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BR Klassik, 12.07.2024 |
von Johann Jahn |
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Liederabend, München, Nationaltheater, 11. Juli 2024
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Hier wird nicht gegrollt |
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Traditionell gibt es zu den Opernfestspielen in München immer auch
Liederabende der Stars. Jonas Kaufmann hat sich Schumanns "Dichterliebe"
sowie Werke von Liszt vorgenommen, an der Seite von Helmut Deutsch. Zwei
unterschiedliche Welten – mit unterschiedlichen Ergebnissen
Vertonte
Liebesgedichte sind naturgemäß eine heikle Sache. Die ohnehin komplexe
Angelegenheit der Liebe wird durch die Brille der Lyrik gewürzt mit
psychologischem Feinsinn, moralischem Zeigefinger und symbolischen
Untertönen. Die Musik zieht dann nochmal die ein oder andere Ebene drunter
und drüber. Das gilt in hohem Maße für Robert Schumanns "Dichterliebe"
(Titel von Schumann selbst gewählt) nach Vorlagen von Heinrich Heine. Die
zerrissene Gefühlswelt des Protagonisten, der in Erinnerungen an eine
unerwiderte Liebe schwelgt, wird bei Schumann nicht nur standesgemäß
emotional aufgeladen, sondern gerade in den wundersamen Vor- und vor allem
Nachspielen des Klaviers weitergedacht. Da braucht es volle Konzentration
von Beginn an, um diesem Wechselbad den entsprechenden Gesamtguss zu
verleihen.
KAUFMANN BRAUCHT ANLAUFZEIT Jonas Kaufmann braucht ein
wenig Zeit, um in dieser Reise bei seinem Liederabend im Münchner
Nationaltheater anzukommen. Eher beiläufig kommt der "wunderschöne Monat
Mai" im Auftakt daher, im vierten Lied ("Wenn ich in deine Augen seh‘“)
erinnert das Lyrische Ich die Worte der Angebeteten "Ich liebe dich" – und
Kaufmann wechselt auch mit einer Nuance Stimmfarbe und Rolle, allein: Die
anschließenden Tränen darüber singt er genauso weiter, ohne wieder "zurück"
zu wechseln.
PSYCHOLOGISCHER FEINSINN – UNSENSIBLES PUBLIKUM Aber
spätestens bei der Nr. 7 "Ich grolle nicht" ist er ganz drin im Charakter –
da mischt sich Sarkasmus in den Schmerz, da flackert Hohn, da dunkelt
Kaufmann kurz ab ins Fahle bei der Traumstelle, um gleich kristallklar
aufzuhellen, als gäb’s nie eine Debatte um sein baritonales Timbre, da sieht
man die Schlange, die am Herzen frisst – großartig. Ja, der Traum: Er spielt
eine tragende Rolle in diesem Zyklus, da wird auch mal "geweinet", da wird
so manches imaginiert, und er wird am Ende auch begraben, der Traum. Doch
das Münchner Publikum will nicht träumen, es zerstört die Magie, indem es
vor dem abschließenden Lied klatscht, im Glauben (oder in der Hoffnung?), es
sei vorbei. Sehr schade, für Schumann freilich, der sich hier natürlich was
gedacht hat, aber vor allem für Kaufmann und seinen einfühlsamen Partner
Helmut Deutsch am Klavier, der Wundersames in den textfreien Girlanden
zaubert und dem Tenor einen Teppich ausbreitet, auf dem man fast nur
(traumwandlerisch sicher) fliegen kann. Aber auch das Nachspiel zum letzten
"Sarges"-Lied wird vom Publikum abgegrätscht in rotverdächtiger
Fußballmanier.
ITALIENISCHER SCHMELZ MIT FRANZ LISZT Das geht auch
nach der Pause bei Liedern von Franz Liszt munter weiter – so irritierend,
dass Kaufmann dann eine kleine Ansage macht, man möge sich doch mit der
Freude ein wenig gedulden, man bekomme bei gehaltener Spannung auch (noch)
mehr Genuss – natürlich ohne Vorwurf, very charming rübergebracht, mit dem
federnden Rückenwind der Italianità, die durch die Petrarca-Sonette von
Liszt wehen. Das sind selten zu hörende, teils eruptiv ausbrechende
Wallungen aus der Zeit der italienischen Pilgerjahre des Klaviervirtuosen
Liszt. Repertoire, das dem heldisch-veristischen Tenor Kaufmann liegt,
Stücke, in denen er die Handbremse hörbar lockert und die Spitzentöne auch
mal mit Schmelz garniert. Den nimmt er aber in den deutschen Liedern von
Liszt wieder angenehm zurück, da schimmert dann das Wasser des Rheins, da
blitzt das Geschmeide, da lockt das goldene Haar der Loreley. Sind die
großen Intervallsprünge in den Sonetten nicht immer Kaufmanns Sache, ist er
technisch bei den Vorlagen von Goethe und Heine wieder ganz auf der Höhe,
schattiert überzeugend ab, dosiert durchdacht zwischen Brust und Kopf. Auch
schafft er es, wie auf dem Höhepunkt von Schumanns "Dichterliebe", innerhalb
eines Stücks die Geschichte nachzuerleben, die ganze Emotions- und
Psychologie-Palette einer Situation greifbar, hörbar zu machen. Große
Jubel-Entladungen mitsamt einigen Zugaben, allesamt im Liszt-Kosmos.
Sendung: "Allegro" am 12. Juli 2024 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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