedes Mal Blut am Hemd. Erst sein eigenes, weil ihn ein zu Recht eifersüchtiger Ehemann erstochen hat. Dann, im zweiten Einakter, weil er nun selbst dieser gehörnte Gatte ist, das seiner fremdgehenden Frau.

Der Ermordete wird zum Mörder, das Opfer ein Täter. So ist es, wenn ein einziger Tenor den Turridu in Pietro Mascagnis "Cavalleria Rusticana" und den Canio in Ruggero Leoncavallos "I Paggliaci" singt, was selten genug vorkommt. 1890 und 1892 uraufgeführt, wurden sie erstmals ein Jahr später in New York zu einem Abend gefügt und sind seither als ungleiche Opernzwillinge (fast) untrennbar.

Wobei nicht zwangsläufig ein geistiger Zusammenhang konstruiert werden muss zwischen der erdig-melodiesatten Archaik einer "sizilianischen Bauernehre" und dem fadenscheinigen, dabei impressionistisch farbsprühenden Vorstadttheater des "Bajazzo", wo Commedia dell'arte in blutigen Ernst umschlägt. Aber man kann die Stücke gedanklich kurzschließen – vor allem, wenn man einen Hauptdarsteller wie Jonas Kaufmann hat.

Leidenschaft als Sterbensmüdheit

Der singt im großen Salzburger Festspielhaus Turridus Serenade an die alte und wieder neue Flamme Lola mit gefährlich brechender, nach innen gerichteter Stimme. Später fährt er seinen dunkel grundierten Tenor weiter hoch und stülpt doch vor allem seine Seele nach außen. Da rennt einer wissentlich ins offene Messer, verzweifelt, reflektierend, aber nicht vom eingeschlagenen Weg abweichend. Leidenschaft ist hier immer auch Sterbensmüdheit.

Seinen todsüchtigen Monolog an die Mutter gestaltet Kaufmann ohne jede Äußerlichkeit, so wie er dem Canio verloren-verletzliche Züge gibt. Bei dem ist schon seine Körpersprache eine andere: nervöser, beweglicher. Die unter Tränen lachende große Soloszene wird ebenfalls zur vokalen Erkundung des inneren Seins, an der ein gespannt-begeistertes Publikum teilnimmt.

Die Opernproduktion der Salzburger Osterfestspiele, im dritten Jahr unter Christian Thielemann und mit der Dresdner Staatskapelle, ist diesmal eine exzellent gelungene. Weil auch die voluminös, doch schlank singende Santuzza von Liudmyla Monastyrska, die flirrend-flirtende Nedda (Maria Agresta) und der bedrohliche Alfio (Ambrogio Maestri), ja sogar Tanzel Akzeybek als Beppe ganz wunderbar sind. Und weil Regisseur Philipp Stölzl, der aus dem Video- und Filmgeschäft kommt, nicht nur Kaufmanns Können vollkommen einbettet, sondern weil er auch auf der Bühne bei sich ist.

Raffinierte optische Spielereien

Stölzl entwickelt die theatralische Kraft des Verismo aus der Attitüde des italienischen Stummfilms und siedelt diese gleichzeitig ästhetisch in der schwarz-weiß schraffierten Bilderwelt des frühen Comiczeichners Otto Nückel an. Als Bühnenkonstrukt hat er sechs Kammern mit Rollvorhängen entworfen, die zweistöckig an der Rampe der Cinemascope-Bühne des Großen Festspielhauses stehen.

Wenn rechts oben das sizilianische Dorf als Industriestädtchen-Diorama auftaucht, dann links – quasi im Zoom – die Dächerlandschaft mit Turridus Wohnungsfenster gezeigt wird, anschließend in der Mitte dieser wie der arme "Bohème"-Poet Rodolfo in der Mansarde sitzt, dann ist das wie eine simultan vorgeführte Filmschnittfolge. Das verdoppelt sich im Erdgeschoss, gliedert so die vorhersehbare Handlung.

Das ist ungemein raffiniert gemacht, der bekannte Plot bekommt durch diese rein optischen Spielereien anderen Drive und Spannkraft; obwohl Christian Thielemann seine arg schmusig und zunächst viel zu luxuriös spielenden Musiker in einem breiten Flussbett aus Schicksalsklang führt. Das fließt durchsichtig, gewinnt schließlich an Fahrt, Dichte und Temperament. So wie Stölzl im Finale die Handlung aus verschiedenen Richtungen doppelt und in der Katastrophe münden lässt.

Weniger konsequent gerät Stölzl später der sich in verwaschenen Farben als nostalgischer Rummelplatzbudenzauber ausbreitende "Bajazzo", wo zugleich Thielemann souveräner in seinem Element ist, polyphon schillernd, mit verminderten Akkorden trumpfend. Doch allzu oft müssen jetzt bei den Bildkompositionen Kompromisse gemacht werden. Die Kulissen wirken weniger organisch, zu viel ist in eine Ecke gedrängt und muss als Notlösung für die Zuschauer mit Videokamera verdoppelt werden, bis die Katastrophe virtuos auf dem Komödiantenbrettl kulminiert.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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