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Online Merker, 26.10.2023 |
Von Manfred A. Schmid |
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Verdi: Otello, Wien, Staatsoper, ab 25. Oktober 2023
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Jonas Kaufmann: Rollendebüt (*) von großer gesanglicher und darstellerischer Intensität
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2017, als er wegen seiner vielen Absagen noch als problematisch galt, sang
er zum ersten Mal den aus Eifersucht zum Mörder werdenden Otello in Verdis
gleichnamiger Oper. Dem erfreulichen Rollendebüt in London folgten weitere
Engagements, die 2020 präsentierte Otello-DVD festigte seinen Ruf als
Nachfolger von Placido Domingo, der diese Figur in den letzten Jahrzehnten
in mehr als 200 Auftritten geprägt hat wie kein anderer. Relativ spät ist
Jonas Kaufmann endlich auch in Wien in dieser Rolle zu erleben: In der
Inszenierung von Adrian Noble und in den Dunkelkammern und den schwarzen
Kostümen von Dick Bird. Der Mehrwert, den die im 15. Jahrhundert spielende
Oper durch die Verlegung in die Zeit um 1900 bekommen soll, bleibt wohl für
immer ein Rätsel, während die Nachteile durch abstruse Ungereimtheiten in
jeder Aufführung bloßgestellt werden. Immerhin ist die Produktion aus 2019
um einiges besser als die durch sie abgelöste, ärgerliche
Boxring-Inszenierung von Christine Mielitz. Hervorragende Besetzungen können
zudem inszenatorische Mängel zum Teil vergessen machen, Was auch diesmal der
Fall ist. Wieder einmal heißt es: die Inszenierung, naja, aber die Musik und
der Gesang! Zum Trost: Umgekehrt wäre es schlimmer: Die Musik, naja, aber
die Inszenierung!
Was seine Stimme im Vergleich zu Domingo vermissen
lässt, die imponierend Stärke, macht Jonas Kaufmann durch intensive
Rollengestaltung weitgehend wett. Dabei kommt ihm zugute, dass er seine
stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten bestes einzusetzen versteht und
um die Grenzen seiner Möglichkeiten gut Bescheid weiß. Das ist wohl auch der
Grund, warum er so gut wie jede Rolle, die er übernimmt, neu definiert, oft
sogar geradezu neu erfindet. Bei seinem Otello ist es dessen
Verletzlichkeit, verbunden mit Unsicherheit und gewissen latenten, noch
immer nicht überwundenen Minderwertigkeitsgefühlen, die er psychologisch
sorgfältig herausarbeitet. Dadurch wird verständlich, warum er sich von
Jago, der seine Schwächen durchschaut hat und geschickt ausnützt, so leicht
manipulieren lässt. Und so wird aus dem erfolgreichen Krieger flugs der
schwache, von Seelenqualen heimgesuchte, verunsicherte Mann, der noch immer
nicht glauben kann, dass ihm der Sprung vom Außenseiter an die Spitze
gelungen ist, wozu auch seine Verheiratung mit Desdemona zählt. Das innige
Duett mit ihr im ersten Akt ist auch als Zuflucht in eine vermeintliche
sichere Beziehung zu deuten. Umso vernichtender daher der von Jago geschürte
Verdacht ihrer Untreue, der dann zu einer vor den Augen der Öffentlichkeit
stattfindenden Eklat führt, der sogar in physischen Angriffen auf Desdemona
ausartet und die spätere Ermordung aus blinder Eifersucht vorbereitend
ankündigt. Die nuancierte Phrasierungskunst Kaufmanns zeigt sich vor allem
im zart gesungenen „Dio mi potevi“ sowie in „Dio ti gioconda“, wo dunkle
Zärtlichkeit allmählich in Wut und Raserei umschlägt. Auch das „Anima mia“
im dritten Akt wird von Kaufmann mit einem Legato gesungen, das bei aller
Sanftheit schon dem Keim des Verderbens und des Ausbruchs von roher Gewalt
in sich trägt.
