Wiener Zeitung, vom 15.08.2022
Marion Eigl
 
Beethoven: Fidelio, Gstaad und Grafenegg, August 2022
Eine Festival-Eröffnung wie im Bilderbuch
Grafenegg eröffnete seine Festspiele mit einer Aufführung von Beethovens "Fidelio".
 
Anregender Grillgeruch konkurriert mit süßem Blütenduft. Politik, Wirtschaft und Kirche treffen auf Adabeis, was wiederum all jene freut, die nicht nur des Hörens wegen, sondern auch um zu schauen gekommen sind. Natur umfängt Musik, Kultur bedingt Gesellschaft. Ein Besuch in Grafenegg hinterlässt immer vielerlei Eindrücke. Gelegentlich schwappen Schlagerbeats von einem fernen Fest herüber zum imposanten Wolkenturm, den neugierige Rotschwänzchen munter erkunden. Ein idyllischer Ort, gelegen zwischen Wachau, Kamptal und Wagram, keine Autostunde von Wien.

Auch am vergangenen Samstag verfehlte das auf allen Ebenen von Großzügigkeit getragene Ambiente seinen Zauber nicht und bescherte dem Publikum eine Festival-Eröffnung wie im Bilderbuch. Der künstlerische Leiter Rudolf Buchbinder und sein Team bewiesen sowohl bei der Auswahl, der Besetzung als auch bei der Realisierung des Stücks ein goldenes Händchen - Ludwig van Beethovens Opernsolitär "Fidelio" in einer konzertanten Fassung mit Jonas Kaufmann als Florestan und Peter Simonischek als Erzähler. Kein Bügeleisen, keine Dialoge und keine Kappe, die Leonore zu Boden wirft, wenn sie ihre wahre Identität preisgibt. Die Bilder von Otto Schenks Inszenierung hat das Staatsopernpublikum ohnehin im Kopf. Die von Simonischek famos vorgetragenen Texte von Walter Jens beleuchten das Geschehen aus der Sicht des Kerkermeisters Rocco: ein gelungenes Destillat der Handlung in Rückschau. Als unerschrockene Gattin präsentierte die Irin Sinéad Campbell-Wallace mit großem Erfolg ihren von dramatischer Attacke bis zu milder Sehnsucht reichenden Sopran. So kurz die Partie des erst im zweiten Akt auftretenden Florestan auch ausfällt, sie ist wahrlich kein Spaziergang. Wie Jonas Kaufmann den aus tiefster Verzweiflung entsprungenen "Gott"-Ausruf des Gefangenen formte, bleibt in Erinnerung.

Als Widersacher Don Pizarro wirbelte Falk Struckmann mit donnerndem Furor über die Bühne. Christine Landshamer und Patrick Grahl gefielen in den Rollen von Marzelline und Jaquino. Den von Peter Simonischek mit Dringlichkeit angelegten Rocco stattete sein singendes Alter Ego Andreas Bauer Kanabas mit Vorsicht und Dezenz aus. Unter der Leitung Jaap van Zwedens (seit 2018 Chefdirigent des New York Philharmonic) am Pult des gut disponierten Gstaad Festival Orchestra (Oboe, Hörner, Kontrabässe!) und des Tschechischen Philharmonischen Chores Brünn (Einstudierung Petr Fiala) gelangen geschmeidige Übergänge, stimmte die Balance zwischen berückendem Zeitanhalten und gebündelter Kraft in Beethovens Musik.

Das Grafenegg Festival läuft nun bis zum 4. September. Nächstes Wochenende wird das Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck erwartet. Ebenso sind Sir Simon Rattle und das London Symphony Orchestra am Wolkenturm zu Gast. Composer in Residence ist heuer der international gefeierte Österreicher Georg Friedrich Haas. Seine "Parkmusik für Grafenegg" wird am letzten Festival-Vormittag bei freiem Eintritt im Schlosspark uraufgeführt - gespielt von Blasmusik-Ensembles aus ganz Niederösterreich.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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