Der Standard, 30.6.2021
Jörn Florian Fuchs
 
Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
Unlust am Stoff: Neuinszenierung von "Tristan und Isolde"
 
Wahren Glanz verliehen der Neuinszenierung Krzysztof Warlikowskis an der Bayerischen Staatsoper Jonas Kaufmann und Anja Harteros

Bevor Erl, Bregenz, Salzburg, Bad Ischl und Mörbisch starten, gab es in München bereits den sommerlichen Saisonanpfiff. Ganz so locker wie hierzulande sehen es die Bayern allerdings nicht. Mit eigens vor dem Nationaltheater aufgestelltem Testzelt, eifrigsten Kontrollen (auch im Haus) und sehr kurzfristig freigegebenen Kartenkontingenten muss man ebenso geduldig wie spontan sein. Was einem freilich bei der wohl begehrtesten Premiere der Spielzeit, Wagners Tristan und Isolde, wenig hilft.

Da braucht es schon gute Kontakte oder ein langjähriges Abo, um in den Genuss dieser wirklich herausragenden Aufführung zu kommen. Herausragend meint allerdings die Musik, Regisseur Krzysztof Warlikowski scheint mit Unlust am Stoff zu inszenieren. Wir sind in einem Salon (Ausstattung: Małgorzata Szczęśniak), irgendwo ist Krieg, und wir erleben eine Art Familienaufstellung. Die zwei, Tristan und Isolde, laben sich nicht nur an einem Trank mit unklarer Wirkung, sie setzen sich auch Spritzen.

Vor allem jedoch sitzen sie oft nebeneinander im großen Abstand. Bewegung? Diese bescheren ein paar riesenhafte Videos, welche das Paar in einem Bett zeigen, das plötzlich von Wasser überflutet wird. Glatzköpfige Puppen, mal lebendig, mal nur tote Staffage, gibt es auch noch. Anfang des zweiten Aufzugs wird es Isolde zu bunt oder zu langweilig, worauf sie mit dem Lichtschalter spielt. Immerhin ein kleiner, feiner Moment à la Christoph Marthaler.

Glanzvoll und tröstlich jedoch die Besetzung: Anja Harteros singt erstmals die weibliche Titelpartie und zeigt eine aufbrausend intensive, aber nuancierte Isolde von immensem Ausdrucksreichtum. Auch Jonas Kaufmann wagt sich erstmals an den Tristan. Technisch gelingt ihm alles makellos, der dritte Aufzug mit seinen nicht enden wollenden vokalen Leidensvariationen gelingt Kaufmann glänzend. In den ersten beiden Aufzügen schleicht sich bisweilen sein einschlägiges gaumiges Timbre ein.

Seit Jahren verlässlich
Profunde Rollenporträts liefern auch Mika Kares als Marke sowie Wolfgang Koch als Kurwenal, dann aber gibt es zwei Sensationen. Eine heißt Okka von der Damerau und singt in München seit Jahren verlässlich meist eher mittlere Partien. Ihre Brangäne wird jedoch zum Triumph. Die Vokalartistin ist szenisch eine Art Spielführerin, die sich um Liebes- oder Todestränke kümmert. Sie verarztet im Krankenschwesterdress Versehrte, um an anderer Stelle divenhaft im Abendkleid "bella figura" zu machen.

Den größten Gegenpol zur eher uninspirierten szenischen Seite der Produktion bietet Kirill Petrenko, der ja schon nicht mehr Musikchef in München ist und für diese Aufführungsserie einmalig an seine frühere Wirkstätte zurückkehrt.

Nicht ganz zu Unrecht unterstellte man dem jetzigen Chef der Berliner Philharmoniker ja einen Hang zum Strukturierten und Kontrollierten, was vor allem beim italienischen Fach spürbar wurde. Petrenkos Tristan hingegen tönt oft schroff und wild, wirkt extrem impulsiv und zeitweise sogar, man höre und staune, nicht gerade sängerfreundlich. Tatsächlich muss man hier als Sängerin, als Sänger wirklich arbeiten und kämpfen, um mit den fulminanten Tempo- und Dezibelideen, welche das Bayerische Staatsorchester umsetzt, mitzuhalten!

Auch Kluge dabei
Abkühlung und neue Inspiration fürs Publikum gibt es hingegen in den Pausen etwa in der neu gestalteten Souterrain-Bar, die mit ihrem roten Plüsch ein bisserl Freudenhausatmosphäre verströmt, sowie bei den im ganzen Nationaltheater verteilten Videoscreens und Kunstwerken. Selbige hat der Autor, Filmemacher und Opern-Aficionado Alexander Kluge eigens für die bis Ende Juli laufenden Festspiele kreiert.

Eine Installation von Exzentriker Jonathan Meese oder einige Videoschnipsel zum Rheingold wirken dabei deutlich sinnlicher als diese doch enttäuschende Regie. (Jörn Florian Fuchs aus München, 30.6.2021)







 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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