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Welt, 30.6.2021 |
Manuel Brug |
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Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
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Möge diese Musik niemals enden |
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Eigentlich ist alles wie immer in Krzysztof Warlikowskis
Inszenierung von Wagners „Tristan und Isolde“ zur Eröffnung der Münchner
Opernfestspiele. Zwei Menschen kommen nicht zueinander und sterben. Jonas
Kaufmann und Anja Harteros glänzen. Verrückt wird man wegen etwas ganz
anderem.
Die Geschichte einer ganz großen Liebe, die so
überwältigend ungewöhnlich ist, dass sie nicht sein kann, weil Tristan schon
längst auf der dunklen Seite steht, wohin Isolde ihm folgt. So lautet längst
das Regietheaterklischee von Richard Wagners actionloser, aber gefühlssatter
„Handlung in drei Akten“, uraufgeführt 1865 am Münchner Hof- und
Nationaltheater. Dort erfuhr das immer noch unerhörte Werk 156 Jahre
später seine neunte Neuinszenierung durch den Polen Krzysztof Warlikowski,
der genau diesem ausgetretenen Deutungspfad folgt. Lustverweigerung,
Berührungsverbot auf der Bühne – bis auf eine momentkurze beiderseitige
Annäherung a tergo im ersten und einen keuschen Kuss von Tristan auf die
Stirn Isoldes im zweiten Akt.
Christoph Marthaler und Katharina
Wagner haben das zuletzt selbst in Bayreuth exerziert, viele andere davor
und danach auch. Man würde diese grandios nach innen gestülpte Lovestory
also gern einmal wieder etwas leidenschaftlicher und dann umso schrecklicher
umschlagen sehen, wenn der tagesgrausame König Marke in diese amouröse
Nachtverstricktheit einbricht, um seinen besten Freund mit seiner Gattin zu
erwischen.
Zum Glück aber gibt es ja noch Richard Wagners
chromatikverschlungene Wunderpartitur, die schwelgt und lüstern ausschlägt,
in Wallung gerät und doch auch in transzendente Welten jenseits jeder
irdischen Emotion zu entführen weiß. Die anheizt und anmacht, sich aber
dauernd stöhnend in Harmonie auflösen möchte. Und die es doch erst
schafft, wenn nach dem längst schon nicht mehr nach dieser Welt klingenden
Liebestod der Isolde alles ertrinkt und versinkt „in dem wogenden Schwall, /
in dem tönenden Schall, / in des Welt-Atems / wehendem All“, wenn –
„unbewusst / höchste Lust!“– sich diese Klangwelt endlich nach Dur wendet,
zärtlich geformt, lang anhaltend nachklingend.
In seiner letzten
Münchner Premiere als Längst-nicht-mehr-Generalmusikdirektor der Bayerischen
Staatsoper, sondern Corona-gestählter Chefdirigent der Berliner
Philharmoniker aber lassen Kirill Petrenko und das nach seinem Willen
perfekt geformte Staatsorchester dieser Musik Gerechtigkeit widerfahren.
Sie schmiegt sich eng an das Bühnengeschehen, atmet intuitiv richtig mit
den Sängern, bewahrt aber doch in jeder Note ihre Eigenständigkeit,
kommentiert, tröstet, wühlt auf, wo Warlikowski sediert, verärgert, Nähe
nicht zulassen will als kaum selig machendes, ewiges Herauszögern. Bei ihm
ist alles bewusst, ohne Lust.
Petrenko ergibt sich in diese Deutung
samt strenger Optik, aber er unterwirft sich ihr nicht. Das macht dann doch
den Reiz dieses über weite Strecken intellektuell drögen Opernabends aus. Er
arbeitet mit dem allerfeinsten Chirurgenbesteck, dringt fast invasiv in
Wagners feinst verzweigt zuckende Klangnervenenden vor.
Man möchte es
nie enden lassen
Und so erfährt wenigstens der Hörer einen intensiv
orgasmischen Taumel in einer Art Fruchtblase aus Klang, in der sich
wunderbar wohlig schwimmen und dämmern lässt. Petrenkos Dirigat ist elegant,
erlesen und lyrisch, kann auch stürmisch werden, brodeln und tosen. Doch
immer wieder treibt es fein dahin, man möchte es nie enden lassen,
ertrinken, versinken. So schließt sich in München – wieder mal – ein
Kreis. Der scheidende Staatsintendant Nikolaus Bachler startete seine ersten
Festspiele 2009 mit Wagners „Lohengrin“, das – damals noch unter dem
indifferenten Dirigat von Kent Nagano und mit einer ebenfalls schwachen
Inszenierung von Richard Jones – erstmals das spätere Münchner
Operntraumpaar Anja Harteros und Jonas Kaufmann gemeinsam präsentierte.
