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Badische Zeitung, 21. Januar 2019 |
Von Alexander Dick |
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Mahler: Das Lied von der Erde, Baden-Baden, 20. Januar 2019
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Das Lied von der Klangfarbe |
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In Baden-Baden kann man ihn hören, und doch ist nicht alles ideal: Jonas Kaufmann mit Mahler |
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In der Hamburger Elbphilharmonie erntete Tenor Jonas Kaufmann zusammen mit
dem Sinfonieorchester Basel Kritik – und übte Kritik an der Akustik. Wie
funktionierte sein Auftritt in Baden-Baden?
Die wichtigste
Nachricht: Man kann ihn hören. Man muss auch nicht in die Pausen oder leisen
Stellen hineinrufen, wie unlängst erst in der Hamburger Elbphilharmonie
geschehen, beim Auftritt Jonas Kaufmanns und des Sinfonieorchesters Basel
mit dem selben Programm und Orchester. Es lebe die gute alte, traditionelle
Konzertsaalarchitektur des Festspielhauses Baden-Baden: Bühne vorn,
Beschallung frontal. Niemand muss hinter den Interpreten sitzen und sich
ärgern, wenn sie von ihm wegspielen oder -singen.
Akustikprobleme in
Konzertsälen Die Diskussion über die für ihre Architektonik so gepriesene
Hamburger Elbphilharmonie, für die die Basler Architekten Herzog und de
Meuron verantwortlich zeichnen, flammt seit dem Eröffnungskonzert vor zwei
Jahren immer wieder auf. Im Visier: die Akustik des Japaners Yasuhisa
Toyota. Zu trocken, zu wenig Nachhall sagen die Kritiker; sehr transparent,
gut durchhörbar entgegnen die anderen. Das ist zu pauschal. Musikstil,
Besetzungsgröße, Mischung von Vokal- und Instrumentalklang sowie nicht
zuletzt die Anzahl der Besucher sind weitere wichtige Parameter. Zumal in
einem Saal, in dem das Publikum um die Interpreten wie im Zirkus um eine
Manege sitzt. Wer das Pech hat, genau im Klangschatten der Sänger zu sein,
muss Defizite beim Hören in Kauf nehmen. Das akustisch auszugleichen, ist
komplex. Auch bei Hans Scharouns architektonischem Geniestreich, der heute
wegen ihrer Akustik hochgelobten Berliner Philharmonie mit ihrer zentralen
Anordnung des Podiums, musste nach der Eröffnung 1963 noch einige Zeit
nachgebessert werden. Selbst der damalige Chef der Berliner Philharmoniker,
Herbert von Karajan, soll bei den ersten Proben im neuen Saal konsterniert
gewesen sein. Schallreflektoren und ein erhöhter Podiumsboden sorgten
schließlich für Abhilfe.
Entsprechend fällt der Beifall nach den
sechs Sätzen von Gustav Mahlers "Lied der Erde" im voll besetzten
Musentempel an der Oos begeistert aus. Wobei man da auch schon
frenetischeren Jubel erlebt hat. Woran lag’s?
Um das zu ergründen,
muss man sich, mehr noch als die Akustik, das Hauptwerk des Abends genauer
anschauen – Mahlers "Lied von der Erde", entstanden 1907 bis 1909,
uraufgeführt 1911 unter Bruno Walter. Von der Reihenfolge her eigentlich die
neunte Sinfonie des Komponisten, aber eine, die mit der viersätzigen
Tradition bricht: sechs statt vier Sätze, alle mit Gesang – verfasst für
Tenor- und Altstimme. Frage: Wo also ist der Alt oder wenigstens Bariton,
den man auch bei manchen Aufführungen erlebt, in dieser Produktion? Antwort:
beide in Personalunion bei Jonas Kaufmann.
Wo ist die Altstimme
geblieben? Sie fehlt
Die Tatsache, dass die Tenorstimme des Münchners
von sehr dunkler, viriler Farbe ist, schien das Experiment nahezulegen. Was
dagegen spricht, wiegt schwerer. Gustav Mahlers Entscheidung für zwei
Stimmen hat natürlich etwas mit Klangfarben zu tun. Mit Kontrasten. Von
daher verbietet sich eigentlich schon die Entscheidung für eine Bariton-
statt einer Altstimme.
Hinzukommt, dass die Aufgabenverteilung
ungleich ist. Der Tenorpart ist extrem undankbar; gerade im ersten Lied ist
das große Volumen eines Heldentenors gefragt, die üppige Orchestrierung, die
oft grellen Tonfarben machen es selbst dem nicht leicht. Für die Altistin
dagegen gibt es Delikates, wie den vierten und den gewaltigen, langen
sechsten Satz, der indes sehr kommod gesetzt ist für diese Stimmlage. Nicht
dass Jonas Kaufmanns vokale Möglichkeiten hier versagten. Seit seiner
Wiedergenesung von einem Ödem am Stimmband hat sein Tenor zu neuer
Stabilität gefunden, auch wenn die Stimme sich noch mehr eingedunkelt zu
haben scheint. Was im Hinblick auf die geforderten zwei Stimmlagen stark
eingeschränkt ist, sind ergo die klanggestalterischen Möglichkeiten. Der
Tiefe Kaufmanns fehlen die Obertöne, fehlt der Glanz, da geht einiges unter,
wie im vierten Satz etwa die gesamte vierte Strophe ("Das Ross des einen").
Dieses "Lied von der Erde" ist eher eine Ansammlung von Orchesterliedern
statt der Sinfonie, die es sein soll.
Ganz unschuldig daran ist
Jochen Rieders Dirigat, obwohl sehr sängerdienlich, das exzellente
Sinfonieorchester Basel fein austarierend, nicht. Vergleicht man die
Interpretation nur einmal mit der legendären, auf Platte verewigten Bruno
Walters von 1952, merkt man, was fehlt: die emotionalen Extreme, die
Erschütterung, jener Hauch von an den Kitsch heranreichender Gefühligkeit,
deren Mahlers Musik auch aus der späten Kompositionsphase bedarf. Das ist
doch alles eine Spur zu lehrbuchmäßig, akademisch musiziert. Schon Mahlers
Komponistenkollegen spürten das: "Mensch, kannst Du das aushalten? Ich
nicht!", schrieb Anton Webern an Alban Berg über die Münchner Uraufführung
des "Lieds von der Erde". Diese wohlsortierte Baden-Badener Interpretation
dagegen kann man einfach zu sehr aushalten.
Im Gegensatz zu
"Rendering", Luciano Berios Reflexion über Franz Schuberts Fragment einer
zehnten Sinfonie. Hier gelingen Rieder und dem Basler Orchester eine ebenso
expressive wie filigrane Begegnung von Tradition und Gegenwart. Die
Schichten überlagern sich, der Kern wird wieder freigeschält – eine wahrhaft
surreale Musik erwächst hier. Auch in den Piano-Passagen. Interpreten und
Akustik sei Dank.
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