Passauer Neue Presse, 30.6.2021
Raimund Meisenberger
 
Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
Kaufmanns Debüt und Petrenkos Abschied: Kritik zu "Tristan und Isolde"
 
Mit "Tristan und Isolde" verabschiedet sich Kirill Petrenko von Bayern – Jonas Kaufmanns Debüt umjubelt

Sinn der Sache ist es nicht, aber in Notwehr muss erlaubt sein, in der Oper die Augen zu schließen. Selbst wenn es sich um ein Prestigeprojekt wie dieses handelt: Bis zum 31. Juli spielt die Bayerische Staatsoper in München bei ihren Opernfestspielen Highlights aus dem Repertoire und zwei Premieren: Mozarts "Idomeneo" am 19. Juli und diesen Dientagabend Richard Wagners knapp vierstündiges Drama um Lieben, Sehnen und Sterben, "Tristan und Isolde".

Das Ereignis ist zum Bersten aufgeladen mit Bedeutung: Der Münchner Tenor Jonas Kaufmann singt zum ersten Mal Tristan, Anja Harteros debütiert als Isolde, Staatsintendant Nikolaus Bachler übergibt nach den Festspielen an Serge Dorny (was mit der von Alexander Kluge gestalteten Ausstellung "Sphinx Opera" in den Foyers gefeiert wird), und der frühere Generalmusikdirektor Kirill Petrenko dirigiert nach dem Wechsel zu den Berliner Philharmonikern an diesem Abend seine letzte Premiere in München.

Wie sehr das bayerische Publikum ihn ins Herz geschlossen hat und schon jetzt vermisst, zeigt es vor jedem Akt mit immer noch frenetischerem Jubel. Petrenkos Sensibilität und Gestaltungswille sind dermaßen ausgeprägt, dass hier ein unerhört subjektiver, andersartiger, auch gewöhnungsbedürftiger Wagnerklang zu erleben ist. Wagners wogender Schwall tönenden Schalls interessiert den Dirigenten nicht als durchgehendes Prinzip, sondern nur in kurzen Momenten umso heftigerer symphonischer Ekstase, die sich streng am Text orientieren.

Etwas zulasten der strömenden Einheit arbeitet Petrenko mit dem Staatsorchester Phrase für Phrase, Vers für Vers musikdramaturgisch aus, lässt mit feinsten freien Variationen in Dynamik und Tempo, in Phrasierung und Zäsuren die Musik sprechen und atmen, Luft holen und erneut voranstürmen. Erregung, Furcht, Lieben, Spott – was immer Wagners Libretto erzählt, das Orchester macht es hörbar. Wie unter dem Mikroskop scheint die Partitur sichtbar, was hochgradig faszinierend und über die Stunden auch kleinteilig ist.

Opernsänger verehren Petrenko dafür, dass er jeder Stimme den individuellen orchestralen Maßanzug fertigt. Darum wäre es nicht verwunderlich, wenn Jonas Kaufmann nach seinem Tristan-Debüt künftig häufiger mit dem Dirigenten bei Wagneropern zusammenarbeitet. Beide Künstler teilen offenkundig dieselbe Idee einer fast Lied-artig aufgefassten Klangkultur dieser Musikdramen. So monumental Jonas Kaufmanns mühelos geschmeidigen Spitzentöne auch den Saal erschüttern, Zauber bekommt sein Tristan durch die Feinheit des oft demonstrativ leise zurückgenommenen und mustergültig artikulierten Gesangs. Mit natürlicher Sonorität in allen Lagen und mit diversen Farben bis hin zur schon volksliedhaft-vibratolosen Naturstimme verleiht er Tristans innerer und äußerer Verwüstung durch die Unmöglichkeit der Liebe eine Ruhe und Tiefe, die sonst im Heldengetümmel gern hinfortgebrüllt wird. Ein sehr individuell gestaltetes und überragendes Rollendebüt.

Das zweite Debüt des Abends kann damit nicht Schritt halten. Anja Harteros, Wagner-erprobt unter anderem als Elsa im "Tannhäuser" in Bayreuth wie an der Münchner Staatsoper, setzt in der Partie der Isolde zwar dramatische Höhepunkte und einen fulminanten finalen Liebestod, allzu viele Schlüsselsätze und Wegmarken innerhalb der unendlichen Melodie verstreichen trotz ihres großen Soprans aber zu lapidar. Im Gesamtklang dringen vor allem exponierte Höhen durch, die tragende Durchsetzungskraft in der Breite des Stücks fehlt. Das wird umso deutlicher in den Szenen mit Isoldes schwesterlicher Freundin Brangäne, die Okka von der Damerau mit einem sagenhaft unangestrengten Volumen und exquisit warmem Mezzo-Wagnerklang singt. Mit Abstand die größte Stimme des Abends, auch trotz starker Leistungen von Mika Kares als König Marke und Wolfgang Koch als Kurwenal.

Die Regie bedarf nicht vieler Worte. Von allen Deutungen des Tristanstoffes, der den Ursprung bei keltischen Barden ums Jahr 500 haben soll, hat Krzysztof Warlikowski treffsicher die küchenpsychologischste gefunden: Tristan ist Waisenkind und allein daher hoffnungslos sehnend nach Liebe. Holzgetäfelte Einheitsbühne und Kostüme von Małgorzata Szczesniak verorten die Handlung verblüffend konsequenzlos zu Kriegszeiten im 20. Jahrhundert, Kamil Polaks Videos doppeln die Handlung, ohne irgendetwas hinzuzfügen. Corona hat viele Regisseure kreativ beflügelt, Warlikowski scheint gelähmt wie die Figuren: Das Beste, was ihm einfällt, um das mythische Begehren von Tristan und Isolde ins Bild zu setzen, sind die ausgestreckten Hände, die sich doch nicht berühren. Das Publikum buht ihn erbarmungslos nieder. Manchmal ist es besser, man schließt rechtzeitig seine Augen und genießt die Musik ohne das Theater.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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