Berliner Morgenpost, 30.12.2023
Georg Kasch
 
Wagnerkonzert, Berlin Philharmonie, 29.12, 30.12. und 31.12.2023
Philharmoniker setzen auf Wagner
 
Chefdirigent Kirill Petrenko hat ein elektrisierendes Silvesterprogramm in petto

Wie das pulst, bebt, einem in die Glieder fährt! Vom ersten Takt an ist man elektrisiert vom Sturm, den Richard Wagner an den Anfang der „Walküre" gesetzt hat. Es klingt, als hätte Kirill Petrenko seine Philharmoniker an Starkstrom angeschlossen: Als Schockwellen jagt einem die Musik ins Blut. Für ihr Silvesterkonzert haben die Berliner Philharmoniker in diesem Jahr ganz auf Wagner gesetzt.

Nun kann man sich fragen: Braucht man „Tannhäuser"-Ouvertüre und Bacchanal, braucht man den 1. Akt der „Walküre" konzertant, also eine Drittel-Oper zum ganzen Preis, wenn man beides an den Opernhäusern der Stadt auch szenisch haben kann, und zwar in beachtlicher Qualität?

Die Gesangssolisten sind der Trumpf des Silvesterkonzerts
Ja! Denn im Konzert hat man die Chance, sich völlig in die Details der Partitur zu vertiefen, die Petrenko mit seinen Musikern mustergültig herausarbeitet: die völlige Klangüberwältigung, wenn die Blechbläser das Schwertmotiv formen; die kammermusikalische Feinheit, wenn das Cello-Solo von Gefühlen erzählt, derer sich die Protagonisten erst bewusst werden.

Im ersten „Walküren"-Akt aus dem zweiten Teil der Operntetralogie „Der Ring des Nibelungen" geht es um eine verbotene Liebe: Siegmund und Sieglinde, nach der Geburt getrennte Zwillinge, begegnen sich wieder — Sieglinde ist unglücklich mit Hunding verheiratet, Siegmund auf der Flucht. Hier gehen das einander erkennen und sich ineinander verlieben zusammen.

Der Trumpf des Abends sind die Gaststars. Jonas Kaufmann, Vida Miknevičiūtė und Georg Zeppenfeld haben ihre Rollen an verschiedenen Opernhäusern bereits völlig durchdrungen. Entsprechend ist das, was man da auf dem kleinen Podium-Eckchen erlebt, perfekte Rollengestaltung: äußerst präzise Artikulation und genaueste musikalische Gestik trifft auf große Spiellust. Wenn Hunding in seine Hütte tritt, hebt Zeppenfeld skeptisch die Augenbraue — und schon wird deutlich, warum ihm Miknevičiūtės Sieglinde antwortet, ohne dass er eine Frage gestellt hätte. Für den Silvesterabend fällt Zeppenfeld aber krankheitsbedingt aus. Tobias Kehrer springe kurzfristig als Bass für ihn ein und debütiere bei den Philharmonikern, vermeldete das Orchester am Sonnabend.

Es gibt ja das alte, in Berlin längst vielfältig widerlegte Vorurteil des Wagner'schen Brüllgesangs. Mustergültig führen die drei vor, wie sehr auch der „Ring" aus dem Geist des Liedes komponiert wurde. Wenn sie dann plötzlich doch ein wenig aufdrehen - Kaufmann etwa mit seinem fantastisch in den Raum projizierten „Wälse!"-Ruf, Miknevičiūtė mit betörendem Gleißen -, dann wirkt das umso packender. Bühne, Kostüme, Inszenierung vermisst man nicht eine Sekunde.

Etwas anders war das in der „Tannhäuser"-Ouvertüre mit Bacchanal der Pariser Fassung vor der Pause. Auch hier funkelt und strahlt es, und dramaturgisch ist das nachvollziehbar gesetzt, geht es im „Tannhäuser" doch auch um unmögliche Liebe. Petrenko stürzt sich aber weniger auf die Motivik der Oper, die Wagner vorab durchspielt, sondern interessiert sich mehr für die an „Tristan" erinnernden Harmonien, das sinnliche Flirren, die Nebenstimmen. Ganz anders die Zugabe, das Vorspiel zum 3. „Lohengrin"-Akt: Hier strahlt und vibriert die Musik so hochgespannt, dass man voller Energie aus der Philharmonie kommt. So kann das neue Jahr beginnen!









 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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