Zwölf Festspiel-Ausgaben später singen diese beiden Ausnahmeinterpreten, die
sich auch bei Verdi und Giordano vereint haben, nun als Rollendebüts Tristan
und Isolde.
Beider Stimmen sind dafür nicht geboren, aber sie sind
gewachsen und wurden intelligent auf die ganz große Wagnerspur gesetzt. Sie
hat die vergangenen 15 Monate geschwiegen, er hat ebenfalls viel weniger
gearbeitet, klingt ausgeruht.
Die Harteros, von der
Warlikowski-Dauerausstatterin und Gattin Małgorzata Szczęśniak zunächst in
eine knallgelbe Seidenschluppenbluse und schwarze Hosen mit weitem Schlag zu
etwas tantiger Hochtoupier-Frisur, dann in ein langes rotes Kleid gesteckt,
ist erst die Schnippisch-Wütende, die mit ihrem Schicksal hadert.
Ihrer noch tantiger mit einem blauen, später grünen Kleid ausstaffierten
Freundin Brangäne (großartig orgelnd: Okka von der Damerau) geht sie damit
gewaltig auf die Nerven; deshalb serviert die dann auch in Kelchgläsern
Liebes- statt Todestrank. Die Harteros klingt ideal weiblich und weich im
Parlando, wenn Petrenko auf Piano schaltet. Fährt Petrenko hoch und
peitscht, verliert ihre Stimme die Farben, kommt durch, wird aber schrill.
So ist sie Isolde, die schlecht gezähmte Widerspenstige.
Jonas
Kaufmann schlurft mit seinem lottrigen Pastorenkumpel Kurwenal (muss man in
München aushalten: Wolfgang Koch) erst als Schluffi durch den halbhohen,
getäfelten Einheitsraum mit seinen sechs Durchgängen und zwei als
Kinoleinwand sich senkenden Raumteilern. Der Saal bleibt vage im
Forties-Ambiente zwischen Schiffskabine, Reichskanzlei und Psychiaterzimmer,
wo rechts Freuds Couch mit der Orientläuferbedeckung wartet.
Kaufmann
kann die hohen Töne, lässt sich Zeit, spart im Mittelakt, wo es nur
kontaktlose Liebe zwischen zwei Ledersesseln gibt, während beide
Protagonisten sich hinten per Video in einem Hotelzimmer auf dem Bett
liegend verdoppeln. Der dritte Akt ist dann seiner, den gestaltet er
souverän an seine Grenzen kommend, aber endlich wieder hell singend, nicht
bellend. Ein anrührender Held, nicht schwer, sondern nachhaltig
traumatisiert.
Er liegt mal auf der Freudcouch, mal sitzt er zwischen
kahlköpfigen Dummies bei einer Tea Party. Ein weiteres irgendwie
chemotherapiegezeichnetes Avatar-Pärchen in blauen und rosa Baseballblousons
hat schon das Vorspiel bebildert, sie starb in seinen Armen, und taucht auch
jetzt wieder auf.
Krzysztof Warlikowski spielt das ruhig und genau
ausgemessen mal surreal, mal trivial durch, selten erhellend, meist
enervierend. Da scheint es in Etappen zum Selbstmord zu gehen, auf den
vermeintlichen Todestrank wird mit dem auch stimmlich bieder-braven König
Marke (Mika Kares) mit Champagnerkelchen angestoßen, im zweiten Akt wird das
Heroinbesteck ausgepackt. Tristan stürzt sich ganz klar in das Schwert von
Merlot (Sean Michael Plumb).
Am Ende liegen beide da, sie steht wie
die Primadonna zur Finalarie auf und singt ernüchternd den Liebestod, wofür
der viel zu schade ist. Und wieder kommt das Hotelvideo: Jetzt liegen beide
zwischen Tablettenröhrchen auf dem spießigen Doppelbett, schlagen die Augen
auf und blicken sich verliebt an. „Tristan und Isolde“, alles nur gelogen?
Eine schwache Warlikowski-Finte.
Aber wie wusste es schon der
theaterpraktische Richard Wagner? „Dieser Tristan wird was Furchtbares!
Vollständig gute Aufführungen müssen die Leute verrückt machen“, orakelte er
noch vor der Uraufführung. Mit Kirill Petrenko und diesen Sängern hätte
solches passieren können. Die Regie hat es verhindert. Vielleicht besser so.
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