In Ludovic Téziers hat Kaufmann einen gesanglich und
darstellerisch ebenbürtigen Kollegen an seiner Seite. Téziers Jago ist,
anders als sein erst jüngst wieder einmal zu erlebender Scarpia, kein
Fiesling, der seine Skrupellosigkeit hinter elegantem Auftreten und
eleganter Stimme verbirgt, sondern dieser Jago äußert seine Bösartigkeit und
Schlechtigkeit auch im Gesang. Wenn er seine nihilistische Gesinnung in enem
Selbstbekenntnis schonungslos offenbart und sich als Ausgeburt der Hölle zu
erkennen gibt, wird Téziers nobler Bariton plötzlich brutal und schroff. Nur
wenn er mit Otello, den er ins Verderben schicken will, was ihm auch
gelingt, zu tun hat, verstellt er sich und geht bei der Umsetzung seines
perfiden Plans raffiniert und wohldosiert vor. Ganz vorsichtig und wie
nebenbei lässt er die ersten Bemerkungen fallen, die nach und nach Otello
hellhörig machen und auf eine falsche Spur locken, die in die finale
Katastrophe führen wird. Eine starke Performance.
Rachel
Willis-Sörensen, die wie Tézier bereits 2021 in dieser Wiener Inszenierung
erstmals zum Einsatz kam, verfügt über einen klaren Spinto-Sopran, der
lyrisch ist und mühelos in die Höhe steigt, sich auch in der Tiefe bestens
bewährt und zu dramatischer Intensität fähig ist. Damit zeigt sich für die
Herausforderungen, die die Rolle der Desdemona mit sich bringt, bestens
gerüstet. Sie hat ihre großen Momente im vierten Akt, wo sie sich in
Todesangst an das Lied von der Weide aus ihrer Kindheit erinnert und das
„Ave Maria“ betet. Unschuldsvoll und in Vorahnung eines unbegreiflichen,
grausamen Schicksals.
Szilvia Vöros, vielseitig einsetzbares
Ensemblemitglied, macht bei ihrem Rollendebüt als Emilia, die von ihrem
Ehemann Jago als Instrument in seiner Intrige missbraucht wird, einen ebenso
fabelhaften Eindruck wie ihr Kollege Ilja Kazakov, der mit seinem profunden
Bass dem Auftritt des venezianischen Gesandten Lodovico Autorität und Würde
verleiht.
Der aus Usbekistan stammende Sänger Bekhzod Davronov gibt
ein starkes Hausdebüt in der Rolle des Cassio. In dieser Rolle hat vor rund
20 Jahren auch Jonas Kaufmann seine ersten Auftritte in Verdis Otelo
absolviert. Mal sehen, was aus diesen nicht allzu großen, aber wunderbar
eleganten und in den höheren Registern stimmsicheren, ausdrucksstarken Tenor
werden wird. Davronov hat jedenfalls das Zeug dazu, Karriere zu machen.
Ted Black aus dem Opernstudio macht als Roderigo auf seinen feinen Tenor
aufmerksam, der brasilianische Bariton Leonardo Neiva, ein Neuzugang zum
Ensemble der Staatsoper, hat sich nach Il tabarro, wo er jüngst als Michele
sein Debüt gefeiert hat, nun auch als Montano auf der Bühne tadellos
bewährt.
Nicht hoch genug zu schätzen ist das Staatsopernorchester
unter der Leitung von Alexander Soddy, der sich nicht scheut, die
Klangmassen beim anfänglichen Sturm zu entfesseln und auch sonst dort, wo es
angebracht ist, in aufpeitschenden Crescendi krachen zu lassen, aber so,
dass der extra verstärkte, stimmgewaltige Chor nicht zugedeckt wird. Soddys
stets wohldosierte Dynamik, die auch in den verhaltenen lyrischen Passagen
nuancenreich und transparent bleibt, kommt dann auch den Sängerinnen und
Sängern zu Gute.
Entfesselt ist auch der Applaus im ausverkauften
Haus, auch hier nuancenreich dosiert: Kaufmann, Tézier, Willis-Sörensen,
Soddy …
(*) Das darf man jetzt nicht wörtlich nehmen, Wien ist in
Sachen Debüts ein eigenständiger Kosmos :-)
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