Der Neue Merker
Susanne Kittel-May
 
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 22. Mai 2016
„Die Meistersinger von Nürnberg“, 22.05.2016 – Wagner macht Spaß
Einen skeptischen Blick wirft Jonas Kaufmann als Walter von Stolzing auf die Wagnerbüste. Einen skeptischen Blick, den man auch auf das Werk und seine Rezeptionsgeschichte hätte werfen können. Das allerdings hat Regisseur David Bösch sich verkniffen und stattdessen eine trashige Show inszeniert, ein Meistersinger Musical verortet in den Hinterhöfen irgendeiner deutschen Großstadt irgendwann zwischen in den 1945 und jetzt. Das funktioniert vor allem dank der liebevoll genauen Personenregie ganz wunderbar. Fast meint man, richtige Menschen zu sehen: der bürgerliche Gesangsverein „Meistersinger e.V.“ im ersten Aufzug, als Pogners Antrag zur Tagesordnung per Handzeichen angenommen wird. Der respektlose Rotzlöffel Stolzing, der daherkommt und sofort als Meister in die ehrwürdige Gilde aufgenommen werden will um das reichste und schönste Mädchen des Viertels heiraten zu können. Der von seinen Mitschülern gemobbte Lehrling David, der sich am Ende in den Meisterpokal übergibt – vielleicht doch noch ein Statement, was Bösch von der Schlussansprache des Sachs hält. Bösch erzählt die Geschichte ohne ideologischen Überbau, er will uns offensichtlich nichts sagen außer: „Wagner macht Spaß!“

Und kurzweilig war diese Meistersinger-Inszenierung ohne Zweifel. Patrick Bannwart hat dafür eine düstere, gammelige Welt geschaffen. Beherrschende Farbe war das Schwarz des Bühnenhintergrunds, dazu kamen graue Gerüstaufbauten für den 1. Aufzug und für die Festwiese, der 2. Aufzug spielte zwischen grauen, halbfertigen Plattenbauten, die Schusterstube war ein Citroën-Kastenwagen aus den 50er Jahren, Satellitenschüsseln aus den 80gern hingen an den Balkonen, der Flieder blühte im Plastikkübel. Das alles schuf eine Atmosphäre, in der auf einmal mancher kurze Halbsatz Wagners einen neuen Sinn bekam, oder vielleicht auch den, den er schon immer hatte. In diesem Ambiente lauert auch immer die latent vorhandene Gewaltbereitschaft, sei es zwischen Beckmesser und Sachs oder auch zwischen den Lehrbuben und David, die sich dann in der gespenstischen Prügelszene mit Schlägern in Affenmasken Raum bricht.

In diesem Ambiente agiert eine wahrhaft meisterliche Sängerschar. Wolfgang Koch als schmuddeliger, zum Alkohol neigender Sachs, der offensichtlich immer noch um seine verstorbene Frau trauert – im Zwiespalt, ob er um Eva werben soll, betrachtet er immer wieder ihr Bild. Koch lotet mit seinem eher lyrischen Bass-Bariton die Stimmungen des Schusters vor allem in den beiden Monologen höchst differenziert aus, das Schusterlied, mit dem er Beckmesser auf die Nerven geht, dröhnt mit kaum beherrschter Grobheit. Erst in der Schlussansprache des Sachs zeigt er leichte Ermüdungserscheinungen, oder war vielleicht auch das ein Gestaltungselement? Seine Körpersprache sagt jedenfalls etwas anderes als die Worte.

Dass Jonas Kaufmann ein großartiger Darsteller ist, erübrigt sich zu sagen. Bei ihm verschmelzen Singen und Schauspielern geradezu exemplarisch. Man hört in seinem Gesang immer, was die Figur, die er darstellt, gerade fühlt. Die atemlos drängende Unsicherheit, wenn er Eva zu ersten Mal anspricht. Das „Am stillen Herd“, vorgetragen wie ein Schubertlied. Die steigende Wut in der Stimme, wenn die Meister ihn nicht zu Ende singen lassen wollen und er schließlich vom Elektroschock-Singstuhl aufspringt und den Meistern sein „Ade, ihr Meister hienied“ entgegenschleudert (und dabei die Wagnerbüste zertrümmert). Die Liebe und Begeisterung in den Preisliedern, die er lyrisch in seinem wunderschönen seidigen Piano beginnt um dann zu leuchtenden Heldentenortönen zu finden. Eine großartige Leistung.

