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Deutschlandfunk, 22.02.2021 |
Von Elisabeth Richter |
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Verdi: Aida, Paris, Opera Bastille, 18. Februar 2021
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Pomp und Kammerspiel |
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Die Regisseurin Lotte de Beer musste die Inszenierung von Verdis „Aida“ an
die Corona-Situation anpassen – und trotzdem sind ihr eindrucksvolle Bilder
gelungen. Besonders präsent ist aber auch die Kolonialismuskritik: „Man muss
auch die Geschichte des Stückes erzählen, und das ist eine kompliziertere
Sache“.
„Der Chor ist da auf der Bühne, kann aber nicht das spielen,
was wir vorgesehen hatten, die dürfen nur mit Maske singen, was natürlich
schwierig ist, die armen Leute. Und sie dürfen keinen Körperkontakt
zueinander haben, dürfen nicht zu nah beieinanderstehen.“
„Das kann
man sehr schwer vorbereiten als Regisseur. Alle Chorszenen sind wirklich
Kompromisse geworden. Die größte Szene, der Triumphmarsch, leider muss der
ganze Chor eigentlich nur drum herumstehen und kaum etwas spielen. Wo die
eigentlich der Mittelpunkt der Szene sein sollten.“
Trotz
Corona-Maßnahmen: Eindrückliche Bilder Es sei nicht das Konzept, das sie
vor drei Jahren entwickelt habe, vieles sei der neuen (Corona-) Situation
angepasst worden, verrät Lotte de Beer, die Regisseurin von Verdis „Aida“ an
der Opéra Bastille in Paris. Doch gerade zur bekanntesten Musiknummer, dem
Triumphmarsch, sind ihr und ihrem Team eindrückliche Bilder gelungen.
„Eigentlich ist die ganze Oper ein Kammerspiel, und dann plötzlich ein
großer, großer Triumphmarsch, wobei ich glaube, dass diese pompöse Musik
eigentlich ein Statement von Verdi ist. Wobei er kitschige Elemente benutzt,
glaube ich, um etwas klarzumachen über unseren Größenwahn.“
Kolonialismus, Eroberung, Erniedrigung Beim Triumphmarsch ist in der
Mitte der dunklen Bühne ein riesiger Bilderrahmen postiert. Statisten
agieren in diesem Rahmen, sie wechseln blitzschnell die Kostüme und formen
bekannte historische Gemälde oder Fotografien nach: Napoleon Bonaparte hoch
zu Ross, US-Soldaten beim Hissen der US-Flagge auf einer Pazifikinsel,
Seefahrer erobern die Welt, siegreiche Franzosen schwenken die Trikolore.
Macht, Liebe, Patriotismus, Krieg – all diese Themen sieht Regisseurin Lotte
de Beer in Verdis „Aida“. In den Mittelpunkt stellt sie aber besonders
Kolonialismus, Eroberung, Erniedrigung anderer Völker, und das war nicht nur
in der Triumphmarsch-Szene zu sehen.
„Ich glaube, wenn man heutzutage
eine „Aida“ macht, dann muss man nicht nur die Geschichte im Stück, aber
auch die Geschichte des Stückes erzählen, und das ist eine kompliziertere
Sache.“
Verdi bedient in „Aida“ – wie andere Komponisten der Zeit –
orientalistische Klischees mit seiner Musik.
„Auch ein
kolonialistisches Instrument“ „Andererseits ist das Stück geschrieben
worden im Auftrag vom Opernhaus in Kairo, das gesagt hat, Ägypten will nicht
mehr zu Afrika gehören, sondern zu Europa. Es war richtig kolonialistisch
und es hat sich auch noch verbunden mit der Eröffnung vom Suez-Kanal – auch
ein kolonialistisches Instrument.“
„Aida“ spielt in Lotte de Beers
Inszenierung in einem Museum im 19. Jahrhunderts, einer Blütezeit des
Kolonialismus. Anfangs sieht man nur den Kopf einer großen weiblichen
Skulptur, die Totale zeigt dann, dass sie in einer Vitrine steht. Später
wird man in anderen Vitrinen weitere Objekte afrikanischer Kunst sehen. Die
feine Museumsgesellschaft vergnügt sich drum herum mit Sekt.
Aida ist
die weibliche Skulptur, sie hat eine raue, fast kraterartige Hautoberfläche
und turban-artig hochgesteckte Rasterlocken. Sie „entpuppt“ als fast
lebensgroße Gliederfigur. Wie japanische Bunraku-Puppen wird sie von drei
Puppenspielern bewegt. Die großartige Sängerin Sondra Radvanovsky begleitet
sie – schwarzgekleidet – wie ein Schatten. Die schemenhaften Bewegungen der
Figur lassen die seelische Gebrochenheit der äthiopischen Königstochter Aida
fühlen, die in ägyptischer Gefangenschaft zur Sklavin wurde. Nur am Schluss
beim Liebestod mit Radamès wird sie wie ein Opfer in die Höhe gehoben, so
dass sie – vielleicht von allen Leiden befreit – zu schweben scheint.
Entwürfe des britischen Puppen-Designers Mervyn Millar Auch Amonasro,
Aidas Vater, und alle anderen Äthiopier sind Gliederpuppen, Marionetten der
Ägypter. Sie wurden von dem britischen Puppen-Designer Mervyn Millar nach
Entwürfen der afrikanischen Künstlerin Virginia Chihota gefertigt, von der
auch manche freskenartig anmutenden Wanddekors stammten.
„Virginia
Chihota ist eine fantastische, in Äthiopien lebende Künstlerin, die kommt
eigentlich aus Zimbabwe, ihre Arbeit erinnert mich an Egon Schiele, so wie
sie die Figuren von innen nach außen zeigt, und das Thema von ihrer Arbeit
ist der marginalisierte schwarze, weibliche Körper.“
Im Kontrast dazu
vertreten die Ägypter in der Pariser Inszenierung die
europäisch-kolonialistische Seite. Radamès und andere tragen
Soldatenuniformen. Im Schlussbild – Aidas und Radamès Liebestod – nimmt
Lotte de Beer assoziativ Bezug auf die Werkgeschichte von Verdis „Aida“, die
ja zur Eröffnung des Suezkanals komponiert wurde. Es spielt in einem langen
Kanal- bzw. Flussbett-artigen Raum. Auf dem Boden liegen zahlreiche tote
Gliederpuppen, also geknechtete Äthiopier, die – vielleicht beim Kanalbau –
zu Tode kamen.
Alle Partien fantastisch besetzt Sängerisch war
diese Live-Streaming-Premiere in allen Partien schlicht fantastisch besetzt.
Sondra Radvanovsky in der Titelpartie berührte mit Intensität und
wunderbarem Farbenreichtum, Jonas Kaufmann fühlte sich hörbar wohl in der
Rolle des Feldherren Radamès, sehr sensibel und fein gelangen die
Duett-Szenen mit Aida. Ksenia Dudnikova verzauberte als Aida-Rivalin Amneris
mit sehr flexiblem und ausgewogenem Mezzosopran. Von Ludovic Téziers
kernigem, variantenreichem Bassbariton in der kleineren Rolle als Amonasro
hätte man gern mehr gehört.
Souverän, sehr klar, farbenreich
ausbalanciert und musikalisch zwingend leitete der italienische Dirigent
Michele Mariotti das Orchester der Opéra National de Paris. Zwar kann kein
Stream eine Live-Opernaufführung ersetzen, aber da diese spannungsvolle und
szenisch kluge „Aida“ auch exzellent gefilmt wurde, ist diese Pariser
Produktion ein „Ereignis“. |
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