Augsburger Allgemeine, 14. März 2017
Von Stefan Dosch
 
Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
So frisst die Revolution ihre Kinder
Regisseur Philipp Stölzl macht Pause vom Film und inszeniert „Andrea Chénier“. Mit dabei: Star-Tenor Jonas Kaufmann
 
Zuletzt hat Philipp Stölzl an Weihnachten letzten Jahres von sich reden gemacht. Da lief ein von ihm inszenierter Dreiteiler im Fernsehen – die Neuverfilmung von Karl Mays „Winnetou“. Ja, eigentlich ist Stölzl ein Mann der zweidimensionalen Medien, hat er sich ursprünglich doch mit Musikvideos einen Namen gemacht – u.a. für Rammstein, Anastacia, sogar Madonna –, bevor er sich aufs Kino verlegte („Nordwand“, „Der Medicus“). Daneben macht er seit einem guten Jahrzehnt auch Oper. So wie jetzt in München, wo er „Andrea Chénier“ in Szene gesetzt hat (übrigens, kaum zu glauben, als Erstaufführung an der Bayerischen Staatsoper).

Umberto Giordanos uraufgeführter veristischer Opernhit dreht sich um den französischen Dichter André Chénier, der in den Wirren der Französischen Revolution 1794 unter der Guillotine endet. Eine Theaterhandlung, die natürlich nicht ohne Liebesverstrickung (mit der adeligen Maddalena) und nicht ohne Widerpart (den zum revolutionären Sekretär aufgestiegenen Gérard) auskommt, zugleich aber auch viel originales Geschehen aus der Zeit der Schreckensherrschaft der Jakobiner transportiert. Letzteres war für Regisseur Philipp Stölzl der Grund, seine Inszenierung nicht zu aktualisieren, sondern in eben jenem historischen Moment zu belassen.

Opulente Kostüme also und detailfreudig ausgestattete Räume nebst viel Geschwinge der Trikolore. Für die Bühne bedienen sich Stölzl und seine Mitarbeiterin Heike Vollmer wieder einmal des Kniffs, der an die Filmtechnik des split screen erinnert und die Visualisierung simultaner Abläufe erlaubt. Gleich im ersten Bild (das noch vor dem Bastille-Sturm handelt) blickt man auf den Aufriss eines Palais, wo oben im Prunkgemach die besseren Stände sich in Galanterien ergehen, während für die feine Gesellschaft im Keller die Bediensteten schuften. Entgeht die Inszenierung in solchen Bildern nicht immer dem Wohlig-Genrehaften, so entfaltet das Simultan-Verfahren im weiteren Verlauf doch beträchtlichen Biss. Dort etwa, wo Gerard sich in seinem Zimmer auf die Ideale der Revolution besinnt – und Stölzl im Verlies darunter die krasse Realität zeigt durch die Malträtierung des gefangenen Chénier. Auch in der gegen den Dichter abgehaltenen Gerichtsszene vor blutdürstendem Pöbel, vollends bei Chéniers Gang zur Guillotine mitsamt finalem Vorzeigen des gefallenen Kopfes setzt Stölzl eindrucksvoll die Erkenntnis in Szene: Die Revolution, ehemals angetreten, Unrecht zu stürzen, ist längst selbst dabei, Unrecht zu sein.

Für die Dramatik der zweiten Hälfte der Oper ist der Dirigent Omer Meir Wellber der richtige Mann, putscht er doch Orchester und Chor mit weit ausschwingenden Gesten auf, während ihm in der vorangehenden Halbzeit manches doch etwas formelhaft gerät. Hochintensiv, vokal wie darstellerisch, das Protagonisten-Trio. Luca Salsi ist ein glutvoller Gérard, fast schon ein Gewaltmensch, wenn er seine mächtige Baritonstimme aufdreht. Anja Harteros eine Maddalena, die eine Wandlung durchmacht vom silbrig tändelnden Flatterwesen zur leiderfahrenen, dunkel getönten, in der Annahme ihres Schicksals dennoch glanzvoll aufflammenden Märtyrerin. Jonas Kaufmann schließlich, zurück von seiner Stimmkrise auf den großen Bühnen und somit auch in seiner Heimatstadt München – er schwingt sich hinauf an den Rand der Tenorstimme wie eh und je, wagt einmal ein außerordentliches (wenn auch nicht restlos gelungenes) Aufblenden vom Pianissimo ins Forte, zeigt sich vor allem einmal mehr als Interpret von hoher Einfühlungskraft: indem er Chénier nicht als banal auftrumpfenden Tenorissimo gibt, sondern als zögernde, gebrochene Figur. So einen komplexen Opernhelden sieht, hört man nicht alle Tage.




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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