FAZ

Gina Thomas

Verdi: Otello, Royal Opera House, London, Juni 2017

Dieser Feldherr ist ein Außenseiter (Ausschnitt)

Nuancenreiche Introspektion: Jonas Kaufmann debütiert in London als Titelfigur in Giuseppe Verdis „Otello“

… Dabei richten sich alle Augen und Ohren der Opernwelt auf Jonas Kaufmann. In seinem mit Spannung erwarteten Operndebüt wird er wie eine lichtumstrahlte Heiligenfigur in einem feierlichen Umzug aus der Menge gehoben, um sich mit dem wuchtigen Siegesaufruf der Herausforderung einer der anspruchsvollsten Tenorpartien zu stellen. Die Zaghaftigkeit bei seinem letzten Londoner Auftritt in einer konzertanten Aufführung des ersten Aktes der „Walküre“ Anfang des Jahres ließ fürchten, dass er diese Bewährungsprobe nicht bestehen werde, wenn er sich ihr denn überhaupt aussetzte. Die Sorge erwies sich als unberechtigt. An Höhenglanz und Farbigkeit ließ Kaufmann nichts fehlen. Er intoniert den kraftvollen Aufruf mit jenem warmen Bronzeton, der sein weltweites Publikum in Entzücken versetzt, er verleiht Worten wie „estasi“ eine bestechend zarte Emphase, senkt in dem wunderbar phrasierten „Dio! Mi potevi scagliar“ – Monolog die Stimme zum nervösen Flüsterton. Doch liegt gerade in dieser Fähigkeit Kaufmanns, sensible fernnervige Nuancen herauszukitzeln, auch sein Makel. Statt charismatischer Präsenz, die ein Placido Domingo verströmte, wenn er als siegreicher Feldherr die Bühne betrat, verkörpert Kaufmann ein empfindsames Geschöpf, das seinen Kopf in den Schoß seiner Geliebten legt, wie ein Kind, das Trost sucht bei der Mutter. Mit seiner introspektiven Interpretation nimmt er seinem Helden die tragische Fallhöhe. Kaufmanns Otello ist ein labiler Außenseiter, mit dessen Unsicherheit Jago sein perfides Spiel treibt. ……………………… Welche Ironie, dass Kaufmann aufgrund der Differenzierung, die seine Kunst ausmacht, den Triumph verfehlt. Als er am Ende mit blutgetränktem Hemd die Bühne betritt, spendet das Publikum begeisterten, aber keineswegs tosenden Applaus.