Eine großartige Leistung bot auch Markus Eiche als Sixtus Beckmesser. Er zeichnete einen Charakter, der durchaus die Mittel und Fähigkeiten zum Erfolg hat, aber immer zu viel will und sich dadurch selbst im Weg steht. Er hat ja einen sehr schweren Gesangspart zu bewältigen, was ihm hervorragend gelingt. Er singt alles, kein Keifen und Meckern wie bei manchen früheren Beckmessern, und gibt der Figur dadurch eine tragische Komponente des Scheiterns. Der Auftritt im Glitzerkostüm mit Netzunterhemd auf der Festwiese ist genial komisch, sein Selbstmord ganz am Ende schlüssig.

Die Eva der Sara Jakubiak vielleicht ein bisschen zu dramatisch angelegt, keine mädchenhafte Stimme, sondern die einer Frau, die weiß was sie will. Auch sie kann ihre Stimme zu sehr schönen Piani zurücknehmen, und in der Höhe sehr schön aufblühen lassen. Sehr hübsch anzuschauen in dem weißen Petticoat-Kleid.

Mit Benjamin Bruns ist auch die Partie des David hervorragend besetzt, ein glaubhafter Darsteller des täppischen Lehrbuben, ob er am Ende seine Lene kriegt, bleibt offen. Ein schöner, heller Tenor, eher lyrisch als Spieltenor. Er, wie auch seine Magdalene Okka von der Damerau, wurden von der Regie sehr differenziert als eigene Charaktere gezeichnet. Von der Damerau wie immer mit wunderbarer Stimme, Farben, Höhen, alles da.

Veit Pogner schließlich, der reiche Goldschmied, der zu Werbezwecken – es ärgert ihn, dass das Bürgertum nicht hoch genug geschätzt wird – seine Tochter als Preis auslobt. Sehr seriös gesungen vom Christoph Fischesser, ein leichter Wobble, der am Premierenabend zu hören war, war gestern völlig verschwunden.

Aus der Schar der ebenfalls sehr genau und unterschiedlich gezeichneten Meistersinger ragt Eike Wim Schulte als Fritz Kothner heraus. Der 77-jährige Sänger beging mit diesen Meistersingern sein 50. Bühnenjubiläum, was auch in der Festwiesen-Szene in Videoeinspielungen („Pogner-Vision“) thematisiert wurde. Seine Stimme klingt inzwischen etwas trocken, was ihm ein Extra an Glaubwürdigkeit verleiht.

Die Schlussansprache des Sachs wurde übrigens je politischer sie wurde und je öfter das Wort „deutsch“ fiel, immer mehr von einem auf die ganze Bühne projizierten Bildrauschen überdeckt. Auch eine Methode Stellung dazu zu nehmen.

Nun zum eigentlichen Star der Abends: Kirill Petrenko. Der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper legte einen flotten, schlanken, unpathetischen Wagner hin, der seinesgleichen sucht. In der Ouvertüre ließ er’s zu Beginn so richtig knallen, um dann das Holzbläserthema umso lieblicher hervortreten zu lassen. Er schöpfte vor allem in der Dynamik die ganze Bandbreite des Orchesters aus, nahm das Orchester immer wieder zu wunderschön schwebenden Piani zurück um den Sängern Raum zu lassen, sodass sie nie forcieren mussten, nie in den Orchestermassen untergingen.Er hob in der Schusterstubenszene die tänzerischen Elemente hervor und machte insgesamt die ganze Modernität dieser Musik transparent hörbar. Ein Fest. Ovationen.




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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