Berliner Zeitung, 04. Oktober 2010
Matthias Nöther
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Berlin, Deutsche Oper, 2. Oktober 2010
Ein Lustspiel mit qualvollem Gifttod   
 
"Adriana Lecouvreur" in der Deutschen Oper

Jonas Kaufmann und Angela Gheorghiu kann man sich an der Deutschen Oper vermutlich nur noch für einen einzigen Gastabend leisten, und anstatt sie dann ohne szenische Proben in ein Bühnenbild hineinzustellen, gibt man die jeweilige Oper lieber gleich einmalig und konzertant. Diese Saison hat man dafür die Verismo-Oper "Adriana Lecouvreur" des Süditalieners Francesco Cilea (1866-1950) angesetzt. Tatsächlich wurde das auch ein voller Erfolg, dank der hervorragenden Disposition namentlich Kaufmanns, der sich - ungeachtet sonstiger Empfindlichkeiten seines eher tief gelagerten Tenors und dunklen Timbres - an diesem Abend mit Höhenglanz und bestens ausgeführter Phrasierung als der Ausnahmesänger erwies, als der er gehandelt wird. Gheorghiu stand ihm da, obwohl eher gesangsdarstellerisch als stimmlich voll präsent, kaum nach.

Die musikalische Leistung und der Ehrgeiz in diesem Projekt sind somit zwar honorig, doch sollte die szenische Beschränkung an einem großen Haus mit dieser (einstigen?) Bedeutung nicht zur Regel werden - doch da ist, immer noch und immer wieder, ein stärkeres Bekenntnis der Politik gefragt.

Sex and Crime

In Cileas feurigem Stück fehlt ohne Szene in der Tat etwas. Gemessen an den sonstigen Sex-and-Crime-Plots, am Geschrei und Haareraufen in vergleichbaren Versimo-Opern von Puccini, Mascagni und Leoncavallo, ist die Oper zwar geradezu hochkulturell-sperrig. Wenn auch der berühmte Theaterautor Eugène Scribe die verbürgten historischen Vorkommnisse um die klassische französische Theaterdiva Adrienne Lecouvreur in ein zugkräftiges romantisches Eifersuchtsdrama umformte, so sind die intriganten adligen Verwicklungen doch eher was für reflexionsversessene Bildungsbürger.

Abstrakt bleibt es dennoch keineswegs. Cilea schlägt opernhafte Schneisen ins komplizierte Geschehen, geschickt trennt er die Sphären. Da ist zum einen der hohe tragische Bereich. Gheorgiu und Kaufmann verkörpern hier die Schauspielerin und ihren adeligen Liebhaber Graf Moritz von Sachsen (Maurizio), während Anna Smirnova mit intensiv-dämonischem Mezzosopran die eifersüchtige Fürstin von Bouillon singt, die sich Maurizio auch angeln will. Es sind perfekt herausgemeißelte Prototypen des italienischen Melodrammas - Cilea fügt für die Auftritte seiner Stars jeweils wirkungsvolle lyrische Ruhepunkte ein, in denen sich Kaufmanns Spitzentöne wie auch Gheorghius ganzkörperlich ausgreifendes Singen voll entfalten können. Da sind zum Zweiten die adeligen Intriganten, auf hohem Niveau gesungen von jungen Solisten um die verdienten Ensemblemitglieder Stephen Bronk und Burkhard Ulrich herum. Deren dummdreist eingefädelte Liebesaffären bettet der Komponist in eine an Rossini erinnernde, klassizistische Komödiantik ein. Lustspielhaftes spielt in der Oper, an deren Ende die Titelfigur zwar eines qualvollen Gifttodes stirbt, eine wesentliche Rolle und wird von Cilea mit dem Tragischen geschickt ins Gleichgewicht gebracht. Bindeglied ist da der melancholische, hoffnungslos in Adriana verliebte Theaterregisseur Michonnet, von Markus Brück mit warmem und agilem Bariton gesungen.

Höchste Zeit für Altmodisches

Bei der Zugkraft des Ganzen fragt man sich, weshalb "Adriana Lecouvreur" so unbekannt ist - die einzige Berliner Inszenierung fand im Jahr 1938 an der Deutschen Oper stattfand, offenbar zur Bekräftigung der "Achse Rom-Berlin". Doch die eher klassisch-schlanke und situationsbezogene Musik, die mit dem ich-bezogenen Seelendrama Wagners und Puccinis weniger zu tun hat als mit dem alten Dramma lirico von Bellini und Donizetti, klang vermutlich in ihrem Entstehungsjahr 1902 für die Klangrauscher des Fin de Siècle schon zu altmodisch. Jetzt wäre Zeit für sie, auch in einer ordentlichen Inszenierung.

 






 
 
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