Welt, 29.06.2018
Von Manuel Brug
 
Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, 28. Juni 2018
Der reine Tor im Reich des Gammelfleischs
Georg Baselitz malt zur Eröffnung der Münchner Opernfestspiele die Kulissen zu Wagners „Parsifal“. Das sieht gar nicht bunt und sehr dunkel aus. Zum Glück wird gesungen. Und Kirill Petrenko dirigiert.

Irgendwann wird man sicher sagen, dieser Münchner „Parsifal“ war hochbedeutend für das Spätwerk von Georg Baselitz. Eine Konvolut an Zeichnungen und Bildern ist dafür über zwei Jahre erstanden, eine Seitenstrang in der Beschäftigung des 80-Jährigen mit seinem nackten, verfallenden Körper, den er mit einer neuen, zarten Maltechnik erforscht.

Der zerfallende Mensch löst sich auf in bleichem Sfumato, Gliedmaßen sind nicht mehr vollständig, Silhouetten mit zittrigem Strich übermalt. Das hat etwas Andächtiges und Anrührendes, Verletzbares, nicht mehr das Kraftmeierisch-Brutale von früher.

Intensiver Tonstrom
Und so blickt man gern auf die drei Zwischenvorhänge, die an der Bayerischen Staatoper die Akte dieses „Bühnenweihfestspiels“ während der Instrumentalvorspiele von der Szene trennen. Zumal „Parsifal“-Debütant Kirill Petrenko und das Bayerische Staatsorchester ihre ganze, die fünf Stunden Spieldauer nicht ganz durchhaltende Magie entfalten. Ein intensiver Tonstrom, der organisch weich fließt, fast ohne Kanten.

Hier wird in einer besonders feinen Richard-Wagner-Suppe gerührt, keinem feisten, schwerem Eintopf, sondern einer leichten Velouté. Das schwappt allerschönst vor sich hin, wird mal laut und schroff (zweiter Akt), meist aber ist es mild von innerem Leuchten erfüllt. Wagners Weltabschiedswerk, hier tönt es beinahe so ungreifbar transzendent wie aus dem gedeckelten mythischen Abgrund von Bayreuth.

GEORG BASELITZ ERKLÄRT SEINEN "PARSIFAL"
Dazu sehen wir, auf Falten werfenden Gardinen, zunächst vier übereinandergeschichtete Körper, kopflos, einen schwarzen Spalte in der Mitte. Im zweiten Akt sind es vier kopfüber herabhängende Körper vor bläulichem Hintergrund, verdreht, schlank, es könnten Frauen sein – korrespondierend mit dem den bald auftauchenden Blumenmädchen.

Der dritte Vorhang zeigt eindeutig vier auf dem Kopf stehende Männer, enger aneinandergerückt. Variationen menschlicher Alterung und Auflösung, stark gerade in ihrer Größe und Detailfeinheit. Lob den Theatermalern, die das auf viele Quadratmeter übertragen haben.

Damit hat man allerdings – zumindest optisch – das Beste an dieser vorab zum Top-Opernereignis des Sommers hochgejazzten Opernpremiere erlebt. Der Inszenierungsrest ist neuerliche Enttäuschung. Zeigt wieder einmal, dass sich die Imagination eines Malers, und sei er noch so berühmt und einzigartig, eben nicht unbedingt befriedigend in die dreidimensionale Bühnenwelt verwandeln lässt, dass Bilder belebt, inszeniert, interpretiert werden müssen.

Bewährte Kollaboration
Das freilich war mit dem sturen Baselitz nicht zu machen, der als Opernlaie kein Regietheater („Perversion!“) mag, alles so sehen möchte, wie es beim dichtenden Komponisten geschrieben steht. Deshalb hat man sich seinen bewährten Kollaborateur Pierre Audi samt dessen Zuarbeitermannschaft geholt.

Der in 30-jähriger Intendanz an der Niederländischen Nationaloper verdiente Regisseur, der selbst am überzeugendsten ist, wenn es abstrakt zugeht, folgt bescheiden den letzten Kundry-Worten: „Dienen, dienen“ – und buchstabiert brav nach.

Das ist so vorhersehbar wie langweilig; meist Grau in Schwarzgrau. Da brüten Gurnemanz und Knappen dick verhüllt (Oberherrin der Stoffmassen: Florence von Gerkan) dumpf im sauren Regenwäldchen zwischen dürren Tannen, die sich rachitisch noch flacher legen. Der offenbar nach einer Gallenblasenoperation bandagierter Gralskönig Amfortas wackelt dazwischen am Stock.

Zauberin Kundry, die aussieht wie Ronja Räubertochter, haust rechts im Babysaurierskelett. Ein Iglu-Scheiterhaufen grober Stelen dient als Schutzhütte und Gralstempel, wo ein blutiger Knubbel geschwenkt wird; drei ausgesägte Flachengel sind auf dem Weg dorthin kurz erschienen. Im dritten Akt steht dieses Ambiente baselitzgerecht auf dem Kopf.

Der zweite Akt hingegen, wo der verstoßene Gralsritter Klingsor (Wolfram Koch) als verbrannter Papageno herrscht, ist vor einer schlaff sich aufrichtenden Mauer mit Schlitz semikonzertant an die Rampe gerückt. Parsifal wird von einer Meute nackter Gammelfleisch-Frauen im schlotternden Fatsuit erschreckt und von einer übergriffigen Opernsängerin (Kundry) geküsst.

Ähnlich haben ihn einen Akt früher entblößte Gralsritter mit lurchigem Geschlecht eingekreist. Dann gehen Licht und Erkenntnis an: Parsifal nimmt Papageno sein Pfeilchen weg und haut erst mal ab. Am Ende, wenn er Amfortas damit totgeheilt hat, starren alle auf einen Schleier, auf dem sich im weißen Farbspiralnebel eine Taube abzeichnet.

Solche, lächerlich anmutende Bibeltreue traut sich selbst Oberammergau schon lange nicht mehr. Zum Glück wird in dieser hochtrabenden Inszenierungsnichtigkeit hervorragend gesungen. Jonas Kaufmanns tumber Tor ist besonders softig und nachgedunkelt, bisweilen kaum vernehmbar. Umso mehr dafür die gleißend auffahrende Höllenrose Nina Stemme, eine Kundry von rätselhafter Intensität und zunehmender Sinnlichkeit.

Fahren wir doch besser nach Colmar
René Pape ist der Supermario aller Gralshüter, breitströmend, basswohlig, verlässlich. Der ebenfalls debütierende Christian Gerhaher missversteht den knorrigen König Amfortas zwar als säuselnden Liedsänger mit zwei trotzigen Aufschreien, aber das macht er zum Niederknien ehrlich wie klangschön leidend.

Während man zum Wagner-Flow chillt, den Kirill Petrenko als hehrstes Wunder veredelt, hat man viel Zeit, darüber nachzusinnen, warum man eigentlich nicht besser ins Unterlindenmuseum nach Colmar gefahren ist. Dort nämlich sind Baselitz’ „Parsifal“-Arbeiten im kleinen Original zu sehen. Würdig neben Grünewalds Altar-Schmerzensmann, der sowieso jede Reise wert ist.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top