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Online Merker, 22.04.2021 |
Klaus Billand |
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Wagner: Parsifal, Wiener Staatsoper, 18. April 2021
(Stream, Aufzeichnung vom 11. April 2021)
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WIEN/ Staatsoper: PARSIFAL – Stream (Premiere). Theatermusik statt Musiktheater! |
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Bei meiner letzten Rezension eines neuen Wiener „Parsifal“, der weitgehend
misslungenen Inszenierung von Alvis Hermanis, schrieb ich, dass man
allgemeinhin sagt, „es kommt nichts Besseres nach“. Ich bezog mich damals
auf die Mielitz-Produktion, die sich im Wesentlichen mit der 2004 eigentlich
schon überholten DDR-Aufarbeitung befasste, aber wenigstens einen spannenden
und gelungenen 1. und in Teilen auch 2. Aufzug bot. Ich hatte allerdings
nicht erwartet, dass ich nun in Bezug auf die Neuinszenierung von Richard
Wagners Abschiedswerk an der Wiener Staatsoper in der Inszenierung des
russischen Theater-, Opern- und Filmregisseurs Kirill Semjonowitsch
Serebrennikow wieder an diesen Spruch denken muss. In seiner Produktion wird
in erster Linie klar, dass Serebrennikow sicher ein guter Theaterregisseur
und wohl auch einen guter Filmregisseur mit viel Fantasie ist. Bei der
Opernregie scheint es jedoch zu hapern, zumindest bei Wagner (immerhin sein
erster und dabei gleich einer der schwersten!), ganz sicher aber bei dessen
Bühnenweihfestspiel „Parsifal“. In dessen Musik und Handlung hat der
Bayreuther Meister alles hineininterpretiert und -komponiert, was ihm zu
seinem Leben als revolutionärem Opernkomponisten am Herzen lag, unter
besonderer Betonung des von ihm in besonderer Form konzipierten
musiktheatralischen Gesamtkunstwerks. Der Regisseur stellt selbst in einem
Interview fest: „Ein Theaterstück ist nichts anderes als schwarze Buchstaben
auf weißem Papier. Du betrittst die Probebühne, du führst nichts mit dir und
musst ein Theaterstück aus der Luft gebären. Aber bei einer
Operninszenierung beginnst du immer mit einem großen Brocken, der Musik
heißt.“
Das wird in seiner Deutung des „Parsifal“ meines Erachtens
gut sichtbar, für den Serebrennikow mit dem Dramaturgen Sergio Morabito auch
das Bühnenbild und die Kostüme schuf. Denn, obwohl ich nun doch schon recht
viele sog. Regietheater-Produktionen – gerade bei Wagner – erlebt habe, habe
ich noch nie einen solchen Dissens zwischen Musik und dem mit ihr implizit
verbundenen Text einerseits, sowie der Handlung andererseits gesehen und
gehört. Und dazu kommt die eigenwillige und die ganze Breite der
„Parsifal“-Thematik ungeheuerlich einengende Sichtweise auf den Gral als
einem Gefängnis unserer Tage mit Wachposten mit Batches und Gummiknüppeln,
mit denen auch immer wieder gedroht wird. Darüber ließe sich lange
diskutieren. Keinesfalls sind die Gralsritter Gefangene, wenn man den
Glauben an etwas – hier die Wirkungen des Grals, wie immer man dazu stehen
mag – nicht sofort mit Gefangenschaft gleichsetzen will. Immerhin reiten
sie, wie bekanntlich Lohengrin nach Brabant, immer wieder aus, um der aus
dem Ruder geratenen Welt Gutes zu tun, zum Recht zu verhelfen und
Konfliktlösungen anzubieten.
Bei Serebrennikow schaffen es die
leichteren Gefangenen gerade mal auf den Gefängnishof zum morgendlichen
Fitness-Training – natürlich während des Vorspiels, das ja wohl allein kaum
auszuhalten wäre. Die schweren Gefangenen im oberen Stock kommen erst frei,
wenn Parsifal das ganze Gefängnis befreit hat, aber immerhin gibt es jetzt
schon Zigaretten, die mit den Wachposten geschmuggelt werden oder die die
Journalistin Kundry vom Klingsor-Magazin „Das Schloss“, fesch im kurzen
Trenchcoat, vorbeibringt. Dafür darf sie auch ein paar Action-Fotos, auch
unappetitliche, machen, die dann sicher in die nächste Nummer kommen werden.
