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Online Merker, 1.1.2024 |
Dr. Ingobert Waltenberger |
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Wagnerkonzert, Berlin Philharmonie, 29.12, 30.12. und 31.12.2023
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BERLIN/ Zoopalast: SILVESTERKONZERT DER BERLINER PHILHARMONIKER – live im Kino. Wagnersternstunde |
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Rein künstlerisch markierte dieses Silvesterkonzert der Berliner
Philharmoniker orchestrale Wonnen und sängerische Glückseligkeit ohne Wenn
und Aber.
Im Kino war das Silvesterkonzert aber auch
deshalb ein Erlebnis, weil im Vorprogramm von 17h bis 17h30 die im September
2001 als erste Blechbläserin zu den Berliner Philharmonikern gestoßene
Hornistin Sarah Willis als gut aufgelegte Moderatorin mit Schmäh und
Fachkunde Einblicke in die musikalische Arbeit mittels Interviews mit
prominenten Kollegen des Orchesters ermöglichte. Da kam es in den sprachlich
babylonischen Wirren zwischen Deutsch, Englisch und „Denglisch“ schon mal
vor, dass die sympathische Willis das 15 -Jahr Jubiläum der Digital Concert
Hall irrtümlicherweise statt im January im July 2024 verortete und diesen
kleinen Lapsus sofort mit Witz kommentierte.
Das Plus zum Konzert im
Saal: Auf einmal rückten die Halbgötter und -göttinen des für mich
persönlich aufregendsten Orchesters der Welt als profilierte Menschen ins
Rampenlicht mit ihren musikalischen Vorlieben und Wahrnehmungen von den
heute unverzichtbaren Techniken der digitalen Verfügbarkeit der Konzerte bis
zur Musik Wagners. In improvisiert wirkenden Gesprächen mit dem aus
Asheville stammenden ersten Konzertmeister Noah Bendix-Balgley, mit dem
österreichisch-ungarischen Cellisten Stephan Koncz oder dem Oboisten Andreas
Wittmann wurde u.a. der Frage auf den Zahn gefühlt, wie das denn war vor 15
Jahren, als das Streaming-Portal der Berliner Philharmoniker, die Digital
Concert Hall, ins Leben gerufen wurde.
Wie sich herausstellte, war es
nicht so ganz einfach für die Musiker, die durch den verstärkten Kamera- und
Mikrofoneinsatz bei Konzerten anfangs unter noch mehr Druck standen als
sonst. Sarah Willis merkte humorvoll an, dass man bei den obligaten
Mitschnitten halt noch mehr auf die Frisur achten musste/müsse. Mittlerweile
hat man sich daran gewöhnt. Karajan jedenfalls wäre von dieser Entwicklung
begeistert gewesen, war man sich einig.
Zur Musik von Richard Wagner
und dessen Leitmotivtechnik wurden Parallelen zur heutigen Kinomusik
gezogen. Besonders der amerikanische Komponist und Produzent John Williams
(Star Wars) hat die Befragten mit seinen von Wagner abgeluchsten
Kompositionsverfahren offenbar uneingeschränkt begeistert. Auch Kirill
Petrenko, der für die Pause im Kino vom Geiger Philipp Bohnen interviewt
wurde, lobte Wagners raffinierte Orchesterfarben und die
textlich-musikalische Durchdringung der Motive besonders im ersten Akt von
„Die Walküre“. Da seien oft schon vor der Konkretisierung im Gesang die
Stimmung und die Aktion musikalisch vorgegeben bzw. vorbereitet. Besonders
den dunklen Streichern, wie den Celli kämen als klangliche Mittler in der
Anbahnung der Beziehung der zwei noch namenlosen Liebenden große Aufgaben
zu. Entsprechend prominent hatte die Kameraführung den feschen
Cellosuperstar Bruno Delepelaire in vielen Nahaufnahmen herangezoomt.
Der aus seinen Tätigkeiten als GD am Meininger Theater, in München und
Bayreuth höchst wagnererfahrene und -affine Dirigent analysierte, dass in
Bayreuth die dialogisch intim gezeichneten Stellen von „Die Walküre“ durch
den verdeckten Orchestergraben besonders schwierig zu realisieren seien,
weil der direkte Kontakt zwischen der Sängerschaft und den Instrumentalisten
fehle. Eine konzertante Aufführung erleichtere hier vieles. Sie mache auch
deshalb Sinn, weil die Geschichte um das von Wotan gezeugte Geschwisterpaar,
das in einer inzestuösen Verbindung den Helden Siegfried hervorbringen
solle, in einem feindlichen Umfeld in sich kompakt und abgeschlossen sei.
