Der Standard, 26. Oktober 2023
Christoph Irrgeher
 
Verdi: Otello, Wien, Staatsoper, ab 25. Oktober 2023
Jonas Kaufmann ist als Otello ein Wüterich mit Stimmgold
 
Jubel für Kaufmann als Otello an der Staatsoper, auch Ludovic Tézier als Jago und Rachel Willis-Sørensen als Desdemona brillieren

Drei Jahre ist es her, da schwamm eine CD aus dem Hause Sony Classical gegen den Strom der Zeit. Tatsächlich: Da hatte ein Major Label wieder einmal eine Repertoire-Oper eingespielt. Der Grund dafür hieß Jonas Kaufmann: Unter luxuriösen Bedingungen hatte der Über-Tenor ein differenziertes Seelenporträt von Verdis Otello gestaltet. Natürlich: Kaufmanns Kernkapital, die sanften Crooner-Töne, glänzt auf dem Album in gebotener Schönheit. Seine Fähigkeiten zur Nuance bringt aber auch Schauriges zutage: Wenn dieser eifersuchtsblinde Otello leise droht oder sarkastisch flüstert, läuft es einem eiskalt über den Rücken.

Glaubwürdigkeitsproblem
Nun lässt sich eine solche Leistung live nicht ohne weiteres wiederholen, wie der Mittwoch an der Staatsoper bewies. Zwar beschert Kaufmann dem ausverkauften Saal im eifersuchtsfreien ersten Akt die erhofften, karamellsüßen Paradetöne. Der grausige Thrill leiser Noten stellte sich in weiterer Folge aber nicht ein, zudem macht sich ein Mangel bemerkbar: Kaufmann vermittelt weder in Bild noch Ton das Naturell eines Befehlshabers, hat ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem als "Löwe von Venedig". Allerdings: Je mehr diese Autorität im Handlungsverlauf schwindet, je mehr Otello zur gequälten Seele mutiert, desto mehr gewinnen Kaufmanns Leidenskantilenen und trotzige Brusttöne an Überzeugungskraft.

Ludovic Tézier sitzt die Rolle des Jago wie angegossen: Die Attacken dieses Baritons sind wie tönende Gewaltakte, seine Legato-Säuseleien gefinkelte Manipulationen. Ein Teufel auf Erden. Rundherum in der dunklen Eleganz von Adrian Nobles Regie Stimmen von Niveau: Rachel Willis-Sørensen verleiht der Desdemona mit durchsetzungsstarkem Sopran die Kontur einer selbstbestimmten Tragödin; Bekhzod Davronov stattet den Cassio mit einem cremigen Tenor aus, Szilvia Vörös leistet wieder einmal in kleiner Rolle (als Emilia) Großes. Und Dirigent Alexander Soddy? Treibt die Tragödie zügig ihrem Ende entgegen, spornt das Orchester zu schneidigen Blechakzenten und fiebrigen Streicherlinien an. Am Ende ex aequo Jubel für Otello, Desdemona und Jago.







 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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