Bayern 2, 17.05.2016
Von: Peter Jungblut
 
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
Grau in Grau: "Meistersinger von Nürnberg"
Wie viel Bürokratie kann die Kunst ertragen? Darum geht es in Richard Wagners "Meistersingern von Nürnberg". Aktenordner waren an der Bayerischen Staatsoper daher unübersehbar, und auch ein szenischer Grauschleier.
 
Wer Probleme hat, Gebrauchsanweisungen für koreanische Kleinwagen oder japanische Spiegelreflexkameras zu verstehen, dem dürfte schwarz vor Augen werden, wenn er erst die genauen Anweisungen für Nürnberger Meistersinger liest. Im Programmheft der Bayerischen Staatsoper war dankenswerter Weise ein Handbuch von 1697 in Auszügen abgedruckt, und die vielen Vorschriften sind buchstäblich zum Verrücktwerden, oder eben zum Lachen. Richard Wagner lässt das offen, weshalb seine "Meistersinger von Nürnberg" auch weder Komödie, noch Tragödie sind, sondern irgendetwas dazwischen.

Beckmesser erschießt sich, Stolzing haut ab

In der Inszenierung von David Bösch gestern Abend an der Bayerischen Staatsoper jagte sich der gescheiterte Meistersinger Sixtus Beckmesser am Ende eine Kugel in den Kopf, während der geniale Ritter Walther von Stolzing, gesungen von Star-Tenor Jonas Kaufmann, mit seiner Frau alle lästigen Vorschriften und Nürnberg schleunigst hinter sich lässt. Dem Schuhmacher und Dichter Hans Sachs bleibt nur, sich eine Zigarette anzustecken und darüber nachzudenken, ob Kunst wirklich Gebrauchsanweisungen braucht.

Interessante Details nur im Programmheft

Im Vorfeld waren diese "Meistersinger" in der Tagespresse als "unpolitisch" angekündigt worden, als ob es "unpolitische" Inszenierungen überhaupt geben kann. Regisseur David Bösch hatte vielmehr keine eigene Haltung zu dem Stück, sondern beließ es bei konventionellen, gedankenarmen Bildern. Alles, was an den "Meistersingern" interessant und umstritten ist, zum Beispiel Wagners berüchtigte Judenfeindschaft, der Missbrauch der Oper durch die Nazis, der nationalistische Text, die teils hämische, karikierende Musik, als das wurde nicht auf der Bühne, sondern ausgesprochen anregend im aufwändigen Programmheft thematisiert.

Nachkriegs-Tristesse grau in grau

Ausstatter Patrick Bannwart und Kostümbildnerin Meentje Nielsen hatten die Handlung optisch in die fünfziger Jahre verlegt, also die unmittelbare Nachkriegszeit. Grau in grau stehen schäbige Mietskasernen herum, dazwischen Gerüste, die den Wiederaufbau ankündigen. Hans Sachs arbeitet als Schuhmacher ambulant in einem Wellblech-Lieferwagen, der Goldschmied Veit Pogner hat es schon zum weißen Leinenanzug und dicken BMW gebracht. Die Frauen tragen Petticoat, die Lehrlinge kurze Hosen. Und in der Festwiesenszene am Ende bleiben Lederhosen nicht aus. Es ist schon die zweite schwarz-weiß Produktion der "Meistersinger" an der Staatsoper in München - auch über der drögen, wenig geliebten Vorgängerinszenierung (Regie Thomas Langhoff) lag der Grauschleier.

Polizist von Schlägern malträtiert

Der jetzige Regisseur David Bösch und sein Team scheinen die Mitwirkenden wenig motiviert zu haben: Der Chor wirkte selbst in der berühmten "Prügelszene" im zweiten Aufzug seltsam statisch, die Solisten geradezu schwermütig, ja schwerfällig. Peinliche Entgleisungen, wie Affenmasken tragende Schlägertypen, die einen bayerischen Streifenpolizisten einschüchtern und Werbebanner der Meistersinger als schale Kritik am Kommerz wirkten völlig unmotiviert.

Energiebündel Kirill Petrenko

Einmal mehr grandios dagegen die Leistung von Dirigent Kirill Petrenko und dem Staatsorchester. Genau genommen war es am spannendsten und unterhaltsamsten, dieses Energiebündel bei der Arbeit zu beobachten. Petrenko löste alles ein, was die Inszenierung vermissen ließ: Kommentierung, Ironie, Kritik, Augenzwinkern, Sarkasmus. Es war eine Wonne, diesen "Meistersingern" zu lauschen, zumal Petrenko einer der derzeit begabtesten Theatermusiker weltweit ist. Traumhaft sicher führte er die Solisten knapp sechs Stunden lang durch die Riesen-Partitur.

Humor nicht Wagners stärkste Seite

Jonas Kaufmann als Stolzing war natürlich optisch die Idealbesetzung, an seiner Stimme scheiden sich die Geister: Viele sind hingerissen, er neigt allerdings zu manierierten Schluchzern und seine dunkle, gaumige Färbung ließ etwas Glanz vermissen. Wolfgang Koch war als Hans Sachs leider stimmlich nicht in der Topform, die er kürzlich in einer Berliner "Meistersinger"-Produktion hatte. Gleichwohl überzeugte er rundherum durch sein Charisma. Markus Eiche war ein überraschend sympathischer, mitleiderweckender Beckmesser, also nicht der übliche Verlierertyp. Die amerikanische Sopranistin Sara Jakubiak blieb als Eva recht farblos, dagegen begeisterten Benjamin Brus als Lehrling David und der 76-jährige Eike Wilm Schulte in der Nebenrolle des Fritz Kothner. Großer Applaus, aber wenige herzhafte Lacher im Publikum. Humor war eben nicht gerade Wagners stärkste Seite.






 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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