Zur Tannhäuser-Ouvertüre und dem später für die Ballett-Konventionen der
Pariser Oper geschriebenen Bacchanal meinte Petrenko, dass es spannend sei,
dass hier von der kompositorischen Entwicklung Wagners zwei musikalische
Stufen, nämlich die eines Carl Maria von Weber in der Ouvertüre und der von
„Tristan und Isolde“ harmonisch beeinflussten Venusbergmusik unmittelbar
aufeinandertreffen.
Die Berliner Philharmoniker spielten eine
traumhaft alle widerstreitenden Stimmungen malende, formal streng
durchgetaktete, im Verlauf immer mehr ins orgiastisch Zügellose schießende
Tannhäuser-Musik. Ob bigotte Keuschheit oder unzähmbare sexuelle Lust,
Enthaltsamkeit oder ungehemmte Triebauslebung, demütiger Choral oder
hymnisches Abfeiern der freien Liebe, Petrenko schärfte Wagners Glaubens-
und Lustmotivgeflechte, wusste strukturelle Klarheit und Klangekstase zu
einem alle Sinne reizenden symphonischen Urknall zu modellieren.
Im
ersten Akt von „Die Walküre“ hingegen ließ Petrenko die Musik nach
schicksalhaftem Gewittersturm und Ankunft Siegmunds in Hundings Hütte erst
einmal in kammermusikalisch zagendner Zartheit leuchten. Die
Spannungsschrauben in der Auseinandersetzung des Wälsungen mit Hunding, dem
gegenseitigen Erkennen und steigenden Begehren der Geschwister zog Petrenko
unerbittlich bis zum Zerreißen im „So blühe denn, Wälsungen Blut“ an.
Für das leidenschaftlich lodernde Kammerspiel stand dem Dirigenten ein
stimmlich optimales Trio zur Verfügung. Jonas Kaufmann ist erfreulicherweise
wieder in Top-Form. Er erinnert mit seinem faszinierenden, vielfarbig
timbrierten, kernigen Heldentenor, den er differenziert vom tragenden Piano
bis zur heldischen Attacke in dunkler Glut am Köcheln hält, an Vickers. Die
Wälse-Rufe schienen kein Ende zu nehmen, die „Winterstürme“ erblühten in
lyrischer Verzückung. Ein in der gegenwärtigen Opernlandschaft
faszinierendes Rollenporträt, das in seiner ausgetüftelten Wort-Tonsymbiose
und scheinbar mühelosen dramatischen Kraft an die größten Rollenvorgänger
anschließen kann.
Ihm zur Seite reüssiert Vida Miknevičiūtė als
strahlende Sieglinde. Wunderbar, dass diese Sängerin, neben einer
beispielhaften Textverständlichkeit und einer tollen Höhe auch die tiefer
gelegenen Register mit beeindruckender Fülle zu gestalten weiß. Die
litauische Sopranistin garniert ihren konzertanten Auftritt mit wohl
dosierter Mimik und rollenadäquater Gestik. Schön, dass es im jugendlich
dramatischen Fach mit Asmik Grigorian, Lise Davidsen und nun Vida
Miknevičiūtė drei hervorragende Spitzenvertreterinnen mit
Entwicklungspotenzial gibt.
Als dritter im Bunde vervollständigt der
für Georg Zeppenfeld eingesprungene deutsche Bass Tobias Kehrer,
Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, als düster nach Rache dürstender
Brutalo Hunding ein glanzvolles Vokaltrio, das diesen ersten Akt Walküre zur
Opernsternstunde adelte.
Da Kino Kino und noch dazu Silvester ist,
feierte das Publikum in allen Altersklassen während der Vorstellung (dezent)
mit Wein und Sekt. Einem kleinen Mädchen dürfte es nicht gefallen haben, es
redete ohne Unterlass mit ihrer Mutter im ausverkauften Saal 2 des Berliner
Zoopalastes, bevor es der Mutter zu blöd war und die beiden mitten im
zweiten Teil des Konzerts den Saal verließen. Und da es nach der Vorstellung
regnete, hielten sich das Geballere und Geknattere der selbst ernannten
Pyrotechniker im Umfeld der Problemzone Bahnhof Zoo in einigermaßen
erträglichen Grenzen.
Hinweis: Am 6. Januar 2024, 19 Uhr, findet die
Jubiläumssendung „15 Jahre Digital Concert Hall“ statt. Den Höhepunkt der
Jubiläumssaison bildet eine Sondersendung mit Mitgliedern des Orchesters und
Machern der Digital Concert Hall, die von der Entstehung der Plattform
erzählen. Moderatorin und Hornistin Sarah Willis, weitere Mitglieder der
Berliner Philharmoniker und Gäste geben Ein-, Rück- und Ausblicke rund um
die Plattform mit musikalischen Highlights aus 15 Jahren.
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