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Abendzeitung, 09.01.2020 |
Michael Bastian Weiß |
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Konzert, "Mein Wien", München, 7. Januar 2020
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Lieder aus Wiener Operetten: Jonas Kaufmann im Gasteig |
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Jonas Kaufmann mit Wiener Liedern in der Philharmonie |
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Es gibt – und gab – wohl kaum jemals einen berühmten Tenor, der die leichte
Muse so arios gesungen hätte wie Jonas Kaufmann. Die Lieder und Schlager
seines Programms "Mein Wien" sind strategisch so ausgesucht, dass sich sein
Timbre immer gleich wohlig dunkel und heimelig weich ins Ohr schmeicheln
kann.
Verlässlich folgen sämtliche Stücke dem Muster, dass sich das
Organ erst in der tiefen Lage ausbreitet: in bewusstem Legato und mit
geheimnisvoll verhaltenem Ausdruck. Sowohl beim "Lagunenwalzer" als auch dem
Lied des Herzogs aus der Operette "Eine Nacht in Venedig" von Johann Strauß
Sohn vergisst man sogar irgendwann, dass man einer Tenorstimme zuhört. Genau
dann jedoch bricht plötzlich die schwarzgoldene Höhe hervor – und die Nummer
endet zielstrebig auf einem beifallserregenden Spitzenton.
Jonas
Kaufmann in München: Schwarzgoldene Höhen
Man kann natürlich darüber
streiten, ob ein solcher opernhafter Zugang der richtige für dieses
Repertoire ist. Ja, wahrscheinlich ist Kaufmanns Gesangsluxus tatsächlich
einen Tick zu wenig idiomatisch für Operette und Wiener Lied. Andere Tenöre
haben etwa in "Im Prater blüh‘n wieder die Bäume" von Robert Stolz das
Parlando plastischer sprudeln lassen und den Walzerrefrain vokal
fokussierter angestimmt.
Kaufmann muss ein wenig aufpassen, dass sein
weicher Stimmansatz nicht diffus wird, und lässt seine Aufmerksamkeit
zwischendurch einmal nach, kann es in der ausverkauften Philharmonie schon
schwer werden, wirklich jede Nuance wahrzunehmen. Die hohe Kunst der
Makellosigkeit
Besonders ohrenfällig wird das in den Duetten mit
Rachel Willis-Sörensen, die überdeutlich artikuliert und deren kräftiger
Sopran mehr Fläche und Stabilität hat als sein Tenor. In "Wiener Blut" aus
der gleichnamigen Operette nach Strauß Sohn hört man denn auch seinen
Spitzenton schon fast nicht mehr, ihren aber schon. Verübeln kann man einer
Sängerin solch einen kleinen Wettbewerb nicht, zumal sie ihn für sich
entscheidet. Sobald sich beide ein wenig zurückhalten wie in "Lippen
schweigen" aus "Die lustige Witwe" von Franz Lehár, renkt sich die Balance
aber sofort wieder ein.
Größere Rücksicht nimmt das Orchester "PKF –
Prague Philharmonia" unter Jochen Rieder, das generell mit angenehm
trockenem Understatement vorgeht und Kaufmann in seiner freien
Gestaltungskunst zumeist aufmerksam folgt.
Diese Kunstfertigkeit darf
man über all den kritischen Anmerkungen nicht vergessen. Wenn Jonas Kaufmann
mit halber Stimme einen hohen Ton anschwellen und makellos verlöschen lässt
wie in "Wien wird schön erst bei Nacht" von Robert Stolz; wenn er
genießerisch mit Vokalfärbungen spielt, etwa mit dem "u" von "Blut" ("Wiener
Blut") oder dem "ä" von "Märchen" (Lied aus "Die Zirkusprinzessin" von
Emmerich Kálmán), wenn bei ihm überhaupt in allen Lagen eine Fülle des
Wohllauts strömt, von der andere Tenöre nur träumen können – dann kann man
dem gebürtigen Münchner einfach nicht böse sein dafür, dass er auch
Operettenlieder so schön singt wie möglich.
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