Fast noch grotesker wird die Entfremdung von Text und Handlung, wenn
Gurnemanz erscheint und singt „He! Ho! Waldhüter ihr, Schlafhüter mitsammen,
so wacht doch mindest am Morgen!“ Noch nie hat man wachere „Knappen“ auf der
Wagner-Bühne erlebt! Parsifal ist natürlich schon die ganze Zeit da, recht
depressiv wirkend. Er bekommt aber in dem Moment, als der „Schwan“ erlegt
wird – von ihm jedenfalls nicht – ein double, den „damaligen“ Parsifal, den
beherzt agierenden Schauspieler Nikolay Sidorenko, der alle etwas mehr
Körpereinsatz erfordernden Aktionen und Ähnliches vollzieht, insbesondere
den mehr als heftigen Kuss mit Kundry.
Die Auslagerung von Handlung,
Emotionen aller Art, bis hin zu Schmerz, auf zweite Figuren, die vom
Komponisten nicht vorgesehen sind, da sie alles in der jeweiligen Hauptfigur
theatralisch und musikalisch konzipiert haben, macht nun immer mehr Schule.
Zuletzt sah ich es ebenso wenig überzeugend, wie nun in Wien, bei „Tristan
und Isolde“ in Hannover 2020, wo die Emotionen und das Leiden beider Figuren
auf ein japanisches Butoh-Tanz-Paar ausgelagert wurden, während Tristan vor
allem im 3. Aufzug munter von einer Sitzgelegenheit zur anderen wechselte.
Wie grenzwertig das nun auch bei Serebrennikow war, kam insbesondere in dem
Moment zum Ausdruck, als Jonas Kaufmann, kaum den Kuss Kundrys mit dem
„damaligen“ Parsifal gewahrend, wie auf Knopfdruck sein berühmtes „Amfortas!
Die Wunde! Die Wunde! Sie brennt in meinem Herzen“ ausruft. Was für ein
Verlust, diesen Moment höchster Emotion nicht von dem begnadeten
Sängerdarsteller Kaufmann selbst erleben zu dürfen! Eigentlich wird einem
mit diesem völlig überflüssigen Manierismus ein wesentlicher Teil des
Opernlebnisses vorenthalten, ja man könnte sogar sagen, weggenommen!
Es gäbe etliche weitere Beispiele für den Dissens zwischen Wagners Text und
Musik und der Handlung bei Serebrennikow: das Tätowieren der Gefangenen
durch Gurnemanz, statt Aufmerksamkeit für die Gralsgeschichte zu gewinnen;
das Auspacken des Gralskelchs (man staune!) aus einem Pappkarton (DHL oder
UPS?) und seine Erhebung – immerhin einmal zur entsprechenden Musik – durch
einen bewaffneten Wachbeamten; Klingsor und Kundry im 2. Aufzug an PCs mit
Kaffee aus dem Pappbecher; leider auch wieder die mittlerweile postmoderne
stereotype Putzkolonne in Klingsors Redaktion; wozu auch die mittlerweile
schon unglaublich langweilig wirkenden Bürostühle in großer Menge zählen;
das Verkommen des Speers – OK, er passt hier nicht – zu einem schwarzen
Eisenrohr; und die Prügeleien unter den Gefangenen alias Gralsrittern vor
dem finalen Monolog des Amfortas!
Lassen wir es dabei, es gäbe noch
viel mehr. Serebrennikow sagt im selben Interview weiter: „Und du arbeitest
mit dieser Musik, die alles Mögliche, jede beliebige Leerstelle ausfüllen
kann.“ Ich glaube, er hat mit dieser Musik recht wenig gearbeitet und sie
allenfalls dazu benutzt, wozu er sie hilfreich sieht, nämlich um
„Leerstellen auszufüllen“. Das wird aber Wagners Abschiedswerk bei weitem
nicht gerecht, auch wenn man wohlwollend in Rechnung stellen mag, das
Serebrennikow derzeit unter fragwürdigen Begründungen im Gefängnis sitzt.
Dies reicht aber meines Erachtens nicht aus, eine ganz persönliche
Situation, so unglücklich sie auch sein und empfunden werden mag, nun über
ein solch großes und um etliche Dimensionen reicheres und vielfältigeres
Werk zu stülpen, Wagners „Parsifal“.
