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nmz online, 24.11.18 |
Von Wolf-Dieter Peter |
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Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
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Verdi reduziert auf Ibsen – Die „Otello“-Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper München kann nur musikalisch beeindrucken |
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Schon für sein Londoner Otello-Debüt setzte Jonas Kaufmann durch, nicht zum
dunkelhäutigen Mohren geschminkt zu werden, ein „Weißer“ zu bleiben. Darin
traf er sich mit Regisseurin Amélie Niemeyer. Sie wollte ohnehin Desdemonas
Schicksal mehr ins Zentrum ihrer Interpretation rücken. All das führte eher
weg von Shakespeare, Boito und Verdi.
Schon Amélie Niemeyers
Entscheidung, das Scheitern einer Ehe und Liebe zwischen zwei „Weißen“ ins
Zentrum zu rücken, verkleinerte und ließ zentrale Konflikte beiseite: Otello
als siegreicher Anführer der afrikanischen Widerstandsbewegung gegen die
Türken; seine völlig außergewöhnliche Ernennung zum Oberbefehlshaber der
venezianischen Flotte; seine aus dem Kontrast zu den venezianischen Playboys
erwachsende Faszination als „der ganz Andere“ für das Millionärstöchterchen
Desdemona; seine für die Handelsmacht Venedig zentrale Vernichtung der
türkischen Flotte; doch „Black lives matter“ eben nur begrenzt, denn Otellos
Machtfülle kann für die Dogenmetropole eventuell auch gefährlich sein –
daher: seine Ablösung ist bereits per Schiff unterwegs, bevor seine
Siegesmeldung in Venedig eingetroffen sein kann – daraus folgend: sein
ungesicherter sozialer Status, seine reale und emotionale Verunsicherung,
seine Anfälligkeit für Einflüsterungen, all dies gepaart mit einem
leidenschaftlichen Temperament, dem mitteleuropäische Mäßigung schwer fällt
– was Boito-Verdi in „il sangue mio ribolle – mein Blut kocht“ und die
wildesten „Sangue! Sangue! Sangue!“-Rufe der bisherigen Opernliteratur, in
Verzweiflung, Mord und Selbstmord fassten.
All das hat Regisseurin
Niemeyer in Christian Schmidts edel-schöne Innenräume einer Villa verlegt.
Zwar gibt es diese Räume beeindruckend verschwurbelnde bühnengroße
Video-Zuspielungen (Philip Batereau) – doch das bleibt ungenutzte Zutat. So
erlebt Desdemona die fulminante Sturm-Szene in einem auf halber Höhe im
schwarzen Raum schwebenden, weißen Kaminzimmer mit Bett – gleichsam in ihrem
Inneren; dieser Raum fährt nach hinten und der gleiche bildet dann in
Bühnengröße den weiteren Spielraum, auch für die Garten-Szene mit
Blumenchor, mehrfach im Wechsel mit dem kleineren, in dem Otello am Ende
Desdemona erwürgt und sich selbst am Bühnenrand vorne am selben Bettmodell
mit einem Messerchen ersticht – kein vereinender Kuss also.
Am Anfang
auch keine Orkanszene: der geballt fabelhaft klingende Chor steht als
schwarzer Block unter Desdemonas Salon, den betritt Otello mit einem jetzt
eher befremdlichen „Esultate!“ und akkurat gescheitelter, gegelter
Kurzhaarfrisur, in grauem, undefiniertem Uniform-Imitat – ein Weißer aus
einer Leitzentrale für Drohnen-Einsatz, leider auch nahe am Eindruck
„Buchhalter-Typ“. Mit ihm und der als liebende reife Frau agierenden
Desdemona führt Regisseurin Niemeyer dann ein in etlichen Details fein
gezeichnetes Kammerspiel à la „Mann ev. mit Kriegstrauma, Frau ohne Aufgabe“
vor – viel zu nahe an Strindberg und Ibsen, also an allzu alltäglichen
„Szenen einer Ehe“ im zeitlos heutigen Kostüm (Annelies Vanlaere) - alles
verkleinert, keine exemplarischen Figuren, keinerlei Fallhöhe… so schlicht
konsumierbar, dass das Premierenpublikum unerschüttert für das
Inszenierungsteam ein bisschen weniger klatschte, aber eben auch zu keinem
Buh gereizt war.
Jubelstürme aber für die sehr schön singende, wie
eine Gräfin agierende Anja Harteros, deren Edel-Sopran nur über die
mädchenhaft süße Innigkeit des Liebeduetts, des „Weiden-Lieds“ und des „Ave
Maria“ hinaus ist. Jonas Kaufmann führte seinen „weißen Otello“ aus dem
Londoner Debüt vor; für die dunklen Phrasen passt sein Tenor ideal, bei den
Ausbrüchen werden Grenzen hörbar. Im Gegensatz zu den beiden Stars war
Jago-Debütant Gerald Finley die ganze Probenzeit anwesend: ein fein
nuanciertes Intriganten-Porträt – er profitierte von der
Schauspiel-Regisseurin Niemeyer erkennbar, sang ohne italienische
Bösewicht-Brüllerei beeindruckend und wurde als Star der Solisten gefeiert.
Uneingeschränkter Jubel auch für Jörn Hinnerk Andresens Chor, das
Staatsorchester – gesteigert noch für Dirigent Kirill Petrenko. Auch wenn
die kalte Härte, die sehrende Dramatik und die fahlen Abgründe der
Toscanini-Aufnahme unerreicht bleiben: es gab sonst untergehende
Chor-Zwischenruf-Abstufungen, einen staunenswerten Nuancenreichtum in der
Feinzeichnung und dann mitreißende Orchesterausbrüche – dieser Münchner
„Otello“ beeindruckt als Hör-Oper, szenisch bleibt er ohne Nachwirkung. |
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