Marbacher/Stuttgarter Zeitung, 13.01.2020
Von Verena Großkreutz
 
Konzert, "Mein Wien", Stuttgart, 12. Januar 2020
Zarte Herzen brechen schneller
 
Jonas Kaufmann in Stuttgart
 
Der Startenor beweist bei seinem Konzert eindrücklich, dass seine mächtige Stimme nicht nur Wagner, sondern auch leichte Muse kann: Mit Wiener Operettenhits und Schlagernummern betört er sein Publikum im Beethovensaal.

Da sind sie: der Charme, die feine Ironie, das melodisch geschmeidige Schmeicheln, mit dem sich auch Schlager verschmähende Ohren verführen lassen. Ganz ohne Rührseligkeit, samtweich-sonor und leicht brennt sich der Schellackhit „Sag beim Abschied leise Servus“ ins Hörgedächtnis und bleibt dort für ein paar Stunden. Jonas Kaufmann lässt hier nichts anbrennen, singt den Evergreen passend erst ganz zum Schluss, als letzte der vier Zugaben des über zweistündigen Konzerts im ausverkauften Stuttgarter Beethovensaal.

Der Startenor widmet sich derzeit mal wieder seinem lukrativen Hobby, der leichten Muse, steigt für einen Monat aus seinem Opernalltag aus, beschert zwölf Städten sein neues Soloprogramm, macht Werbung für seine aktuelle CD „Wien“ mit Hits aus der Operettenhauptstadt. Danach wird er den Florestan („Fidelio“) in London, den Tristan in Boston und den Siegmund in Paris singen.

Dass seine mächtige Stimme für die leichte Muse geeignet ist, muss der smarte, mittlerweile ergraute Wuschelkopf immer wieder beweisen. Sein dunkles, volles, baritonales Timbre ist fähig zu sinnlichem Schmelz. Doch an diesem Abend braucht der Tenor eine längere Anlaufstrecke, um die Muse wirklich leicht erscheinen zu lassen.

Verführung zum Walzer-Tänzchen
Die erste Hälfte des Konzerts mit Hits aus Operetten von Johann Strauß (Sohn), die er im Frack und mit weißer Fliege präsentiert, leidet noch ein bisschen unter der Inbrunst der wagnergestählten Opernstimme. „Sei mir gegrüßt, du holdes Venezia“ mündet in etwas aufdringliches Schmerzensgeschmetter, „Ach, wie so herrlich zu schau’n sind all die lieblichen Frau’n“ geht jede Nonchalance abhanden. Auch dem Ohrwurm „Draußen in Sievering blüht schon der Flieder“ fehlt die agile Leichtigkeit, die heitere Ironie erst möglich macht. Alles noch zu ernst, ohne das Strahlen, das Lächeln auf den Lippen, das die Operette von ihren Interpreten und Interpretinnen einfordert. Ohnehin verzichtet Kaufmann auf jede Show. Gestisch und mimisch zurückgenommen agiert er eher wie ein klassischer Konzertsänger.

Das ändert sich, als die US-amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen auf den Plan tritt, eine bemerkenswerte Sängerin mit brillanter Höhe, Riesenvolumen und auch sonst bühnenfüllender Präsenz, die durch ein hell-floral glitzerndes, später durch ein knallrotes Abendkleid unterstrichen wird. Im „Fledermaus“-Duett „Dieser Anstand, so manierlich“ spielt und singt sie den erotischen Uhrenklau so kokett, dass der Tenor gar nicht mehr anders kann als aufzutauen. Und im Duett „Wiener Blut“ – in dem sich Kaufmann auch jetzt noch so gut wie ironiefrei artikuliert – lässt er sich von ihr gar zum Walzertänzchen verführen. Ohnehin klaut die blonde Schöne dem Star nicht nur die Uhr, sondern immer wieder auch die Show, und sieht man mal vom Ende des Konzerts ab, dürfte ihr Soloauftritt mit dem „Vilja-Lied“ aus Franz Léhars „Lustiger Witwe“ in der imaginären Applausskala des Abends ganz oben gestanden haben. So schön, so eindringlich und so intonationssicher bis zum wirkungsvoll erreichten finalen Hochton gibt sie es zum Besten, auch wenn man kaum ein Wort versteht.

Plötzlich beginnt er zu strahlen
Begleitet werden die beiden von der Prague Philharmonia unter Jochen Rieder, dem es nicht immer gelingt, das Orchester mitzureißen, auch nicht in reinen Instrumentalnummern wie der „Tik-Tak-Polka“ oder dem „Gruß aus Wien“. Dem Ganzen fehlt Transparenz, vieles klingt ein bisschen gedeckelt: Der musikalische Witz, die Farben, auch die plötzlichen Stimmungs-, Tempo- und Metrumwechsel wirken nicht wirklich geschmeidig umgesetzt und schmiegen sich nicht vollends an die Stimmen an.

Je später der Abend, desto trefflicher setzt sich dagegen Jonas Kaufmann, jetzt im dunkelblauen Dreiteiler und mit schwarzer Krawatte, in Szene. Was man am wenigsten erwartet hat: Weniger in den Operettenhits als vielmehr in den final gesungenen Schlagernummern entfaltet sich seine Stimme besonders wirkungsvoll, jetzt verstärkt durch ein Mikro, das intimere Töne hörbar macht, ist der Druck plötzlich weg und jedes Pathos verschwunden. Im Filmhit „Im Prater blühn wieder die Bäume“ beginnt der Mann plötzlich zu strahlen, verströmt sich sein Charme unmittelbarer, lässig, und sein gekonntes Wienerisch kommt wunderbar warm zur Geltung. Das kommt auch den schönen Texten zugute – wie etwa in dem Song „In einem kleinen Café in Hernals“: „Die Tassen dort sind aus dickem Porzellan, zerbrechlich sind sie nicht, die Herzen dagegen sind sehr filigran, und oft kommt es vor, dass eins bricht.“ Das Publikum jedenfalls ist nicht erst am Ende des ohrwurmträchtigen Konzerts euphorisiert, viele reißt es jubelnd aus den Sitzen, und einige eilen mit Blumensträußen und anderen Geschenken zur Bühne.




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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