Im 2. Aufzug sind Serebrennikow
dazu durchaus einige gute Ideen und Momente gelungen. Wenn einmal alle
Bürodamen alias Zaubermädchen und Putzfrauen weg sind, kommt es zu
intensiven Szenen zwischen dem „damaligen“ Parsifal und Kundry mit äußerst
beeindruckender Mimik bei Elina Garanča, zumal nach ihrem „Und lachte!“,
sowie dem begleitenden Jonas Kaufmann. Hier kommt es einmal nachdrücklich zu
Verbindung von Musik und Handlung, was aber auch dem Schauspieltalent einer
Elina Garanca geschuldet ist. Dass sich am Ende die alte Liebe zwischen
Amfortas und Kundry wieder einstellt, ist menschlich ebenfalls
nachvollziehbar und berührend. Auch die Idee mit dem Auftritt von Herzeleide
in Kundrys Herzeleide-Erzählung ist interessant, auch wenn sie dem Jungen
allzu profan, aber zum Ganzen passend, ein Paar Markenturnschuhe bringt. So
macht die Einführung nicht vorgesehener stummer Rollen Sinn. Warum es aber
gleich drei Herzeleides sein müssen, erschloss sich mir nicht. Man dachte an
die Nornen…
Nun ist Serebrennikow auch noch Filmregisseur und bewies
dies nachhaltend mit seinem „Parsifal“. Am oberen Bühnenrand hängen drei
große Leinwände, auf die – und nun kommt’s – von Aleksei Fokin und Yurii
Karih fast ständig Szenen aus dem trostlosen Leben anderer Gefängnisinsassen
gezeigt werden, meist in ihren Schlafkojen. Immer wieder werden ihre Tattoos
betont, die Gefangenschaft durch Stacheldraht, aber auch Zeichen aus der
Grals-Mythologie wiedergeben. Meist haben diese Szenen wenig mit dem
Bühnengeschehen zu tun. Interessant und eindrucksvoll ist jedoch die
filmische Begleitung der Irrfahrt des „damaligen“ Parsifal durch verkommene
winterliche Landschaften nach Montsalvat. Die immer wiederkehrenden
Sequenzen einer völlig verfallenen griechisch-orthodoxen Kirche insinuieren
Assoziationen zum Zustand einer „normalen“ Gralsgesellschaft. Diese Bilder
haben Fallhöhe. Dennoch stellt sich mir einmal mehr die Frage, ob die Oper
immer mehr zum Film werden sollte oder nicht. Meines Erachtens nimmt die
Mischung beider Kunstformen langsam überhand. Eine gezielte und zum Stück
passende Personenregie, die natürlich eine große Kenntnis des Stücks und
viel Arbeit bedingt, wäre besser.
Es hat sich bei dieser Produktion
einmal mehr gezeigt, dass man Wagners „Parsifal“ nicht um jeden Preis in das
Heute ziehen hann, so löblich die Motivation für solche Experimente auch
sein mag. Das Stück hat nun mal einen sehr tiefgründigen und mit Fragen der
Religionen verbundenen philosophischen Gehalt. Harry Kupfer hat in seiner
bestechenden Inszenierung von Helsinki gezeigt, wie man beides bis zu einem
gewissen Grade stilistisch vereinigen kann. Und Roland Aeschlimann zeigte
mit seinem großartigen Genfer „Parsifal“ von 2004, wie man den Mythos in
diesem Werk mit beeindruckenden technischen Mitteln spannend, farbig und
auch heute noch nachvollziehbar zeigen kann. Dessen sollte sich kein
Regisseur schämen, es steckt nun mal in diesem Werk. Das große Kreuz, das
Amfortas im 2. Aufzug (!) in Klingsors Redaktion von der Wand nimmt und
zwischen die Bürotische positioniert, sowie die kleinen Kreuze mit
Darstellungen des Gekreuzigten in den Händen der alten Frauen und Kundry im
3. Aufzug wirken eher wie Feigenblätter für einen unterdrückten
Interpretationsaspekt als für echte Insignien eines Um- oder Andersdenkens.
