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Stuttgarter Nachrichten, 17. Mai 2018 |
Von Markus Dippold |
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Konzert, 16. Mai 2018, Stuttgart, Liederhalle
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Der Beethovensaal liegt ihm zu Füßen |
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Der Startenor Jonas Kaufmann hat in der Stuttgarter Liederhalle sein
Publikum zu Beifallsstürmen hingerissen. |
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Die beiden Englischhörner intonieren ihre melancholische Melodie, die der
Sänger passgenau mit seinem ersten Ton aufgreift. Wie Jonas Kaufmann sich
den emotionalen Gehalt in Halévys Arie „Rachel, quand du Seigneur“ aus der
Oper „La Juive“ anverwandelt, ist geradezu sensationell. Zu jedem Zeitpunkt
vermittelt der Tenor den Eindruck, seine vokalen Möglichkeiten so perfekt zu
beherrschen, dass er sich voll und ganz dem Augenblick hingeben und somit
diese fünf Minuten Musik in große Kunst verwandeln kann. Kein Wunder, dass
dem Sänger mit dem Latin-Lover-Image der voll besetzte Beethovensaal
förmlich zu Füßen liegt. Allerdings dauert es einige Zeit, bis Kaufmann auf
diesem Niveau ankommt. Vorsichtshalber kündigt er selbst Unpässlichkeit an,
die aber eher nicht der Grund für den eher ambivalenten Eindruck in
Meyerbeers „O Paradis“ gewesen sein dürfte. Eher muss Kaufmann nach seiner
vokalen Einstellung suchen, die in der ganzen ersten Programmhälfte – bei
aller Begeisterung – einen zentralen Mangel aufweist.
Kaufmann nähert
sich Arien wie „Ah! lève-toi, soleil!“ aus Gounods Oper „Roméo et Juliette“
nicht mit einer genuin französischen Stilistik und Technik. Vielmehr siedelt
seine Stimme in der bei ihm sehr markanten Brustlage, teilweise zieht der
Tenor die Töne mit deutlich brustigem Kern nach oben. Diese bei Verdi und
Puccini gängige Art führt dazu, dass Kaufmann genau das fehlt, was genuin
für die französische Oper ist: die Voix mixte. Erlaubt diese Technik die
subtile Tönung der Klänge und das bruchlose An- und Abschwellen der Phrasen,
weicht Kaufmann stattdessen immer wieder in das für ihn charakteristische,
teils fahle Piano aus. Das raubt Passagen wie dem finalen Aufgang auf das
hohe B in der Blumenarie des Don José aus Bizets „Carmen“ einen Teil ihres
Effekts.
Perfektes Wort-Ton-Verhältnis
Umso eindrucksvoller
gelingen dem heftig umjubelten Tenor die Arie des Faust „Merci, doux
crépuscule“ aus Hector Berlioz’ „La damnation de Faust“ und vor allem Jules
Massenets „O souverain, ô juge, ô père“. Faszinierend ist, wie sich Kaufmann
jeweils in Sekundenschnelle auf die Emotion der Arie einstellt. Dabei
entwickelt er jede Phrase aus einem perfekten Wort-Ton-Verhältnis mit einer
Vielzahl an fein differenzierten Klangfarben. Und natürlich demonstriert er
auch das ein oder andere Mal die volle Pracht seiner Spitzentöne.
Raumfüllend funkeln die hohen Töne, haben Körper und Charakter und
überstrahlen mühelos das Orchester. Begleitet wird er dabei von der
Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, die ihre Aufgabe bravourös
erfüllt und mit ihrem kompakten, dabei transparent durchhörbaren Klang
begeistert. In den eingestreuten Wunschkonzert-Nummern, etwa Sätzen aus
Bizets „Carmen-Suite“, zeigen die Musiker viele aparte Momente. Jochen
Rieder lenkt in bester Kapellmeister-Tradition das Orchester und bietet
Kaufmann und der eher blass bleibenden Kate Aldrich den perfekten Boden. Die
Mezzosopranistin steuert die Carmen-Habanera bei, hat aber naturgemäß wenig
Chancen gegen Jonas Kaufmann, der an diesem Abend nachhaltig demonstriert,
warum er als Weltstar gefeiert wird.
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