Bachtrack, 12 diciembre 2023
Por Snapdragon
 
Puccini: Turandot, Wien, Staatsoper, ab 7. Dezember 2023
Neue Therapieansätze für Turandot an der Wiener Staatsoper
 
Regietheaterlich unausgegorene Dutzendware - Puccini hätte sich Besseres verdient

Claus Guth inszeniert Turandot an der Wiener Staatsoper, was manche eine von Fernost-Kitsch entrümpelte Turandot mit psychologischem Tiefgang bejubeln lässt, andere aber eher unbefriedigt zurücklässt. Das Märchen von der Prinzessin, deren Heiratskandidaten regelmäßig an ihren Fragen scheitern und damit ihren Kopf verlieren, wird durch die szenische Reduktion auf ein Kammerspiel weder zugänglicher noch tun sich neue Erkenntnisse auf.

Anders als in vielen seiner Inszenierungen verzichtet der Regisseur auf unkonventionelle Kulissen (seine Pariser Bohème spielte etwa im Weltraum) und beschränkt sich in dieser Inszenierung auf die symbolische Bebilderung des Geschehens in der Art der Nuller- und Zehnerjahre. Immerhin wirkt Turandots Tanz mit einem kopflosen Körper im ersten Akt so originell wie die Verlegung der entscheidenden Frageszene in ihr Schlafzimmer, was dem Geschehen einen intimen statt öffentlichen (aber auch weniger spektakulären) Charakter verleiht.

Guth zeigt die Figur der Turandot als verletztes und doch verzogenes Mädchen, das sich nach Calafs Triumph feig ins Bett verzieht und kindisch darauf besteht, dass Regeln nicht für sie gelten. Dass sie in dieser Inszenierung Liù an den Haaren zieht (also selbst die Dinge in die Hand nimmt), passt nicht so recht in das ansonsten vermittelte Bild der grausamen wie zerbrechlichen Kindfrau, die ohne Dienerinnen und Henker verloren wäre.

Asmik Grigorian hat für diese Eislady die richtige Stimmfarbe; will man sie mit Lichtfarben vergleichen, wird man schnell bei Kaltweiß landen, das alles – Schönes wie Schreckliches – gnadenlos ausleuchtet. Sie verfügt über die notwendige Technik und schauspielerische Hingabe, zusätzlich jene Furchtlosigkeit, ohne die man Turandots Notensprünge und Spitzentöne gar nicht anzugehen braucht. Kurzum: ein weiterer Triumph für die gefragte Sopranistin, die sich gern herausfordert.

Jonas Kaufmann debütiert in Turandot ebenso wie Grigorian, und nicht weniger erfolgreich. Einige mögen bemäkeln, dass die Partie des Calaf für ihn spät kommt, doch hat sich das Warten gelohnt. Angesichts der Tatsache, dass Turandots junge Verehrer allesamt an ihren Fragen scheitern, ist die Besetzung mit einem in jeder Hinsicht erfahrenen Sänger grundsätzlich eine gute Idee. Zusätzlich verfügt Kaufmann zweifellos über das gewisse Etwas, das ihn in seiner Karriere wie auch in der Figur des Calaf von seinen Konkurrenten abhebt. Allein das noble „Nessun dorma“, wo andere billige Effekte suchen, ist ein Genuss, doch zeigt er auch abseits dieses Gassenhauers seine Qualitäten.

Obwohl Etienne Pluss‘ Bühnenbild Sigmund Freuds Praxiseingang zitiert, wird die Figur des Calaf bei Guth nicht vordergründig zu Turandots Therapeuten, auch wenn sich Kaufmanns Calaf abgeklärt und selbstbewusst wie ein solcher gibt. Es bleibt dabei, dass sich Turandot durch die Entdeckung der Liebe in sich selbst erlöst, auch wenn Calaf dafür harte Bretter bohren muss und seine Tricks auch nicht die feinsten sind: Durch das Rätsel um seinen Namen bringt er ja nicht nur ganz Peking um den Schlaf, sondern auch seinen Vater Timur (bestens besetzt mit Dan Paul Dumitrescu) und die Sklavin Liù in Todesgefahr. Der von Turandot „geraubte“ Kuss ist auch so eine Sache...

Doch die Tricks wirken, die liebe Liù tot, die psychopathische Turandot und Rätselkönig Calaf werden ein Paar. Bei Guth darf Turandot ihren Calaf noch vor der offiziellen Vermählung an der Hand nehmen und hinter die Bühne mit sich ziehen. Wie das fiktiv weitergeht, ist ein interessantes Gedankenspiel: dass Turandot Calaf doch noch loswerden will ist zumindest nicht unwahrscheinlicher als eine glückliche wilde Ehe, die auf Unrecht gebaut ist.

Kristina Mkhitaryans tadellose Leistung als die erwähnte Liù will man nicht kleinreden. Sie spielt und singt sich in die Herzen des Publikums, doch ist ihr Sopran fast zu sehnig-muskulös für das bedauernswerte Opfer von Turandot und Calafs Ratespielen, womit es etwas an Kontrast zu Turandot fehlt.

Eine merkwürdige Situation ergab die Besetzung von Jörg Schneider als Altoum. Im Aufeinandertreffen seines hell timbrierten Tenors auf Jonas Kaufmanns baritonal gefärbtes Instrument hörte es sich beinahe an, als ob die Rollen von Schwiegervater und potenziellem Schwiegersohn vertauscht wären.

ing, Pang und Pong (ein witziges Trio: Martin Häßler, Norbert Ernst und Hiroshi Amako) spielen mit den abgeschlagenen Verehrer-Köpfen Ball und trinken dazu Bier. In dieser Inszenierung sehen sie aber aus wie Kai, Jens und Uwe, und das gilt auch für den Chor, die Frauen inklusive. Alle tragen rotblonde Perücken zu Anzügen in pastelligem Pistaziengrün, so als hätte sich eine nordkoreanische Militärparade in einen in einen Aufmarsch deutscher Musterschwiegersöhne aus den Sechzigern transformiert. Die Klischee-Chinesen werden also durch Klischee-Deutsche ersetzt, und das ist ebenso wenig ein Fortschritt wie die Auffassung von Volk als anonyme Masse, welche teilweise (aber nicht unpassend) das Bühnengeschehen aus dem Off kommentiert.

In den musikalisch bombastischen Abschnitten, die von Marco Armiliato dennoch gut dosiert dirigiert werden, wirkt nicht nur diese Klonarmee passend alptraumhaft. Demgegenüber geraten die von Armiliato mit delicatezza servierten leiseren Szenen visuell häufig zur unfreiwilligen Karikatur, und der häufige Einsatz von Symbolen (eine tickende Uhr für die Schlaflosigkeit, Knochen für Turandots Ahnin…) ersetzt den üblichen Kostümschinken viel zu oft durch die übliche Regieklamotte. Aufregend ist anders, mutig auch.













 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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