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Neue Zürcher Zeitung, 19.5.2016 |
von Christian Wildhagen |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Volksverführer Sachs? |
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David Bösch deutet Wagners Kunst- und Festoper um zum Sinnbild eines
jugendlichen Aufstands gegen neue, alte Ideologien und Verkrustungen. Kirill
Petrenko setzt mit der Musik dazu einen faszinierenden Kontrapunkt. |
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Was ist eigentlich komisch an Wagners «Meistersingern»? Ein zu Geld
gekommener Bürger setzt seine einzige Tochter (und Erbin) als Preis bei
einem Gesangswettbewerb aus, und weil der aussichtsreichste Bewerber so gar
nicht nach dem Geschmack der Tochter ist, weder als Mensch (eitler Gockel)
noch als Sänger (uninspirierter Pedant), wird solange hingebungsvoll über
Kunst und deren Bezug zur Lebenswirklichkeit gestritten, bis im
beschaulichen Nürnberg die Butzenscheiben zu Bruch und vermeintlich
wohlgesittete Bürger einander des Nachts ans Leder gehen.
Ja, das
kann, mit angemessen leichter, virtuoser Hand inszeniert, von gleichermassen
hintersinniger wie manchmal brachialer Komik sein, gäbe es da nicht noch die
andere Seite des Werks: die schon im Kaiserreich einsetzende Umdeutung der
«Meistersinger» zur deutschen Fest- und Nationaloper, die wohl zwangsläufig
in den Missbrauch des Stücks an Hitlers «Reichsparteitagen» mündete.
Zumindest in Deutschland kommt deshalb kein Regisseur darum herum, auch zu
dieser – womöglich im Werk angelegten – Fehlrezeption Stellung zu nehmen.
Erst recht nicht, wenn er, wie jetzt David Bösch, das Stück am Ort seiner
Uraufführung auf die Bühne bringt.
Ernstfall im Debattierklub
Dass diese seltsam kontaminierte komische Oper, mehr noch als Komödien auf
dem Theater ohnehin, den Ernstfall bedeutet, wissen Bösch und sein
Produktionsteam natürlich. Sie versuchen bei ihrer Neuinszenierung an der
Bayerischen Staatsoper dennoch einen Zugang, der über die inzwischen auch
schon wieder in Deutungsmustern erstarrten Nachkriegslesarten hinausweist.
Einen zentralen Bezugspunkt für diese kritische Sichtweise stellte von
jeher jene legendäre Berliner Inszenierung Götz Friedrichs dar, der einen
kühnen historischen Durchblick wagte: von der irritierenden
Gewalt-Eskalation im Prügel-Finale des zweiten Aktes und dem politischen
Chauvinismus der Schlussansprache («welschen Dunst mit welschem Tand / sie
pflanzen uns in deutsches Land») zu den Pogromen und Verheerungen des
«Dritten Reichs». Jüngere Granden der Musiktheaterregie wie Harry Kupfer und
Peter Konwitschny sind auf diesem Weg weitergegangen, und auch für David
Bösch ist die dunkelste deutsche Vergangenheit in dem Werk durchaus präsent.
Er dreht die Schraube jedoch um eine originelle Windung weiter.
Bei
Bösch spielt die Handlung 1968, genau hundert Jahre nach der Münchner
Uraufführung. Die Meistersinger-Zunft ist bei ihm eine Art Debattierklub,
vielleicht eine etwas aus dem Ruder gelaufene Gruppe 47, in der restaurative
wie fortschrittliche Welt- und Kunstanschauungen offen aufeinanderprallen.
Zwar leistet man sich unter frisch zur Demokratie bekehrten Ehrenmännern
manche private Fehde («Gassenhauer dichtet er meist»), doch das gemeinsame
Festhalten am Ideal des Wahren, Schönen, Guten gibt diesen
Teilzeit-Künstlern erkennbar Halt, zerrissen, wie sie sich fühlen zwischen
der Last der historischen Schuld und den Verheissungen des «Jetzt sind wir
wieder wer».
