Welt, 22.12.2023
Von Manuel Brug
 
Puccini: Turandot, Wien, Staatsoper, ab 7. Dezember 2023
Puccini gegen Puccini
 
Giacomo Puccinis letzte Oper „Turandot“ ist ein rätselhaftes Stück. Die Arie „Nessun dorma“ ist eine der berühmtesten überhaupt. Jetzt haben mit Wien und Neapel gleich zwei große Traditionshäuser das Meisterwerk neu inszeniert. Der Vergleich gerät zur Überraschung.

Vier Dinge wissen wir sicher über Giacomo Puccinis letzte Oper „Turandot“: Sie wurde nicht vollendet. Der letzte populäre italienische Opernkomponist starb am 29. November 1924 an Lungenkrebs. Es handelt sich konsequent um eine Fabel, angesiedelt in einem Peking von „sagenumwobener Vergangenheit“. Die Calaf-Arie „Nessun dorma“ hat als berühmtester Klassikgesangschnipsel Verdis „La donna è mobile“ überflügelt. Das Stück ist ob seiner musikalisch visionären und dramaturgisch vagen Exotismen plötzlich auf der Cancel-Culture-Agenda.

Es entzieht sich unserem Kenntnisstand, ob Puccini die Oper wirklich nicht fertig komponieren wollte, weil er mit der plötzlich menschlich werdenden, sich der Liebe öffnenden Prinzessin Turandot nicht klarkam. Jedenfalls zieht diese beliebte, heute schwierig zu realisierende Oper die unterschiedlichsten Regietemperamente an – mit Interpretationen zwischen Orientalismus-Opulenz und Verfremdung, Manga-Transfer und Hardcore-Feminismus.

An der Wiener Staatsoper wurde aus „Turandot“ ein symbolistisch reduziertes, stargespicktes Kammerspiel, die Geschichte eines frühkindlichen Missbrauchs. Bei Regisseur Claus Guth verpuppt sich die gegenüber ihren Bewerbern tödlich grausame Prinzessin Turandot im Kinderzimmer, will sich der Welt nicht stellen. Das hat die minimalistische Couture-Anmutung von Nordkorea im Pistazien-Prada-Look.

Es ist sehr genau gearbeitet, in seiner Gegenüberstellung von diktatorischer Unbedingtheit und individuellem Glück so wenig überraschend wie am Ende, wenn sich das unversehens glückliche Paar durch eine Schranktür auf den Weg in die Freiheit macht.

Trotzdem strahlt diese „Turandot“-Inszenierung dank ihrer exzellent besetzten Protagonisten einen besonderen Zauber aus. Zwar spielen die Nebenfiguren kaum eine Rolle, ist der präzise Chor reglos unter oder hinter die Szene verbannt und handhabt Marco Armiliato das Staatsopernorchester oft sehr laut und nicht weniger pauschal.

Eine ideale Spielpartnerin
Aber Jonas Kaufmann und Asmik Grigorian sind nicht nur beide Rollendebütanten, sie werden ihrem Sternestatus auf sehr besondere Weise gerecht. Er hält in seinem blauschwarzen Gehrock immer wieder erstaunt inne, tastet sich mit gaumigen, zurückhaltend baritonal dunklen Noten durch die modern geschärfte, doch wohlklingende Partitur. Er gibt dem Calaf als vom Paradox Turandot fasziniertem Mann eine seltene Plastizität und Tiefe.

Seine Stimme ist klug und sehr schön in Form gebracht, strahlt dunkel nachhaltig, hat verhalten glühende Kraft und Intensität. In Grigorian wiederum hat er ein sensibles Gegenüber, das die störrische Rolle singt, gleißend schön, lustvoll ihre Spitzentöne attackiert und somnambul den Text ausdeutet. Eine ideale Spielpartnerin.

Da man den längeren, von Franco Alfanos vollendeten Originalschluss spielt, haben beide Protagonisten die entscheidende zusätzliche Zeit, um die finale und ziemlich abrupte Gemütsveränderung der Prinzessin als Kernschmelze einer vereisten Seele szenisch glaubwürdig werden zu lassen.


Noch interessanter ist freilich, was man sich im besonders traditionsklammernden, ältesten der großen italienischen Opernhäuser, dem San Carlo in Neapel, zu „Turandot“ hat einfallen lassen........(über Turandot in Neapel)









 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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