Klassik begeistert, 5. November 2023
von Herbert Hiess
 
Verdi: Otello, Wien, Staatsoper, ab 25. Oktober 2023
Ein herausragender, glänzender Baritenor Jonas Kaufmann zerrt Verdis "Otello" in Wien aus dem Mittelmaß
 
Der tatsächliche Held des Abends war aber Jonas Kaufmann. Der Heldentenor, dem man schon unzählige Krisen und Mängel vorgeworfen hat, bewies an diesem Abend, dass er noch immer unschlagbar ist. Man kann ihn – auch historisch gesehen – auf den Spitzenplatz als Interpret des venezianischen Feldherrn setzen. Mit seinem baritonalen Tenor – schon fast ein Baritenor – gab er die Rolle eine hochinteressante Färbung. Schon sein Auftritt mit dem „Esultate“ war bestimmend für den Abend. Mit heldischem Klang fesselte er das Publikum und seine Kollegen auf der Bühne. Und sogar am Schluss das Vorschlags-h zum a war völlig prägnant. Damit hatte sogar Plácido Domingo immer Probleme. Seine Interpretation war immer auf dem Punkt; nichts wurde dem Zufall überlassen. Jonas Kaufmann hat sich mit dieser Interpretation in den Olymp als Interpret des „Otello“ gesungen und ihm gelang es sogar, die ansonsten nicht einwandfreie Aufführung auf ein gewaltiges Niveau zu heben.

Das sind die Tücken des Repertoirebetriebes: Da kann es passieren, dass ein Startenor die wahrscheinlich beste Interpretation des venezianischen Feldherrn bringt, die man sich nur wünschen kann, und dann muss er immer wieder sich mit Mittelmaß im Orchestergraben und auf der Bühne herumschlagen – aber dazu später.

Verdis Oper als sein vorletztes Werk nach dem Drama von Shakespeare und dem Libretto von Arrigo Boito kann als eine seiner reifsten Kompositionen bezeichnet werden. In vier Akten erzählen Komponist und Librettist das brutale Eifersuchtsdrama um die Feldherren Otello, seiner Frau Desdemona und Otellos Widersacher Jago, das letztlich letal endet.

Leider konnte diese Regie von Adrian Noble nicht wirklich alle Facetten dieses Werkes zeigen. Mit einem recht langweiligen und uninteressanten, ja farblosen Bühnenbild ist es auch schwer, bei der nicht vorhandenen Personenführung eines der vielschichtigsten Personendramen darzustellen. Der Chor ist bei seinen wichtigen Szenen im ersten und dritten Akt oratorienhaft herumgestanden und die Schlüsselszenen – wie beispielsweise jene von Jago und Otello am Schluss des zweiten Aktes – war auch nicht interessant.

Dazu kommt, dass Tézier, ansonsten einer der besten derzeitigen Baritone, vielleicht hier etwas zu nobel, zu subtil die Rolle interpretiert hat. Sein Bariton ist bestechend schön, voll und voluminös – leider hat ihm für den Jago das dämonische allzu sehr gefehlt. Seine Frau Desdemona wurde von der Amerikanerin Rachel Willis-Sørensen mit einem schönen und sauber geführten Sopran gesungen. Leider ist ihre Mittellage manchmal etwas fahl, was ein intensives Legato erschwert. Dieses hätte man sich vor allem im Liebesduett im ersten Akt oder im „Lied von der Weide“ und beim „Ave Maria“ erwartet.

Zusätzlich zu den sängerischen Leistungen von Frau Willis-Sørensen und Herrn Tézier kam das etwas eigenartige Dirigat von Alexander Soddy, von dem man eigentlich mehr erwartet hätte. Vor ziemlich genau drei Jahren konnte der Brite in Wien mit Richard Strauss „Salome“ völlig überzeugen (Richard Strauss, Salome, Wiener Staatsoper, 8. Oktober 2020 – Klassik begeistert (klassik-begeistert.de)).

Hier bei Verdi steckte der Teufel etwas im Detail. So waren viele Schlüsselstellen unausgewogen und wenig ausbalanciert. Als (leider negatives) Beispiel muss man das Liebesduett zwischen Otello und Desdemona am Schluss des ersten Aktes erwähnen. Das wurde leider vom Orchester so richtig „runtergenudelt“. Hier wurde keine Phrase ausgekostet, kein Legato wirklich ausgespielt und manche Kantilene bei den Streichern klang etwas brüchig.

Das Tempo ist natürlich Geschmackssache; aber manchmal hätte man sich mehr Innehalten gewünscht. Und was nützt der genialste Sänger in der Titelpartie, wenn seine musikalischen Partner auf der Bühne und im Orchestergraben nicht mithalten. Legati, Pianissimi usw. – das fehlte da leider mehr als reichlich. Und für dieses Spätwerk Verdis hätte man (auch aufgrund der dramatischen Musik) doch auf die große Streicherbesetzung setzen sollen. Mit ordentlicher Probenarbeit hätte man da weit mehr herausholen können. Alexander Soddy ist ein mehr als talentierter Dirigent, was er eben schon in der „Salome“ bewiesen hat. Trotzdem kann man auf seinen weiteren Weg gespannt sein.









 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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