Opernglas, 7/8 2016
J.-M. Wienecke
 
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
Die Meistersinger von Nürnberg
Das Publikum hatte seinen Spaß, obwohl die Bühne kaum dem eher traditioneller ausgerichteten Geschmack der Münchner entsprach. Das Haus tobte und brachte Huldigungen dar. So liebt man seine Bayerische Staatsoper, wie die heimischen Elite-Kicker in der Allianz-Arena. Die Ovationen galten Generalmusikdirektor Kirill Petrenko. Mit welcher Präzision und Detailbesessenheit er sich die einzige heiter flankierte Oper aus dem Reigen der großen Meisterwerke quasi aus dem Stand zu eigen machte, verdiente höchsten Respekt. Die »Meistersinger« blicken auf eine ebenso traditionsreiche wie politisch bewegte Geschichte zurück, die sich nie ganz ausblenden lässt. Petrenko machte sich frei davon, entwickelte das Satyrspiel ohne den historischen Ballast ganz aus seiner raffinierten musikalischen Anlage heraus, trug nicht zu dick auf, ließ Spielräume für den freien Fluss, wunderbar freigelegte Details und präzise herausgearbeitete dynamische Effekte. Allenfalls in den Vorspielen hätte man sich ein wenig mehr Gelassenheit gewünscht. Hier drückte der Maestro zu sehr aufs Tempo, was einen leicht überdrehten Eindruck vermittelte, der sich aber schnell legte.

Welchem Mitglied der exquisiten Sängerriege der Lorbeerkranz des Abends tatsächlich gebührte, ist schwer zu bemessen. Wolfgang Koch gilt inzwischen als der Vorzeige-Schuster und machte seinem Renommee als Hans Sachs auch hier alle Ehre. Das warme Timbre, die sichere, leicht ansprechende Gesangslinie, die exzellente Textverständlichkeit und sein Durchhaltevermögen zeigten ihn als wahren und frenetisch gefeierten Meister seiner Kunst.

Die Hauptaufmerksamkeit des Publikums galt aber einem anderen: Jonas Kaufmann, der berühmte Sohn der Stadt, auf der heiligen Bühne des Münchner Nationaltheaters in einem szenischen Rollendebüt zu erleben, noch dazu in einer exponierten Partie wie die des Junkers Walther von Stolzing, löst stets einen besonderen Hype aus. Der momentan in nahezu allen großen Fächern höchst gehandelte Tenor befindet sich im Zenit seines Schaffens, brilliert an den Top-Häusern in aller Welt und räumt mit so manchem Klischee, das über deutsche Sänger bisher existierte, gewaltig auf. Wem die Scala selbst bei Puccini zu Füßen liegt, der hat es geschafft. Und alle Bedenken, die man zuweilen mit seiner Gesangstechnik, gerade bei Wagner, haben mochte, schienen anlässlich dieser Pfingst-Premiere wie weggewischt. Kaufmann präsentierte sich in Bestform, gab alles und adelte die Vorstellung mit brillanter Phrasierung, klarer Diktion und subtiler Gestaltung. Die Höhen saßen wie erwartet und machten deutlich, dass die einzig wahren Song-Contests eben ganz woanders stattfinden. Von seiner gestalterischen Kraft, dem unglaublichen, zuweilen verschmitzten Charme seines Spiels zu schwärmen, hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Es waren aber genau diese entscheidenden Merkmale, die Kaufmanns spektakulärem Bühnendebüt das i-Tüpfelchen aufsetzten. Kein Wunder, bei solchen Partnern: Sara Jakubiak gab mit edlem Sopran einen ebenso entschiedenen wie berührenden Einstand als Evchen, adrett, begehrenswert und stimmlich voll überzeugend. Die sauberen Kadenzen überzeugten ebenso wie ihr differenzierter Vortrag. Okka von der Damerau entwickelt sich zum Star des Münchner Ensembles. Ihr Mezzo-Potenzial ist gewaltig, wird aber bestens kontrolliert und mit viel Ausstrahlung über die Rampe gebracht. Eine Magdalene wie aus dem Bilderbuch.

Die eigentliche Überraschung lieferte Benjamin Bruns. Kein quäkender Charaktertenor sang hier den David, sondern ein lyrisches Organ mit beachtlicher Kultur und hörbaren Karrierechancen. Er wertete die Partie ganz entscheidend auf und fesselte mit seiner sympathischen, nuancierten Lesart. Der sehr präsente Christof Fischesser (Pogner), Eike Wilm Schulte als erfahrener Kothner und der sonore Nachtwächter von Tareq Nazmi rundeten das exzellente Ensemble ab, das mit dem Beckmesser von Markus Eiche seinen nicht ganz unerwartet größten Trumpf ausspielte. Der geschundene Stadtschreiber, der sich hier am Ende in seiner Verzweiflung (über sich selbst?) die Kugel gibt, wurde lange nicht mehr auf diesem darstellerischen Niveau und mit vergleichbarer stimmlicher Klasse zum Besten gegeben. Eiches imposanter Bariton hat alles, was es für die Partie braucht, und er sang mit bravouröser Kantilene, kraftvoll differenziert, mit Leidenschaft — ein ernst zu nehmender Konkurrent um die Gunst Evas, ginge nicht ab und zu sein Ego mit ihm durch.

Natürlich gab es Widerspruch für die ebenso intelligente wie entspannte, weil weitgehend unpolitische Sichtweise des Regie-Teams. Heruntergekommene Vorstadt-Miethäuser mit Satellitenschüssel und bröckelnden Balkonen (Bühne: Patrick Bannwart) will man hier eigentlich nicht sehen. David Boesch, am Haus kein Unbekannter, machte vieles durch seine witzig verspielten Spielstränge wieder wett. Er vermochte zu fesseln, lebensechte Charaktere zu zeichnen, auch wenn man nicht immer alles verstehen musste (Kostüme: Meentje Nielsen). Die Inszenierung zeigte viele kleine Details, die zum Schmunzeln brachten. Die Festwiese mutierte zum ESC-Finale der 1960er-Jahre, wirkte improvisiert, eben noch mit bescheidenen Mitteln arrangiert, zuweilen hintergründig, dann auch wieder plakativ banal. Das Bürgertum feiert sich selbst, und die Massen jubeln trotz der allgegenwärtigen Tristesse im Hintergrund, Entertainment pur, Glitzer-regen inklusive. Nur zwei Tage nach dem medialen Pop-Spektakel in Stockholm kürten die Münchner ihren eigenen Superstar. Der Sieg ging an die „Meistersinger von München". Demzufolge: Douze points!




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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