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Abendzeitung, 13.03.2017
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Robert Braunmüller |
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Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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Nationaltheater: Am Schluss geht’s zum Schichtl |
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Umberto Giordanos Revolutions-Reißer "Andrea Chénier" mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann im Nationaltheater verstört nur am (blutigen) Ende. |
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München ist die moderne Hauptstadt der Guillotine. Jedes Jahr wird da bis
zum ersten Wochenende im Oktober geköpft. Wer die Hinrichtungsmaschine
sieht, denkt weniger an die Französische Revolution, sondern an den
Schichtl. Nicht an Grusel, sondern an Gaudi. Und wenn dann auf der Bühne
des Nationaltheaters das frisch gewetzte Fallbeil klemmt, holt sich der
Regisseur sein verdientes Buh ab.
Philipp Stölzl vermasselte den
Schluss seiner sonst gelungenen Inszenierung von "Andrea Chénier". In
Umberto Giordanos Oper besteigen Tenor und Sopran nur den Karren zum
Schafott, während der Bariton einen Zettel mit Robespierres Nachricht
"Selbst Platon verbannte die Poeten aus seiner Republik" in der Hand hält.
Nichts spricht dagegen, stattdessen die Guillotine auf die Bühne zu
bringen. Aber wenn der Henker den Wachskopf von Jonas Kaufmann in die Höhe
hält, ist das Kasperltheater zu pathetischer Musik.
Bis dahin lief
alles gut. Der von seinem Stimmband-Hämatom genesene Jonas Kaufmann begann
allzu vorsichtig. "Un di all’azzurro spazio" lässt sich gewiss farbiger,
feuriger und strahlender singen. Im Duett mit Maddalena klang der Münchner
kurz wie ein Jazz-Sänger mit Whisky in der Stimme. Dann hatte er sich
endlich frei gesungen: In der Gerichtsszene triumphierte er mit jenem
energischen Kraftgesang, der bei der Titelpartie dieser Oper unerlässlich
ist. Und in "Come un bel dì di maggio" und dem Schlussduett kam alles
zusammen, was Opern-Ovationen auslöst: Zartheit und Poesie, gesteigert mit
Temperament und Enthusiasmus.
Anja Harteros war, wieder einmal,
Jonas Kaufmanns ideale Partnerin. Die verträumte, melancholische
Weltfremdheit, die alle ihre Figuren auf der Bühne ausstrahlen, steht hier
schon im Text: Maddalena leidet unter den Konventionen des Ancien Régimes
im ersten Bild. Aber die Revolution bringt für sie keine Befreiung,
sondern nur neues Leid.
Zu diesem Traumpaar gesellte sich nicht nur
ein bis in kleinste Rollen exzellentes Ensemble, sondern auch der perfekte
störende Dritte im Beziehungsdreieck. Luca Salsi hat die richtige Stimme
für den rebellierenden Diener und späteren Revolutionsfunktionär Gérard.
Ein Bariton mit einer Stimmgewalt, die robuste Sinnlichkeit und Gier
ausdrücken kann. Endlich wieder ein italienischer Bariton, der die große
Tradition eines Tito Gobbi oder Piero Cappuccilli fortsetzen könnte.
Der Dirigent Omer Meir Wellber drehte das Bayerische Staatsorchester
nicht ganz so brutal auf wie in der vergangenen Spielzeit in
"Mefistofele". Die Chorszenen sind angemessen knallig, die Effekte
stimmen, die Höhepunkte werden klar gesetzt. Ein Mann mit Sinn für
Verismo. "La mamma morta" nehmen er und Anja Harteros sehr langsam: Aber
das ist bei dieser psychologischen Schlüsselstelle auch wichtig.
Diese Szene ist, neben dem Schluss, einer der wenigen Fehlgriffe der
Inszenierung: Da fährt das Palais zur Seite, und man sieht die von den
Revolutionären gemeuchelte Mutter im Nebenzimmer. Gewiss: Ihre Erzählung
von der Verwüstung ihres Schlosses durch die Revolution lädt zur
Bebilderung ein. Aber der Gesang von Anja Harteros ist eindringlich genug,
und diese berühmte Arie muss man nicht unbedingt aufpeppen.
Anderswo passt das besser – wenn etwa Gérard von Menschenliebe faselt,
während seine Untergebenen im Keller Chénier foltern. Stölzl inszeniert,
was sich Opernregisseure sonst nicht trauen: ein Spektakel über die
Französische Revolution mit opulenten historischen Kostümen (Anke
Winckler), mit einer starken Dosis von "Les Misérables". Das muss bei
dieser Oper auch sein, weil die Historie hier das Liebesleben der Figuren
durcheinanderwirbelt.
Stölzl macht das nicht schamhaft: Er bekennt
sich zum intelligenten Historienfilm auf der Opernbühne. Das erste Bild
ist etwas zappelig. Aber der Schnitt durch das Schloss mit den im Keller
arbeitenden Domestiken und den im Licht wandelnden Aristokraten drückt
genau aus, worum es hier geht. Nur die Gräfin (Doris Soffel) will nicht
verstehen, dass die letzte Stunde des Ancien Régime geschlagen hat. Sie
tanzt Gavotte in den Untergang. Ein wahrhaft gruseliger, grandios aus dem
Material des Textbuchs abgeleiteter Augenblick.
Dann fahren die
Wände auseinander. Stölzl hat eine Reihe von Schauplätzen hinzuerfunden:
Das Duell am Ende des zweiten Bildes spielt in der Kanalisation von Paris.
Das ist mit den Augen des Filmregisseurs gesehen und doch echtes, im
besten Sinn altmodisches Theater, das immer wieder bekannte Gemälde und
Grafiken der Revolutionszeit zitiert (Bühne: Stölzl, Heike Vollmer). Auch
die Psychologie stimmt, etwa im ersten Duett, wenn sich die scheue
Maddalena von Chénier nicht anfassen lässt.
Der verhaute Schluss
war schnell vergessen. Auf das ekstatische Todesduett folgte nicht minder
ekstatischer Beifall. Die Aufführung ist die verdiente Rehabilitation
eines hierzulande immer etwas von oben herab angesehenen Opernreißers.
Natürlich ist "Andrea Chénier" Kolportage. Aber ein gut gemachter Reißer
reißt eben mit. |
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