Vom Wirtschaftswunder sind einstweilen allerdings bloss
Baugerüste und scheussliche Platten-Wohnsilos mit DDR-Charme (Bühne: Patrick
Bannwart) bis in diesen Teil der zerstörten Stadt vorgedrungen. Kein Wunder,
dass sich mancher da lieber an das Altbewährte hält und wie der
Bäckermeister Kothner – mit hinreissender Präsenz verkörpert von Götz
Friedrichs einstigem «Beckmesser vom Dienst», Eike Wilm Schulte – voll
Inbrunst eine idealisierte Wagner-Büste tätschelt (sie wird den Abend
naturgemäss nicht heil überstehen). Der Künstler als Volkstribun
Der einzige echte Künstler unter diesen Lordsiegelbewahrern der Tradition
ist Hans Sachs, am Premierenabend von dem Bayreuth-erfahrenen Wagner-Bariton
Wolfgang Koch mit kluger Disposition seiner stimmlichen Mittel und in
vorbildlicher Weise ganz aus dem Text heraus gestaltet. Sachs ist es denn
auch, der als Einziger die Unruhe spürt, die sich unter der Jugend
breitgemacht hat. Spätestens als Jonas Kaufmann alias Walther von Stolzing
im Outfit des jungen Bob Dylan an der Pegnitz aufschlägt, ist klar, dass aus
dem Gattenwahlverfahren Pogners (Christof Fischesser mit edlem Bass) nichts
werden wird. Töchterchen Eva (Sara Jakubiak mit eher sprödem Charme) ist
nämlich alles andere als ein blonder Backfisch. Sie hat sich – wie bei
Wagner üblich – auf den ersten Blick in den unkonventionellen Schönling mit
der Klampfe und der schlicht makellosen Tenorstimme verguckt und nimmt ihr
Schicksal als echte «Achtundsechzigerin» einfach selbst in die Hand.
Bezeichnenderweise ist es wiederum Sachs, der alternde Meister, der mit dem
jugendbewegten Geist, den er selbst mit allerlei Tricks und Kunst-Stücken
fördert, am Ende nicht mehr zu Rande kommt. Schon die halbstarken Lehrbuben,
die getarnt mit atavistischen Affenmasken das nächtliche Nürnberg aufmischen
und seinen rollenden Schusterladen mit Parolen beschmieren, sind ihm ein
Graus. Als dann Stolzing-Dylan ihm sehenden Auges nicht nur seine Muse Eva
raubt, sondern auch noch die Axt an die brüchigen Fundamente seiner
Kunstauffassung legt («Nicht Meister! Nein! Will ohne Meister selig sein»),
besinnt er sich unversehens auf eine überwunden geglaubte Doktrin. Der
Künstler geriert sich als Tribun, und so singen sie in Nürnberg am Schluss
schon wieder mit gleichgeschalteten Mündern und Hirnen, ehren im grölenden
Unisono ihre «deutschen Meister».
Einzig Beckmesser, der in Markus
Eiches genauer Darstellung keine Karikatur, sondern ein durch den eigenen
Liebeswahn blossgestellter Intellektueller ist, erkennt die Hydra, die hier
ihr Haupt erhebt. Für einen Augenblick überlegt er, den Volksverführer Sachs
zu erschiessen, richtet die Waffe dann aber gegen sich selbst.
Kontrapunkte
Kirill Petrenkos Dirigat der meisterhaft gewebten
Riesenpartitur bildet einen eigentümlichen Kontrapunkt zu diesem
überpointierten, im Ganzen aber stimmigen, ja mutigen Konzept. Bildhaft
gesprochen, steht Petrenkos Wagner der heilen Welt von Kothners Gipsbüste
näher als jenen Analytikern unter seinen Kollegen am Pult, die den
Orchesterklang stärker aufbrechen und etwa in Beckmessers verunglückten
Preisliedern oder der Pantomime im dritten Aufzug Ahnungen der Moderne
herausarbeiten. Doch wie farbig, satt und dennoch differenziert tönt dieser
Klang! Mit kaum zu ermessender Intensität formt Petrenko über die mit Pausen
knapp sechsstündige Aufführungsdauer hinweg nahezu jedes melodische Detail –
besonders eindringlich im nobel zurückgenommenen Quintett, dem Höhepunkt des
Werkes; aber auch schon zu Beginn, nach dem etwas schwerblütigen Vorspiel,
in der sonst oft gefährlich langen Erläuterung der Meister-Regeln durch den
Lehrbuben David. Petrenko und der agile junge Tenor Benjamin Bruns gestalten
diese Szene als geradezu kammermusikalisch verfeinerten Dialog zwischen der
Gesangsstimme und den Bläsersolisten des Bayerischen Staatsorchesters. In
solchen Zaubermomenten («der Rosenton») wird deutlich, wie doppelsinnig
Wagner in der Musik, parallel zum stellenweise problematischen Text, einen
heiteren Diskurs über Kunst entwickelt, der selber die allerhöchste Kunst
ist.
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