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Kurier, 11.10.2017 |
Gert Korentschnig |
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Verdi: Don Carlos, Paris, 10. Oktober 2017
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Oper à la bonne heure |
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Giuseppe Verdis "Don Carlos" in Starbesetzung in Paris – eine
Sternstunde. |
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Das war Musiktheater vom Feinsten, Chapeau! Oper à la bonne heure ist man,
passend zur französischen Fassung von Giuseppe Verdis "Don Carlos", zu sagen
geneigt. Eine Sternstunde, die auch zeigt, wie weit viele andere Opernhäuser
und sogar Festivals zuletzt mit ihren Produktionen von diesem Niveau
entfernt waren.
An der Opéra Bastille fand, 150 Jahre nach der
Uraufführung der ersten Fassung in Paris, die meistbeachtete Premiere dieses
Herbstes statt. Nun kann man freilich über Geschmack trefflich streiten
(jenen des Pariser Publikums traf die auf jedes Klischee verzichtende
Inszenierung von Krzysztof Warlikowski nur bedingt) – eine besser besetzte
und präziser gearbeitete Produktion wird man aber zur Zeit nicht einmal mit
der Lupe in den diversen Opernprogrammen finden. Dieser fünfaktige,
französische "Don Carlos" – in der Fassung, wie man sie in Wien von der
Inszenierung Peter Konwitschnys kennt, minus Ballett – setzt Maßstäbe.
Schon dass die Premiere überhaupt stattfand, ist ein Glücksfall. An
jenem Tag gab es in Paris Demonstrationen und Streiks gegen die
Arbeitsmarktreformen von Emmanuel Macron, die Stimmung war gespenstisch, nur
knapp vor dem ersten gespielten Ton waren noch U-Bahn-Stationen nahe der
Bastille gesperrt.
Aber dann schlich Jonas Kaufmann, ganz kindlicher
Naivling, Träumer von Liebe und einer besseren Welt, barfuß auf die Bühne zu
seinem Schreibtisch und schnitt aus El Pais Artikel aus – und das Drama nahm
mit der verhängnisvollen Begegnung im Wald von Fontainebleau seinen Lauf.
Dieser Akt, der in dieser Fassung erfreulicherweise zu hören ist, schildert
ja den Moment, als Elisabeth nicht zur Frau von Carlos, sondern aus
Staatsräson durch Heirat mit Philippe II. zu seiner Mutter wird. Der
Superstar
Kaufmann, von dem noch sein italienischer "Don Carlo" in
Salzburg 2013 sängerisch in bester Erinnerung ist (szenisch aufgrund des
Peter-Stein-Regiedesasters definitiv nicht), geht es bei seinem
französischen Carlos-Debüt vorsichtig an. Und er bleibt den ganzen Abend
hindurch recht verhalten. Manche Passagen singt er traumhaft, innig, mit
seinem atemberaubenden Timbre. Man wird aber das Gefühl nicht los, dass für
ihn, der sich vor kurzem den "Otello" erarbeitet hat, dieser XXXL-Carlos
einen sehr großen Kraftaufwand bedeutet, obwohl der französische ja
lyrischer ist als der italienische. Dennoch wird man niemanden finden, der
das Duett mit Marquis Posa oder das Finale mit Elisabeth so hinreißend
singt. Wenn also Kaufmann insgesamt einmal ein Niveau nicht ganz erreicht,
dann nur sein eigenes.
Bei dieser Top-Besetzung, einer Art
sängerischem Wunderteam, gab es aber auch andere Debüts, die äußerst
erfolgreich verliefen. Elina Garanča gab erstmals die Prinzessin Eboli – ihr
dunkler Mezzo mit der Fähigkeit zu kraftvollen Spitzen ist ideal für diese
Partie, sicher in allen Lagen, trotz ausreichender Dramatik fähig zu schönen
Koloraturen. Ihr Spiel ist dank des Regisseurs so gut, wie man es vor ihn
nicht kennt. Auch Ludovic Tézier agiert darstellerisch ungewohnt
facettenreich, sängerisch gestaltet er die Rolle des Marquis Posa
phänomenal, mit nobler Phrasierung und prachtvollen Kantilenen.
Sonya
Yoncheva besticht bei ihrer ersten Elisabeth auf französisch mit schönem
Timbre, perfekter Stilistik, vielen Nuancen und Farben. Die meisten Proben
hatte sie aus gesundheitlichen Gründen nicht singen können, bestimmt werden
ihre Höhen im Verlauf der Serie noch klarer. Ildar Abrazakov ist ein
mächtiger, ausdrucksstarker Philippe, mit dem man diesmal Mitleid hat,
Dmitry Belosselskiy ein kraftvoller Großinquisitor zum Fürchten.
Das
Dirigat von Philippe Jordan am Pult des präzisen Orchesters ist ebenso
erstklassig: dramaturgisch ausgefeilt, höchst sensibel, dann wieder packend
in den Attacken. Wie Jordan die Sänger begleitet, trägt, zur gemeinsamen
Erzählung animiert, bereitet große Freude. Es gibt kaum jemanden, der Wagner
(gehört heuer bei den "Meistersingern" in Bayreuth), Mozart (soeben in Paris
bei "Così") und offenbar auch Verdi auf diesem Level beherrscht. Allein das
qualifiziert ihn für den Job des Musikdirektors der Staatsoper, den er 2020
antreten wird. Der Psychoanalytiker
Genial ist die Inszenierung
von Krzysztof Warlikowski, der auch diesmal die dunkle Seite der Macht, der
Liebe, des Menschseins sucht und findet. Er stülpt seiner Regie kein Konzept
über, sondern betreibt an jeder Figur tiefenpsychologische Forschung. Seine
Personenführung verdient das Prädikat Weltklasse.
Jede einzelne Szene
hat Sinn und verweist schon gefährlich auf Kommendes. Wenn etwa Philippe und
Eboli einander erstmals begegnen, wird die gegenseitige Anziehung sofort
klar. Ein Höhepunkt ist die Arie "Elle ne m’aime pas", die Philippe
gegenüber der lasziv neben ihm liegenden Eboli singt.
Beim Autodafé
deutet Warlikowski Gewalt nur an – eine konkrete Darstellung wäre für
jemanden wie ihn banal. Er zeigt Unterdrückung und Brutalität anderswo. Etwa
wenn Eboli ihr Schleierlied in einem Fechtklub singt, als Meisterin, die
ihre Schülerinnen auch sexuell ausbeutet. Don Carlos hingegen spricht dem
Tennissport zu, passend zu seinem Einzelgängertum.
Gemeinsam mit
seiner Frau Małgorzata Szczęśniak, verantwortlich für Bühne und Kostüme,
erzählt Warlikowski eine heutige Geschichte, aber in klassischem Ambiente,
in dem er auf historische Zitate oder theatralische Effekte nicht
verzichtet. Manchmal flimmert es auf der Bühne, als würde man einen schlecht
restaurierten Film sehen. Dann wiederum zeigt der Regisseur die
Seelenzustände der Protagonisten anhand riesiger Close-ups. Ein Mal frisst
ein Sadist seine Kinder, wie Saturn im Goya-Gemälde oder ein böser Herrscher
wie Iwan, der Schreckliche, im Eisenstein-Film. Dann hält sich Kaufmann eine
Pistole an den Kopf und überlegt, ob er abdrücken soll. Die Antwort muss
sich der Besucher selber geben. Simple Lösungen wären eines Warlikowski
unwürdig.
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