Für die Gefängnis-Problematik hätte sich Verdis „Nabucco“ sicher besser
geeignet, vielleicht auch Beethovens „Fidelio“. Wir Wiener Opern- und
Wagnerfreunde müssen nun wohl mindestens zehn Jahre mit diesem
„Gefängnis-„Parsifal“ leben. Vielleicht regt er das Geschäft der
Fitness-Studios an, in denen die Opernbesucher ja nicht zur wichtigsten
Klientel gehören…
Musikalisch befanden wir uns mit der Stabführung
von Philippe Jordan auf einem ganz anderen Dampfer, auch wenn der Stream
hier nur ein begrenztes Urteil zulässt. Er entwickelte mit der ganzen
Erfahrung seiner „Parsifal“-Dirigate in Bayreuth das Stück mit viel
Feinfühligkeit und Gespür für die Finessen der Partitur, die großen Themen,
die Zwischentöne und die Einbindung der Sänger in das musikalische Gewebe.
Natürlich kennt das Orchester der Wiener Staatsoper den „Parsifal“ aus dem
ff, aber es ist Jordan zu bescheinigen, hier viel intensiver und
facettenreicher am Werk zu sein als beispielsweise bei der „Madama
Butterfly“ zu Beginn der Saison. Dass die aus dem Graben wunderbar
erklingende Musik, und ich denke, das kann man trotz des Streams bedenkenlos
sagen, meist nichts mit dem Geschehen auf der Bühne zu tun hatte, war nicht
Jordans und des Orchesters schuld. Der Chor der Wiener Staatsoper,
einstudiert von Thomas Lang, war wie immer ein asset. So wurde es eher ein
Theaterstück mit sehr guter Musikbegleitung, also Theatermusik statt
Musiktheater!
Jonas Kaufmann ist natürlich ein guter Parsifal. Kaum
einer wird diese Rolle heute mit mehr Intensität und auch mimisch
verkörperter Inbrunst darstellen als er. Stimmlich kann er mit seiner großen
Musikalität ebenfalls viele Facetten der Partie ausloten. Jedoch ist
unverkennbar, dass die Stimme immer baritonaler wird und bei den großen
emotionalen Ausbrüchen im 2. und 3. Aufzug auch an ihre Grenzen stößt. Es
fehlt an tenoralem Schmelz. Einen Tristan konnte ich jedenfalls nicht hören.
Elina Garanča gibt ein glänzendes Rollendebut als Kundry mit ihrem eher
hellen Mezzo, der ideal für die Rolle ist. Zudem ist sie, wie schon gesagt,
darstellerisch sensationell. Georg Zeppenfeld ist ein exzellenter Gurnemanz,
mit prägnantem und ausdrucksstarkem Bass sowie in jeder Situation perfekter
Diktion. Zweifellos einer der besten seines Fachs! Ludovic Tézier debutiert
als Amfortas und bringt in diese Partie seine baritonalen Klangfarben aus
dem italienischen und französischen Fach ein. Das ermöglicht ihm eine sehr
klangvolle Interpretation der Rolle, zu der auch darstellerische Kompetenz
hinzukommt.
Wolfgang Koch ist ebenso beeindruckend als Klingsor, zu
bedauern aber für sein Spießer-Outfit und seine in die totale Banalität
verfrachtete Rolleninterpretation. Er trägt vokal alle Facetten des Klingsor
vor. Dass er am Ende von Kundry erschossen wird, ist ungewöhnlich, aber aus
dem Geschehen heraus nachvollziehbar. Stefan Cerny ist ein klangvoller
Titurel aus dem Off. Im Finale kommt er nur noch als Urne vor, mit deren
Asche Amfortas in seinem finalen Monolog die Gefangenen abschreckt. Der 1.
Gralsritter Carlos Osuna, 2. Gralsritter Erik Van Heyningen, 1. Knappe
Patricia Nolz, 2. Knappe Stephanie Maitland, 3. Knappe Daniel Jenz, 4.
Knappe Angelo Pollak und die Blumenmädchen Ileana Tonca, Anna Nekhames,
Aurora Marthens, Slávka Zámečníková, Joanna Kędzior und Isabel Signoret
singen alle einwandfrei in ungewöhnlich profaner Aufmachung.
Nach
recht kurzer Zeit in Wien wieder ein neuer „Parsifal“, der für mich weit
hinter den Erwartungen zurückbleibt. |
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