Klassik.com, 03. Oktober 2010
Dr. Kevin Clarke 
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Berlin, Deutsche Oper, 2. Oktober 2010
Die große Angela Gheorghiu-Show in Berlin 
 

Konzertante Premiere an der Deutschen Oper mit einem Werk, das man seltsamerweise in Berlin selten zu hören bekommt: Francesco Cileas Diven-Vehikel par excellence 'Adriana Lecouvreur', 1902 an der Mailänder Scala erfolgreich uraufgeführt, seither Schlachtross aller Verismo-Soprane von Tebaldi bis Scotto, Caballé bis Gencer - um nur die legendärsten zu nennen. An der Bismarckstraße war das Werk zuletzt 1938 zu erleben, damals wegen der Achse Berlin-Rom auf den Spielplan gesetzt, diesmal wegen der Superlativ-Sängerstars: Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann wollten vor ihrer Bühnenproduktion der 'Adriana' in London einen musikalischen Testlauf absolvieren und ‚beschenkten‘ Berlin mit einem raren (und teuren) Gastauftritt. Das Resultat: Ein restlos ausverkauftes Haus und eine in Huldigungsstimmung herbeigeeilte Fan-Schar, die sich nach jeder Nummer stärker und stärker in Ekstase klatschte. Man kann, rein von der Publikumsresonanz, von einem uneingeschränkten Triumph sprechen, auch von einem Triumph des Star-Theaters und der Sängeroper, wie man ihn so in diesen Breitgraden ebenfalls selten erlebt.

Cileas ‚Commedia‘ (wie es im Klavierauszug heißt) ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung an die Schauspielerin Adrienne Lecouvreur (1692-1730), die auf der Bühne der Comédie Française die Pariser zu Jubelstürmen hinriss. Mehrmals bekommt sie in der Oper Gelegenheit, pathetisch Verse zu deklamieren und mit bewusst theatralischer Geste die Zuschauer von ihrem außergewöhnlichen Spieltalent zu überzeugen. Schon ihr Auftritt ist eine solche Deklamationsszene, die fließend übergeht in die berühmte As-Dur-Arie 'Io son l’umile ancella del Genio creatore'. Adriana verliebt sich im weiteren Handlungsverlauf in Maurizio, den Grafen von Sachsen, und wird schließlich von ihrer adligen Rivalin, der Fürstin von Bouillon, mit einem Veilchenblumenstraußvergiftet. Am Ende schickt sie alle fort aus ihrer Theatergarderobe mit dem hoheitsvollen Satz: 'Scostatevi, profani! Melpòmene son io!' Dann sinkt sie, wie in einem ihrer Erfolgsstücke, melodramatisch zu Boden und stirbt, umflort von glitzernden Streicher-Tremoli und beklagt vom schluchzenden Tenor ('Adriana! Morta! Morta!'). So einfach und wirkungsvoll und unwiderstehlich kann Oper sein. Und um das gleich zu sagen: So schön wie Jonas Kaufmann schluchzt derzeit wohl kein anderer deutscher Tenor!

Sympathisches Rollendebüt

Ich habe Kaufmann zuletzt vor einem Jahr an der Deutschen Oper als Cavaradossi in einer Repertoirevorstellung der 'Tosca' gehört und war verblüfft, wie extrem seine Stimme in so kurzer Zeit gedunkelt ist, als wäre seine Kehle zwischenzeitlich mit baritonaler Bronze ausgeschlagen worden, aus der nur mehr mächtig imponierende, fast brünstige Töne hervor dringen, die mit viel spürbarer Kraft heraus gestemmt werden - was Eindruck macht, keine Frage. Besonders in einer Partie wie der des Maurizio, die vergleichsweise tief liegt und somit Kaufmanns nachgedunkelter Stimme entgegen kommt.

Auch hatte ich Kaufmann vor einem Jahr nicht als besonders durchschlagkräftigen Heldentenor erlebt, sondern eher als lyrischen Sänger mit schlanker Stimmführung und mittlerer Strahlkraft. Ob seine in 'Adriana' gehörten Power-Laute einer veränderten Stimmproduktion geschuldet sind, ob die Stimme seither gewachsen ist in Bayreuth oder ob vielleicht die vielen an der Rampe installierten Mikros dafür da waren, Kaufmanns Stimme zu verstärken (am Bühnenrand hingen vier unauffällige Lautsprecher), kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls klang Kaufmann am Premierenabend wie ein wiedergeborener Mario del Monaco, der den Grafen von Sachsen in den 1960er Jahren ebenfalls als kraftstrotzenden Heroen interpretiert hat. Kaufmann überzeugte im konzertanten Kontext mit natürlicher Ausstrahlung und ebensolchem Spiel und wirkte – wie immer – sympathisch. Er gab eine ausgeglichene Interpretation der Rolle, die mehr Nuancen und Feinheiten vertragen würde, die aber vermutlich bei einem Rollendebütanten nicht zu erwarten sind. Man darf gespannt sein, wie sich sein Maurizio in London weiterentwickelt und ob Kaufmann demnächst ins Bass-Fach wechselt, wenn die Stimme weiter so rasant nachdunkelt.

Kieferlockerungs-Übungen

Ihm zu Seite – nach all den ärgerlichen Absagen der letzten Saison – trat diesmal tatsächlich und leibhaftig Angela Gheorghiu in Berlin auf. Eine optisch strahlende Erscheinung, mit Kostümen, die der neusten ‚Vogue‘ entnommen sein könnten: grau-braunes Abendkleid im ersten Teil, knielanges lila Cocktailkleid nach der Pause, dazu Strass-besetzte Schuhe und so viel funkelnder Schmuck, dass man fast eine Security-Firma herbei holen wollte. Nicht zu vergessen: die aufwendig gelockte Frisur mit frisch getönten schwarzen Haaren, vor der Pause mit Seitenscheitel, nach der Pause mittig geteilt.

