Tiroler Tageszeitung, 8.12.2023
 
Puccini: Turandot, Wien, Staatsoper, ab 7. Dezember 2023
Puccini an der Staatsoper: Turandots Trauma und Freuden für Freudianer
 
Regisseur Claus Guth deutet Puccinis „Turandot“ an der Staatsoper als psychologisches Kammerspiel neu. Dafür gab es vehemente Buhs – und euphorischen Jubel für die Solisten Asmik Grigorian, Jonas Kaufmann und Kristina Mkhitaryan.

Wien – In der Psychoanalyse ist der Widerstand ein gängiger Topos – und mit genau diesem sah sich am Donnerstagabend auch Regisseur Claus Guth in der Wiener Staatsoper konfrontiert. Seine Interpretation von Giacomo Puccinis letztem, unvollendet gebliebenen Werk „Turandot“ als analytischer Psychothriller fiel beim Publikum deutlich hörbar durch. Umso euphorischer bejubelt wurden die beiden Stars Asmik Grigorian und Jonas Kaufmann – beides szenische Rollendebütanten.

Guth, der an der Staatsoper bis dato nur den „Tannhäuser“ inszeniert hatte, bürstet „Turandot“ gegen den Strich, was offenbar der großen Mehrheit des Auditoriums gegen eben selben ging. Kein Massenspektakel, kein exotischer Maskenball, kein Fernost-Prunk: Guth inszeniert ein kühles Kammerspiel, das ganz auf die beiden Hauptfiguren fokussiert. Prinzessin Turandot, die ihren Verehrern drei Rätsel stellt und sie bei Versagen töten lässt, und den sie schließlich bezwingenden Calàf. Die Prinzessin ist in dieser Neudeutung keine vor Stolz strotzende Mystikerin, sondern traumatisiertes Opfer, das Täterin wird. Asmik Grigorian gestaltet den verfehlten Versuch einer Traumabewältigung erschütternd klar aus. Den sehr anspruchsvollen Part bewältigt sie nicht ohne Anstrengung – aber beeindruckend souverän.

Psychologische Durchdringung auch in Über-Arien
Jonas Kaufmann legt seinen Calàf sehr sanft an. Selten war der designierte Intendant der Erler Festspiele weniger Heldentenor als hier. Selbst in der Über-Arie „Nessun Dorma“ nimmt er sich zurück, setzt weniger auf Artistik, als auf psychologische Durchdringung. Dieser Calàf will Gefährte sein – und der mit ihren Dämonen ringenden Prinzessin die Hand reichen.

Auch die dritte entscheidende Figur der Oper, die Dienerin Liù, ist in der Guth‘schen Perspektive neu gelesen. Mit der russischen Sopranistin Kristina Mkhitaryan üppig besetzt, ist die sich aus Liebe selbst opfernde Sklavin hier anders als die Turandot kein Opfer, sondern eine starke, stolze Frau. In Schwarz gewandet, ist sie auch hiermit als Pendant zur weiß-ätherischen Turandot gehalten. Auch Mkhitaryan wurde zurecht euphorisch bejubelt.

Die psychoanalytische Lesart der „Turandot“ ergibt durchaus Sinn. Wenn etwa der soeben erfolgreiche Calàf sich Turandot ausliefert und dies nicht als Kampf, sondern als Versuch zu helfen dargestellt wird. Um zu erkennen, dass das Tor des Palasts (Bühne: Etienne Pluss) Sigmund Freuds Praxistür aus der Wiener Berggasse nachempfunden ist, muss man allerdings ein besonders unverbesserlicher Freudianer sein.

Die Volksmassen werden marginalisiert Claus Guth: gesichtslose Bürokraten, androgyn, austauschbar; die humoresken Einwürfe der Minister Ping, Pang und Pong wirken in dieser seelenausdeutenden Interpretation noch deplatzierter als sonst. Musikalisch konterkarieren Dirigent Marco Armiliato und das Staatsopernorchester die szenische Zurückhaltung mit – bisweilen sehr lautem – Bombast.










 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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