Fränkischer Tag, 30.11.2018
Monika Beer
 
Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
Verdis Otello ist in München ein traumatisierter Kriegsheimkehrer
 
Mit ihrer "Otello"-Neuinszenierung bricht Regisseurin Amélie Niermeyer an der Münchner Staatsoper die Rollenklischees gleich in mehrfacher Hinsicht auf

Natürlich ist das Publikum zunächst befremdet. Da steht das aktuelle "Traumpaar der Oper" auf der Bühne, aber die Regie greift das nicht auf. Sondern thematisiert etwas Unerwartetes: Giuseppe Verdis "Otello" ist in der Münchner Neuinszenierung zwar kein Mohr, wie es im Textbuch nach Shakespeare heißt. Aber er ist ein traumatisierter Kriegsheld, der in der Welt seiner durchaus selbstbewussten Frau Desdemona nicht klarkommt.

Mit ihrer "Otello"-Neuinszenierung bricht Regisseurin Amélie Niermeyer die Rollenklischees gleich in mehrfacher Hinsicht auf. Ein Jonas Kaufmann ohne schwarze Lockenpracht, der als Titelfigur unsicher wirkt, an sich herumnestelt und nicht weiß, wohin mit seinen Händen in seiner grauen Arbeitsuniform, ist ebenso gewöhnungsbedürftig wie eine Desdemona, die in der Verkörperung von Anja Harteros nichts zu tun hat mit dem gern vorgeführten Unschuldslamm (Kostüme: Annelies Vanlaere).

Intriganter Drahtzieher
Was die beiden zeigen, sind Szenen einer Ehe, die trotz aller Liebe schon vor dem Auftreten von Jago, dem intriganten Eifersuchtsdrahtzieher, auf wackligen Füßen stand.

Der Orkan, mit dem die Oper beginnt, spiegelt sich optisch im Bangen der Frau in ihrem karg möblierten Wohn- und Schlafeinheitsraum, den der aus Lichtenfels stammende Bühnenbildner Christian Schmidt Gemälden von Vilhelm Hammershoi nachempfunden und gleich mehrfach auf die Bühne gestellt hat: im statischen Großformat, etwas kleiner und beweglich sowie in Projektionen (Video Philipp Batereau).

Die trotz diverser Kaminfeuer eher kühle, von Olaf Winter superb beleuchtete Bildästhetik geht wunderbar auf, weil die musikalische Interpretation all die Leidenschaften entfesselt, die man von Verdis vorletztem Meisterwerk erwarten kann. Dirigent Kirill Petrenko hat nicht nur mit den Solisten hörbar Feinarbeit geleistet, sondern realisiert mit dem Staatsorchester und dem von Jörn Hinnerk Andresen einstudierten Staatsopernchor ein psychologisch spannendes Musikdrama und Kammerspiel.

Lob für den Kinderchor
Der Dirigent lässt die vielfältigsten Klangfarben aufscheinen, ohne je darin zu schwelgen, wagt auch Schräges und dynamische Kontraste, die ihres gleichen suchen. Schmerzend laut kann das sein, aber häufiger und nicht nur in den Solistenstimmen so leise, so beiseite oder so nach innen gesprochen, dass man unmittelbar nachempfindet, worum es geht.

Petrenkos musikalische Interpretation ist so bezwingend, dass kein einziger Zwischenbeifall die besuchte zweite Vorstellung unterbrach.

Auch nicht nach dem berühmten Credo Jagos, das an diesem Abend die wohl größte sängerische Leistung war. Der kanadische Bariton Gerald Finley erwies sich als der Star des Abends, weil er nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich überzeugte. Die von der Regie betonte Gebrochenheit der Otello-Figur kommt Jonas Kaufmanns Gesang entgegen.

Seine Partnerin Anja Harteros ist nicht nur regielich eine reife Desdemona - stimmlich eine vielleicht schon zu reife, die erst in der zweiten Hälfte zur gewohnten Intonationsklarheit und Überzeugungskraft fand. Ein Sonderlob gebührt dem Kinderchor in der wunderbar inszenierten Huldigungsszene des zweiten Akts, die die sich ankündigende Katastrophe sinnfällig vorwegnimmt.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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