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Südwest Presse, 1.7.2021 |
Von JÜRGEN KANOLD |
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Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
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Nur die Musik darf berühren |
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Festspiele wie in alten Zeiten: Kirill Petrenko dirigiert phänomenal „Tristan und Isolde“. Auch Jonas Kaufmann und Anja Harteros ernten Ovationen nach der Münchner Premiere.
München. Der rote Teppich ist ausgerollt, Fotografen stürzen sich auf die
lokale Schickeria, die Klatschreporter haben wieder Stoff. Münchner
Opernfestspiele, fast wie in alten Zeiten. Und das „Ludwig Zwei“ hat neu
geöffnet im Untergeschoss des Nationaltheaters; Ludwig II., der „Kini“,
war es ja gewesen, der Richard Wagner vergötterte, ihn finanziell rettete
und auch die Uraufführung von „Tristan und Isolde“ 1865 ermöglichte. Das
Restaurant serviert nun passende Menüs zur Premiere der Neuinszenierung von
Krzysztof Warlikowski, etwa „Verbotene Liebe“, ein Dreierlei aus
Weiderind-Tatar, Roastbeef und Carpaccio, und einen „Original Liebestrank“
aus geviertelten Erdbeeren und Holunder.
Ersehnte Normalität also in
der immerhin zur Hälfte besetzten Bayerischen Staatsoper
(Schachbrettmuster!), und während am Dienstagabend das traurige
EM-Achtelfinale der Deutschen lief, war das in München tatsächlich ein
furioses, fünfstündiges Endspiel. Nach 13 Jahren tritt Staatsintendant
Nikolaus Bachler zum Saisonende ab, er hatte jetzt noch einmal seine
bevorzugte Weltklasse aufgestellt: Kirill Petrenko, lange sein
Generalmusikdirektor, bis die Berliner Philharmoniker den Russen holten,
sowie das Traumpaar Jonas Kaufmann und Anja Harteros. Und ja, musikalisch
war das sensationell.
Petrenko ist so eine Art Röntgenologe unter den
Dirigenten, er sieht alles in der Partitur, diagnostiziert das Unerhörte.
Genauer gesagt: Er zwingt zum Hinhören, verbreitet nicht nur Gefühle oder
sucht den Effekt. Das ist modern. Andererseits tritt dieser Perfektionist
als Dramatiker und Klangkünstler auf: wie hingehauchte Stimmungen, feinste
Kammermusik, organische Übergänge und dann höchst plastisch gemeißelte
Aktionen und Attacken. Und das wirkt, weil das Bayerische Staatsorchester
den einst als unspielbar geltenden „Tristan“ wundervoll musiziert, als
setzte es seit der Uraufführung den Maßstab.
Aber noch einmal zu den
Getränken. Was stand denn auf der Karte des Regisseurs? Mit den romantischen
Drinks ist es in dieser Oper nämlich so eine Sache. Tristan bringt seinem
Onkel König Marke auf dem Schiff die Braut, wie eine Beute. Es ist Isolde,
die Prinzessin aus dem verfeindeten Irland, deren Verlobten er im Kampf
erschlagen hat. Allerdings hat Isolde dann den verwundeten Tristan gesund
gepflegt. Die unfassbare Liebe.
So fühlt sich die verratene Isolde wie
eine „Leiche“, als Tristan sie nun aus Staatsräson nach Kornwall fährt. Sie
sucht den Tod, wie Tristan auch, wie sie in der Aussichtslosigkeit von
Glück. Doch Brangäne, Isoldes Zofe, leistet keine Sterbehilfe, teilt nicht
den bestellten Todestrank aus, sondern heimlich einen Liebestrank. Alles ist
jetzt anders, wird aber auch nicht gut. Liebe, Todessehnsucht,
„himmelhöchstes Weltentrücken“, das ist ihnen eins, egal mit welchen Drogen.
Eine Frage der Getränke Schon Thomas Mann freilich konstatierte, der
Liebestrank sei nur ein Mittel, um die Leidenschaften frei zu machen, „in
Wirklichkeit könnte es reines Wasser sein“. Bei der letzten Münchner
„Tristan“-Produktion, Peter Konwitschny führte Regie, servierte zum Beispiel
ein Stewart auf einer Luxusjacht die Getränke, Brangäne aber kippte das Gift
weg. Und jetzt? Holt Isolde eine tödliche Dosis aus einem Schränkchen, gibt
es Brangäne, die das Fläschchen in eine Silberkiste packt, um bald mit zwei
gefüllten Gläsern zurückzukommen, die brav getrunken werden. Was offenbar
psychedelische Träume auslöst bei den Verliebten, jedenfalls verwandelt sich
eine Blumentapete im Hintergrund extrem ins überblendend Bunte. Hat
Brangäne den Trank getauscht? Man weiß es nicht so genau, man kann überhaupt
wenig Konkretes von Warlikowskis Regie berichten. Außer, dass Tristan, den
ein schrecklich krebskrank aussehender Android doubelt, eine schwere
Kindheit hatte, dass es in dieser „Handlung“ um seelische Abgründe geht, und
dass Tristan und Isolde – was immer sie auch getrunken haben mögen – in
ihrer Einsamkeit gefangen bleiben, man ihnen aber auch den Suizid verwehrt.
Surreale Filme Der wertig holzgetäfelte Einheitsbühnenraum im
Art-Deco-Stil von Malgorzata Szczesniak ist auch mit einer Freud'schen Couch
möbliert und Schauplatz diverser Familienaufstellungen. Im zweiten Aufzug,
der Liebesnacht, läuft im Hintergrund ein Film, der Tristan und Isolde in
einem Hotelzimmer zeigt, wie sie berührungslos auf dem Bett liegen. Davor
singen sie sich, in Ledersesseln sitzend, ewig resginiert an – ob das
Orchester nun schwelgt oder nicht. Nur am Ende, beim Liedestod, kommen
Tristan und Isolde, „mild und leise“ lächelnd, fast kitschig in filmischer
Großaufnahme zusammen.
Dafür gab's dann angemessen Buhs für das
Regieteam, während sich das Ensemble Ovationen abholte: Jonas Kaufmann hatte
davon gesprochen, dass die höllische Partie des Tristan ja nun der Mount
Everest für einen Wagner-Tenor sei. Der Superstar spaltet gerne das
Publikum, aber an diesem Abend sang er, als könnte er täglich Achttausender
besteigen, und zwar ohne Extra-Sauerstoff: Ein lyrischer wie im Schmerz
aufbrausender Tristan, in allen Gefühlsschattierungen makellos und selbst
mit Belcanto-Schluchzern in der Stimme. Anja Harteros gelang eine
fabelhafte Charakterstudie der Isolde: eine Frau in selbstbewusster
Kleiderpracht, die sich nicht einfach dem Schicksal hingibt, die es wissen
will, zornig und fordernd. Fast heroisch. Manchmal nur forcierte die
Sopranistin allzu drastisch. In aller Dramatik eine große, helle, flutende
Stimme: Okka von der Damerau als Brangäne. Wolfgang Koch sang einen wild
aufbrausenden Kurwenal, Mika Kares den absolut seriösen König Marke.
Und
Kirill Petrenko und das Staatsorchester zeigten nun mal alle
„Tristan“-Emotionen. Man hätte auch zuweilen die Augen schließen können. Ein
musikalischer Cocktail, der süchtig macht.
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