Abendzeitung, 31.7.2017
Michael Bastian Weiß
 
Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 28. und 31. Juli 2017
"Andrea Chenier" mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann
 
Wenn Szenenapplaus immer wieder spontan aufbrandet, weil das Publikum spürbar elektrisiert ist, weiß man: So muss Oper eigentlich sein. Umberto Giordanos Rührstück „Andrea Chénier“ ist vielleicht nicht das am geschicktesten komponierte Werk, doch es zeigt noch einmal – kurz bevor das Kino die Massen aus den Theatern abzieht – das Wesen dieser dann verfallenden Kunst: spektakuläre Sänger, gekonnt sensationsheischend inszeniert.

Das tragische Liebespaar, Anja Harteros als Maddalena und Jonas Kaufmann in der Titelrolle, wird noch lange im Gedächtnis bleiben. Hier übertreffen sich zwei Charismatiker gegenseitig im dramatischen Rausch – und kommen sich genau dadurch nahe. Generell mag helfen, dass die Regie Philipp Stölzls die Protagonisten in der Staatsoper nicht auf offener Bühne allein gelassen, sondern in schallbündelnden kleinen Räumen untergebracht hat.

Die Harteros durchlebt ihre berühmte Szene „La Mamma morta“, hypnotisch im Halbdunkel der Bühnenmitte schwebend, schier magnetisierend: so, wie man sich die Callas vorstellt, aber schöner, schwebender, freier singend, als diese zumindest in ihren Aufnahmen dokumentiert ist.

Oper als Massenkunst?

Der baritonal dunkle Tenor von Jonas Kaufmann konnte sich nie verführerischer verströmen, er hat immense Kraft für die Selbstverteidigung in der Gerichtsszene, fesselt aber vor allem mit seiner hochbewussten, kunstvollen Diktion. Selbst Spitzentöne schwellen aus dem Nichts an.

Etwas weniger bekannt als dieses fabelhafte Duo ist der Italiener Luca Salsi, der als ein hochpotenter Carlo Gérard mit herrlich strahlendem Bariton auch stilistisch offenbart, was der viel verachtete „Verismo“-Gesang an Schönheit und Geschmack in sich birgt. Phänomenal ist auch, was für ein flüssiges Parlieren das Bayerische Staatsorchester unter der elegant schwingenden Zeichengebung Omer Meir Wellbers bietet, dosiert glühend, auch einmal nebenbei, aber immer atmosphärisch.

Wohlgesetzte Grobheiten

Der aus Israel stammende Wellber lässt die Nichtigkeiten der Adelsgesellschaft mit köstlichen Holzbläsern oberflächlich glänzend verpuffen, akzentuiert aber das Drama mit fetten Streichern und wohlgesetzten Grobheiten des grellen Tuttis.

Weil Wellber auch immer wieder einmal wirkungsvoll in die Knie geht, um das Orchester zu dämpfen, entsteht Raum für eine Reihe kostbarer kleiner Figurenportäts: Allen voran rührt Elena Zilio als greise Madelon mit ihrer laut anklagenden Trauer um ihren gefallenen Sohn zu Tränen, Doris Soffel ist eine Gräfin mit tadelloser Haltung, Tim Kuypers als Mathieu, obszön geschminkt wie der Joker in der jüngeren „Batman“-Verfilmung, personifiziert den Irrsinn der mörderisch entgleisten Revolution.

Wenn der Regisseur Philipp Stölzl am Schluss nach einer aufsehenerregenden quasi-filmischen Kamerafahrt auf die Guillotine nicht vor dem Gore-Effekt zurückschreckt, das abgetrennte Haupt seines Tenors in die Menge halten zu lassen, vollzieht er bildmächtig das Ende der Oper als Massenkunst. Ein sinnfälligerer Abschluss der Opernfestspiele lässt sich kaum denken.

 



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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