Abendzeitung, 02. August 2021
Robert Braunmüller
 
Konzert "Der wendende Punkt", Bayerische Staatsoper 30.7.2021
Saisonfinale in der Staatsoper: da geh'n sie hin - die tollen Kerle
 
Nikolaus Bachler und Kirill Petrenko verabschieden sich mit "Der wendende Punkt" von der Bayerischen Staatsoper.
 
Ach ja, die Netrebko ist doch nicht gekommen. Sie blieb "wegen der erschwerten Reisebedingungen" lieber jenseits der Alpen in Verona, wo sie die Turandot singt. Auch Anja Harteros ließ sich im Hinblick auf ihre Isolde am nächsten Tag kurzfristig entschuldigen.

Anna Netrebkos Abwesenheit fiel nicht weiter auf

Sicher schade um die beiden Damen. Aber, offen gestanden, bei aller Wertschätzung für beide Künstlerinnen: Ihre Abwesenheit beim Festspielkonzert "Der wendende Punkt" fiel angesichts der aufgebotenen Sängerinnen und Sänger nicht weiter auf.

Immerhin waren beim großen Abschied von Nikolaus Bachler und Kirill Petrenko ja noch Elina Garanca, Diana Damrau, Marlis Petersen, Nina Stemme und Adrianne Pieczonka zugegen. Und zwei ehemalige Generalmusikdirektoren. Und, und, und.

Den ganz normalen, konventionellen Arienabend wird man nach diesem einmaligen halbszenischen Konzert nur noch schwer goutieren können. Kent Nagano und das Bayerische Staatsorchester begannen mit dem "Rheingold"-Vorspiel. Dazu entführte ein Video von Christoph Brech hinter die Kulissen des Nationaltheaters.

Dann folgten Ausschnitte aus einigen der Opern, die während der 13-jährigen Intendanz neu inszeniert wurden - immer mit einem charakteristischen Requisit oder Inszenierungselement.

Anne Schwanewilms sang eine Szene aus Francis Poulencs "Dialogues des Carmélites", Georg Zeppenfeld den Schlussmonolog des Morosus aus der "Schweigsamen Frau". Das Monteverdi-Ensemble wurde samt Ivor Bolton und Christian Gerhaher für einen Ausschnitt aus "L'Orfeo" hereingeschoben, Diana Damrau interpretierte die Arie der Gräfin aus "Le nozze di Figaro", Constantinos Carydis begleitete Anne-Sofie von Otter in Mozarts "Abendempfindung" am Klavier.

Günter Groissbock und Pavol Breslik interpretierten Ausschnitte aus Dvoøáks "Rusalka" in Anwesenheit des Aquariums aus Martin Kušejs Inszenierung. Ermonela Jaho deutete am Ende der Szene aus "Suor Angelica" gen Himmel, aus dem das Streichquartett aus Calixto Bieitos "Fidelio" herabschwebte, ehe Jonas Kaufmann als Andrea Chénier in die Pause entließ.
Ja zum Kitsch

Kitsch? Ja. Aber wieso nicht? Zwischen den Arien las Bachler Gedichte von Rainer Maria Rilke, die den "wendenden Punkt" umkreisten, mit nur ein wenig Melancholie, aber viel Zuversicht und einem stolzen Blick auf die Verwandlung der Welt. Nach der Pause folgten Leporellos Registerarie, ein Ausschnitt aus Donizettis "La favorite" und Wagner mit Anja Kampe, Simon Keenlyside und Nina Stemme.

Wolfgang Koch sang den Wahnmonolog in seinem Schustermobil. Dem Berichterstatter fiel erst bei dieser Gelegenheit auf, dass ein nahezu identisches Gefährt im Bayreuther "Tannhäuser" als Fluchtfahrzeug dient.

Ein melancholischer Abschied

Es gab auch ein (würdevolle) Gags. Koch, der auch den Jochanaan gesungen hat, holte seinen Kopf aus dem Fahrzeug und übergab ihn an Marlis Petersen für das Finale der "Salome". Dann hörte sich Bachler den mit den Worten "Da geht er hin, der aufgeblasene, schlechte Kerl" beginnenden Zeit-Monolog aus dem "Rosenkavalier" (Adrianne Pieczonca).

Die Kombination mit dem Schluss der "Toten Stadt" (Jonas Kaufmann) wiederholte noch die Spielplan-Konstellation der Zeitgenossen Richard Strauss und Erich Wolfgang Korngold, ehe Franz Schuberts melancholischer Abschied (Gerold Huber und Gerhaher) den Schlusspunkt setzte.

Über 114.000 Online-Zuschauer

Dann: endloser Jubel und nach dem "Tristan" am Samstag noch "Muss i denn zum Städtele hinaus" samt Walzer und Winken mit bereitgestellten Papiertaschentüchern. Nur jeweils 1500 Münchner durften pandemiebedingt zu "Oper für alle" auf den Marstallplatz, weltweit waren bei den beiden Abenden online 114.000 Zuschauer dabei.

Gab es jemals einen Intendantenwechsel, der weniger Sentimentalität ausstrahlte und stärker der Wandlungsfähigkeit des Theaters vertraute? Ich fürchte: nein. Und das kann man nicht genügend loben.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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