Hamburger Abendblatt, 23.01.20
Joachim Mischke
 
Konzert, "Mein Wien", Hamburg, 22. Januar 2020
Schmäh von gestern: Jonas Kaufmann wienert sich so durch
 
Laeiszhalle statt Elbphilharmonie: Tenor-Darling Jonas Kaufmann sang „ziemlich erkältet“ sein nostalgisches „Mein Wien“-Programm.

Hamburg. „Ich vertraue dem Saal und seiner Akustik vollauf...“ Kichern und Tuscheln im Publikum, als hätte er gerade einen nicht ganz stubenreinen Witz gemacht. Denn dass ein Jonas Kaufmann, der jedes wichtige Konzerthaus und jede große Opernadresse der Welt besungen hat, sein Konzert in einem 112 Jahre alten Spitzen-Saal so sonderbar einleitet, als wäre der Raum ein unberechenbares Ton-Absturz-Risiko, hat natürlich mit der ebenso persönlichen wie speziellen Akustik-Leidensgeschichte dieses Tenors in dieser Stadt zu tun.
Rückblende: Anfang 2019, Hamburg, Elbphilharmonie, Großer Saal, Mahlers „Lied von der Erde“, schon von Haus aus heikel, mit Kaufmann auf einer falschen Position und einem Orchester, das all dem nicht ganz gewachsen war. Künstlerpech satt. Was folgte, bereits im Konzert und erst recht danach, das bescherte dem Strahletenor-Publikumsliebling und dem neuen Hamburger Konzerthaus unfreiwillig internationale Schlagzeilen, die ebenfalls alles andere als ausgewogen gut klangen.

Jonas Kaufmann und die Elbphilharmonie...
Weil sie – aus falschen Gründen an falschen Stellen – die jeweiligen Renommees verdellten. Es setzte gegenseitige Schuldzuweisungen und Häme vom Spielfeldrand, als ob das ganze Gebäude sofort abgerissen gehörte.

Deswegen, etwa ein Jahr später: Neues, ganz anderes, anders schwieriges Programm; alter, ganz anderer, „wunderschöner“ Saal. Neues, ungetrübtes Glück? Kaufmann as only Kaufmann can? Eben nicht. Er sei „ziemlich erkältet“, so sagte sich Kaufmann selbst vor dem ersten zu singenden Ton als beeinträchtigt an.

Am Sonnabend hatte er, wenige Stunden vor dem Auftritt, sein Konzert in Nürnberg krankheitsbedingt gestrichen. Künstlerpech auch das, nur anderes. Doch die Show muss weitergehen.

Ein Gemüts-Wiener
Womit wir, endlich, bei der Performance wären. Die war, im Rahmen der Gegebenheiten und der Möglichkeiten, sehr charmant. Gelernt ist gelernt, ob nun im Opernball-Frack oder im nachtblauen Dreiteiler, und der gebürtige Münchner Kaufmann ist offenbar ein Gemüts-Wiener, stilecht und dialektsicher bei Strauß, Lehár, Stolz & Co. Es war aber auch nicht unangestrengt, mit einigen routiniert gestemmten Höhen und erleichtert aufgesuchten Tiefen.

Denn bloß weil der heldenhaft auftrumpfende Bayreuth-Tenor in diesem Repertoire überkalibrig wäre und Kaufmann klug den geschmeidigeren, lasziver flirtenden Operettentenor gibt, heißt es nicht, dass diese Arien und Lieder harmloser wären. Erst recht nicht, wenn sein Tenor so milchmokkadunkel ist wie ein Kleiner Brauner in einem Ring-Café. Das Leichte, hier klang es nicht immer nur leicht, sondern oft auch nach Mühe.

Bei der Lustigen Witwe den Einsatz verstolpert
Allein für das Auftreten unter solchen gesundheitlichen Voraussetzungen, mehrfach von dezentem Weghüsteln unterbrochen, hat sich Kaufmann am Mittwoch also einen Tapferkeitsorden verdient, viele Herzen im Saal-Publikum hatte er ohnehin im Griff. Und dass er ausgerechnet beim herzallerliebsten „Lippen schweigen“-Duett aus Lehárs „Lustiger Witwe“ seinen Einsatz verstolperte und wieder zurück auf Los musste, war eine weitere, aber sehr verzeihbare Künstlerpech-Episode.

Mit seiner Begleit-Sopranistin Johanni van Oostrum hatte Kaufmann eine Partnerin an seiner Seite, die weder eingeschüchtert noch überfordert wirkte. Für die Dummchen-Rollen, in denen sie im „Fledermaus“-“Wiener Blut“-Sortiment gefangen war, konnte sie ja nichts. Dort war Kaufmann hörbar gefordert, als er den blühenden Flieder in Sievering besang und das Wiener Blut auf Liebelei-Temperatur zu bringen hatte.

Walzer: Das war eher Prag als Wien
Für Kaufmanns „Mein Wien“-CD zum „Mein Wien“-Programm, die momentan weggeht wie frische Mehlspeisen im Kaffeehaus, durften, nein: mussten es natürlich die Wiener Philharmoniker als Begleitung sein, dirigiert von Adam Fischer. Schmäh-Profis, weißt... Das Küss-die-Hand-Gen ist da angeboren. Walzer-Könige, Polka-Päpste, Marsch-Monarchen. Für eine große Tournee allerdings ein Ding der Kosten-Unmöglichkeit.

Also saß das beim Thema lässiges rhythmisches Scharwenzeln deutlich handfestere Ensemble Prague Philharmonia auf der Laeiszhallen-Bühne, geleitet von Jochen Rieder, der Kaufmanns Stamm-Maestro für solche Fälle ist. Rieder konnte aber weder verhindern noch ausbessern, dass die unabdingbaren Walzer-Verzögerungen bei der Eins im Dreivierteltakt fehlten. Die Details, die man erst schätzt, wenn sie ausbleiben. Auch das flotte Treiben im Orchester-Motorenraum der „Tik-Tak“-Polka von Strauß Sohn war, sagen wir es mal so: eher Prag als Wien.

Kaufmanns Lieder peteralexanderten sich Richtung Finale
Nach der Pause ließ es Kaufmann, stimmlich immer deutlicher unterstützt und getragen durch das nostalgische Mikro und die Lautsprecher-Bündel über die Bühne, dezenter und feinliniger angehen. Kaufmann und seine Wienerlieder peteralexanderten sich, sanft und wie leicht angeschickert, Richtung Finale. Die Bäume im Prater blühten, Wien wurde bei Nacht noch schöner, das verschrammelte Kaffeehaus ums Eck wurde Mittelpunkt dieser Welt, und beim Abschied soll man bittschön leise Servus sagen, damit es nicht ganz so arg weh tut wie bei Lebwohl oder Adieu. Musikstadt-Idyll aus dem Bilderbuch, großer Jubel.




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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