NZZ, 25.11.2018
Marco Frei
 
Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
Wenn Kirill Petrenko am Werk ist, lauscht man ganz genau: Der neue «Otello» in München bietet Szenen einer anderen Ehe
 
Für den Vierakter von Giuseppe Verdi an der Bayerischen Staatsoper wurde wieder das «Opern-Traumpaar» Jonas Kaufmann und Anja Harteros verpflichtet. Doch sind es diesmal andere Protagonisten, die am meisten überzeugen.
 
Die Oper hätte auch «Jago» heissen können, so wie von Giuseppe Verdi ursprünglich gewollt. Er ist der Teufel in Person. «Ich glaube an einen grausamen Gott», singt der durchtriebene, intrigante Gegenspieler von Otello in seinem infernalischen «Credo». Spätestens in dieser Szene aus dem zweiten Akt von Verdis «Otello» ist vollends klar, dass mit Gerald Finley ein bleibender Jago zu erleben ist – eine veritable Entdeckung. In der Neuproduktion von Verdis Vierakter an der Bayerischen Staatsoper sticht er unter den Solisten klar heraus.

Mag sein, dass sich in seinem eher hellen Bariton die Zeichnungen in Gut und Böse etwas verschieben, gerade im Vergleich zum baritonal abgedunkelten Tenor von Jonas Kaufmann als Otello, aber: An der jetzigen Premiere präsentierte sich Finley als überragender Sängerdarsteller. Zugleich war es der Kanadier, der die Leitung von Kirill Petrenko am umfänglichsten zu nutzen verstand – und diese Leitung war brillant. Petrenko hat exemplarisch durchdrungen, worum es Verdi musikalisch in seinem «Otello» geht.

Sinnlicher Klangzauber
Ähnlich wie Richard Wagner kreiert Verdi eine musikdramatische Grossform, die jedoch nicht von Leitmotiven zusammengehalten wird. Verdi arbeitet stattdessen mit Klangfarben und Klanglichkeiten sowie gezielt gesetzten Kontrastierungen in der Dynamik und der melodischen Führung des Gesangs. Das alles bestimmt eine Art erneuerte Affektenzeichnung, die auf eine grundsätzliche Natur des italienischen Opernerbes verweist – und sie weiterdenkt. Genau das hat Petrenko mit dem famosen Bayerischen Staatsorchester verinnerlicht, um Verdis Musik mehr in die Nähe eines quasi-impressionistischen Klangzaubers zu rücken.

Überdies kennt Petrenko keine Angst vor der stillen, kammermusikalischen Reduktion. An der Premiere balancierte er die Dynamik genauestens aus, um selbst im wirkungsvoll in Szene gesetzten Staatsopern-Chor nichts zu übersteuern. Und so grollen die gedämpften Kontrabässe im Nachspiel des «Ave Maria» aus dem vierten Akt schauerlich: Solche Momente schattiert Petrenko derart feinsinnig aus, dass man genauestens zu lauschen beginnt. Differenziert, aber nie unterkühlt ist seine Leitung.

Petrenko im Element
Mit diesem Profil avancierte das Orchester tatsächlich zum vollwertigen, ebenbürtigen Partner der Sänger auf der Bühne. Das alles glühte und brannte, funkelte und leuchtete, drohte verdüstert oder schwärte unheilvoll. In diesem Repertoire der italienischen Oper fühlt sich Petrenko hörbar wohl. Mit der Oper «Lucia di Lammermoor» von Gaetano Donizetti, sein Belcanto-Debüt von 2015, hatte Petrenko hingegen seinerzeit doch einige Probleme. Ein Musizieren mit angezogener Handbremse war damals zu erleben.

An der jetzigen «Otello»-Premiere lockerte Petrenko die Zügel und liess es einfach treiben, ohne den Kopf zu verlieren oder Hörklischees zu bedienen. Damit hat Petrenko eigentlich auch Kaufmann sowie Anja Harteros als Desdemona viel Raum geschenkt, was diese allerdings bestenfalls in Ansätzen zu nutzen vermochten. Sie sind gegenwärtig das «Traumpaar der Oper» schlechthin, aber: Ihr Glanz scheint zu verblassen. Bei Harteros erstaunt das umso mehr, da man von der wunderbaren Sängerdarstellerin bisher genau das Gegenteil gewohnt war.

Schon an der diesjährigen «Lohengrin»-Premiere in Bayreuth wackelte die Stimme in der Mittellage, wirkte das sonst so warme, farbenreiche Timbre irritierend matt. Beim Münchner «Otello» kamen in der ersten Hälfte teilweise erhebliche Probleme mit der Intonation hinzu. Harteros wirkte wie eine Sängerin, die ihren Zenit überschritten hat. Dagegen sind die Probleme Kaufmanns, der seinen ersten Otello 2017 in London gegeben hat, hinlänglich bekannt. Im Forte entwickelt er eine strahlende, dramatische Präsenz, um jedoch im fragilen Piano gepresst zu wirken.

Die zarte Höhe strengt ihn an, und im gaumigen Timbre kann sich eine nuancenreiche Luzidität kaum entfalten. Genau dies ist und bleibt das zentrale Dilemma Kaufmanns. Er ist ein baritonal abgedunkelter Tenor, und das war Plácido Domingo auch. Allerdings konnte sich Domingos Otello stets auf eine technisch ausgewogene und unerhört vielfarbene Mittellage verlassen. Das kann Kaufmanns Otello nicht. Immerhin machte die Brüchigkeit der Stimmen von Harteros und Kaufmann assoziativ hörbar, wie hier eine Ehe in Trümmern liegt.

Die Inszenierung von Amélie Niermeyer entwirft «Otello» mehr als «Szenen einer Ehe», freilich vielfach durch die «Gender-Brille» betrachtet. Schon im orchestralen Ausbruch, mit dem die Oper beginnt, wird klar, wer hier das Opfer ist: Desdemona. Passend zur Musik setzt sie zu einem stummen Schrei an. Ihre Ehe mit Otello hält sie offenkundig nicht aus, fühlt sich nicht als vollwertiger Teil eines Zweierbundes, ohne jedoch die Initiative zu ergreifen.

Echte Italianità
Damit ist Desdemona eben kein reines Opfer, sondern im Grunde genauso beziehungsunfähig wie Otello – obwohl Niermeyer eigentlich den unterdrückenden Mann im Visier hat. Auf der von Christian Schmidt karg entworfenen Bühne steht das Ehebett im Zentrum, und diese Matratzenwelt wird von Jago jäh zerstört. Was von der Neuproduktion bleibt, ist vor allem die Leitung Petrenkos. Er ist endlich angekommen in der originären Italianità. Mit diesem Profil sollte sich Petrenko noch einmal dem Hoch-Belcanto widmen – frisch und befreit.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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