Gheorghiu ‚spielte‘ von Anfang bis Ende die exaltierte Operndiva, strahlte in den Saal, wog ihren Körper mit der Musik hin und her, hielt sich mit ausgestrecktem Arm malerisch am Geländer des Dirigentenpults fest, eine Pose, die sie von Maria Callas übernommen hat, die damit indirekt auch ihren Schmuck bestens ins rechte Licht rückte, stand mehrfach mit geschlossenen Augen da, als sei sie völlig versunken in den Klängen, nur um eine Sekunde später wieder sehr seltsame Kieferlockerungs-Übungen zu machen, die ich als Zeichen von permanenter Anspannung und Nervosität deuten würde. Kurz: Es war die ganz, ganz große Gheorghiu-Show, wie sie sich ihre vielen Fans nicht schöner hätten wünschen können.

Auf mich wirkte das Ganze eher aufgesetzt und letztlich hilflos, also das Gegenteil dessen, was die Figur der Adriana in der Oper sein soll, auch in einer konzertanten Wiedergabe. Die Hilflosigkeit hatte ihren Ursprung vermutlich im Gesanglichen. Eigentlich liegt die Partie der Adriana tief, beansprucht vor allem die Mittellage in den melodramatischen Passagen und verlangt in den Höhepunkten keine Spitzentöne, die übers hohe B hinausgehen, meist sogar darunter liegen. (Was die Partie bei alternden Diven mit Stimmproblemen extrem populär macht.) Gheorghiu ist von Haus aus ein schlanker Koloratursopran, bei dem die Stimme vor allem in der oberen Oktave Glanz und Kraft entwickelt. Die untere Oktave dagegen ist eher hauchig und brüchig. D. h. als Adriana kann sie zwar mehrfach mit vehement herausgeschleuderten Spitzentönen Eindruck machen; den Rest des Abends kämpft sie aber gegen das viel zu laute Orchester an, um sich Gehör zu verschaffen. In wieweit auch Gheorghiu akustisch verstärkt wurde, sei dahin gestellt. Diese Verismo-Partie ist jedenfalls nur bedingt geeignet für sie. Eine begnadete Schauspielerin à la Adrienne Lecouvreur, die „gerühmt wurde für die wahrhaftige und unaffektierte Art ihres Spiels, das sich stark von der Künstlichkeit und Egozentrik des Künstlermilieus unterschied“ (wie es im Programmheft heißt), ist Gheorghiu jedenfalls nie und nimmer, eher eine begnadete Selbstdarstellerin, die gerühmt wird wegen ihrer affektierten und egozentrischen Art. Verkehrte Welt? Soetwas hört und erlebt aber jeder anders. Die Mehrzahl der Berliner jubelte Gheorghiu hingerissen zu, Gheorghiu ihrerseits zeigte sich am Schluss gleichfalls hingerissen von der eigenen Performance. Das ansehen zu dürfen, war nicht unamüsant.

Tremolierende Erregung

Apropos Jubel: Den vehementesten Einzelapplaus nach einer Arie bekam ausgerechnet die unbekannte junge Russin Anna Smirnova, die mit einer schier unfassbaren Mezzo-Gewalt die intrigante Fürstin von Bouillon gestaltete. Smirnovas üppigem Organ fehlt zwar ein klarer Fokus und sie hat auch den typisch russischen ‚Wobble‘ im Timbre, aber wenn sie auf ‚full power‘ schaltet und wie ein Bulldozer durch die Musik rast, dann wackeln die Wände, mit oder ohne verstärkende Mikros. Smirnova schaffte es auch, Gheorghiu im Finale des zweiten Akts derart herauszufordern, dass ein echtes Diven-Duell entstand, bei dem Funken flogen – und das Smirnova mühelos für sich entschied. Den rundum überzeugendsten Eindruck machte auf mich dagegen Bariton Markus Brück als Theaterdirektor Michonnet, der als Charakter greifbar wurde, elegisch und sonor gesungen, teils sogar anrührend. Brück fehlt zum internationalen Star nur ein winziger Funken von Gheorghius überbordendem Diva-Gehabe. Vielleicht kann er das noch lernen, jetzt wo er fast den ganzen Abend neben ihr spielen darf?

Am Pult stand der Italiener Marco Armiliato, der die delikate Partitur nicht nur viel zu laut spielen ließ, sondern dem auch jede Leidenschaft und Hingabe fehlte. Wer einmal gehört hat, wie Cileas 'Adriana' klingt unter den Händen von beispielsweise James Levine, wo jedes Tremolo vor Erregung vibriert, der kann hier nur konstatieren, dass Armiliato das Ensemble ordentlich zusammen gehalten hat. Bei einer so prominent besetzen Produktion hätte die Deutsche Oper Berlin doch ein anderes Kaliber Dirigent aufbieten sollen, finde ich. Aber wie gesagt: Die Premierengäste schenkten dieser 'Adriana' dennoch dankbaren und nicht enden wollenden Applaus. Nächste Woche gibt es eine weitere Aufführung, und dann wird sich zeigen, ob man abermals 72 Jahre wird warten müssen, bis zur nächsten Begegnung mit Cileas Meisterwerk.






 
 
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