Klassik in Berlin
Heiko Schon
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Berlin, Deutsche Oper, 5. Oktober 2010
Falsche Schlangen, echte Stiefmütterchen
 
Besser geht's nicht: Eine konzertante Adriana Lecouvreur an der Deutschen Oper Berlin
 
Was in einhundertfünfzig Opern-Minuten nicht alles abgehandelt werden kann: Theater im Theater, die große Liebe, na klar, aber auch außereheliche Tête-à-têtes, der eifersüchtige Schlagabtausch zweier Diven, Feste werden gefeiert, wie sie fallen, und - apropos fallen - gestorben wird natürlich auch. Selbst die Komik kommt in Adriana Lecouvreur nicht zu kurz: Hier stehen sich Politik und Schauspielerei gegenüber, was bekanntlich schon immer irgendwie zusammen gehörte. Dennoch hat das Ganze einen historischen Bezugspunkt: Die französische Aktrice Adrienne Lecouvreur soll tatsächlich mal mit Moritz von Sachsen, einem Sohn August des Starken, das Nachtlager geteilt haben. Aus dieser Affäre entstand erst das Schauspiel von Eugène Scribe, später die Oper von Francesco Cilea.

Die Metapher mit den Veilchen zieht sich nicht nur durch das komplette Stück, sie charakterisiert zudem recht passend Cileas Komposition. Wie eine zarte Blüte entfalten sich seine Arrangements, verströmt die Musik ein betörendes Bouquet. Dazwischen lodert das Feuer eines waschechten Verismo-Krachers - und Marco Armiliato braucht nicht viel mehr zu tun, als den Orchesterherd auf maximale Gradzahl zu drehen. Unter seiner Leitung entwickelt das DOB-Orchester einen klanglichen Sog, dem man nicht widerstehen kann: ein süßlich-säuselndes, sonnendurchflutetes, dann wieder aufbrausend unwetterartiges Spiel, immer mit Ausdruck - einfach fantastisch.

Jonas Kaufmann, als angeschlagen angesagt, benötigt ein paar Minuten bis sein Tenor warm gelaufen ist, aber dann legt der Münchner mit seinem Maurizio richtig los: Sein dunkles Timbre, die lang gehaltenen, groß aufflammenden, geschmeidigen Höhen, ja selbst die Schluchzer passen perfekt zu dieser Spinto-Partie. Als Überraschung entpuppt sich die Mezzosopranistin Anna Smirnova: Sie besitzt nicht nur eine intakte, voluminöse, ausdrucksstarke Stimme, sondern verleiht der giftigen Fürstin eine nahezu Angst machende Glaubwürdigkeit. Hier bahnt sich eine große Karriere an. In diese A-Reihe gehört fraglos auch Markus Brück, der mit dem Michonnet eine weitere Glanzleistung an seinem Stammhaus abliefert. Doch auch Stephen Bronk (Fürst von Bouillon) und der in der komischen Sparte stets gut aufgehobene Burkhard Ulrich (Abbé von Chazeuil) sind auf den Punkt besetzt. Angela Gheorghiu weiß um ihre stimmlichen wie optischen Reize - und man verfällt ihr nur zu gern. Ihre Adriana ist ein gazellenartiges Geschöpf: lyrisch versierter als die Scotto unter James Levine, um einiges erotischer als Joan Sutherland. Und wenn dieser lupenrein intonierenden, technisch makellosen Lecouvreur der letzte Tanz gehört, sie dann ihr Leben aushaucht und unter den Klängen der Harfe ins Himmelreich entschwebt, dann weiß man wieder, weshalb man die Kunstform Oper so sehr liebt. Ach, schnüff, wie schön.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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